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KIRCHE/566: Neujahrsbotschaften (EKD)


Evangelische Kirche in Deutschland - Pressemitteilung vom 28.12.2007

Neujahrsbotschaften


Bischof Dr. Wolfgang Huber
Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Predigt zum Neuen Jahr in der Dresdener Frauenkirche
am 1. Januar 2008, Johannes 14, 4-6

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

I.

Dieser Morgen, liebe Gemeinde, öffnet nicht nur unsere Herzen für den Gottesdienst in dieser wunderbaren Kirche. Zugleich öffnen sich die Pforten des Neuen Jahres; sie geben den Blick frei auf den unverstellten Morgen des unverbrauchten Jahres 2008. Vor unseren Augen erstreckt sich das Panorama einer offenen Landschaft. Weit ist der Blick. Einzelne Orte kennen wir schon, zu denen uns die Wege dieses Jahres führen werden. Zaghafte oder mutige Ideen für Verabredungen und Verpflichtungen bilden das Bett, durch das der Strom dieses Jahres fließen wird, so wie die Elbe, gemächlich bald, bald lebhaft bewegt. Der Blick auf das Neue Jahr lässt Berge der Hoffnung und Täler von Befürchtungen vor Augen treten.

Auch scheinbar bekanntes Terrain enthält unerforschte Teile. Manchmal wünschten wir uns, wir könnten erst einmal einen Erkundungstrupp in das Land von Morgen schicken, bevor wir uns selbst auf den Weg machen. Doch das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Vertraut ist uns nur, was schon war. Vertrauen brauchen wir für das, was kommt. Jeder Tag erwartet uns so, wie Gott ihn uns schenkt.

Viele haben sich in der vergangenen Nacht über ihre Vorhaben und Vorsätze für das neue Jahr ausgetauscht. Mit diesem Silvesterbrauch wollen wir dem neuen Jahr zumindest eine Überschrift geben; wir wollen es so früh wie möglich mit einem eigenen Akzent versehen. Am liebsten wäre uns, wir hätten für den Weg durch das neue Jahr ein Navigationssystem, nach unseren eigenen Vorstellungen programmiert, das uns mit freundlicher Stimme auch durch unwegsames Gelände sicher hindurchleitet.

Doch die entscheidende Gewissheit für das neue Jahr gewinnen wir durch solche Vorstellungen nicht. Sie wächst aus der Zuversicht des Glaubens. Er hält sich an das Wort Jesu, das uns durch dieses Jahr leitet. Jesus sagt: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben."

Auch biblische Texte liefern keine detaillierte Karte von dem, was vor uns liegt. Sie bieten etwas anderes: die Gewissheit, dass Gott im Morgen wartet. Die Orientierung, die wir in Jesus Christus finden, geht über alle noch so sinnvollen technischen Errungenschaften unserer Zeit hinaus. Sie stellt unseren Weg unter eine besondere Verheißung. Auf diese Verheißung hören wir.

Zu seinen Jüngern sagt Jesus nach dem Bericht des Johannesevangeliums: "Wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich."

Es ist nur eine kurze Episode, ein Gesprächsfetzen, der hier überliefert wird. Doch wer diesen Worten nachgeht, wer sich auf sie einlässt, der entdeckt eine Gewissheit, die nicht vergeht. Fragend, getrost und unverzagt betreten wir den Weg in das Neue Jahr. Das Navigationsgerät dieser kurzen Episode ist die Zuversicht.

II.

Thomas, der Jünger Jesu, meldet sich zu Wort. Mit einer Frage.

Typisch Thomas, wird der Bibelkundige denken. Immer ist es Thomas, der zweifelt. Der "ungläubige Thomas" wird er genannt, weil er auch bei der Begegnung mit dem auferstandenen Christus zusätzliche Beweise haben will. In unserer Episode kann er sich nicht damit abfinden, dass der Weg, den Jesus gehen wird, klar vor Augen liegt. Jerusalem ist das Ziel, das Kreuz ist das Zeichen für diesen Weg. Doch Thomas tritt Jesus mit einer Frage entgegen. Er bestreitet, dass die Jünger den Weg Jesu kennen: "Wie können wir den Weg wissen?"

Thomas nimmt die Dinge nicht einfach hin; er fragt nach. Er will den Weg seines Lebens nicht von einem anderen vorgeschrieben bekommen - nicht einmal von Jesus. Es ist auch nicht so, als ob Jesus seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern einfach eine Lehre hinterlassen hätte, die keinen Raum für eigene Entscheidungen bietet. Der Glaube an ihn engt nicht ein, sondern macht frei. Er lädt uns dazu ein, mit erhobenem Haupt die Weite zu sehen, in die Gott uns stellt: die Weite seiner Welt, mit der er es gut meint.

Nur weil er fragt, bekommt Thomas eine Antwort. Nur weil er sucht, findet er. Nur weil er anklopft, wird ihm aufgetan. Ich will dieses beharrliche Suchen und Nachfragen den Thomasweg nennen. Mir sind Menschen, die so suchen, besonders wichtig. Sie erinnern mich an ein biblisches Wort, das mir im Lauf der Jahre immer kostbarer geworden ist. Es fordert uns dazu auf, barmherzig mit den Zweiflern zu sein. Denn Gott selbst wendet sich in seiner Barmherzigkeit den Zweifelnden zu. Thomas ist ein Beispiel dafür.

Wer mit dem Fragen aufhört, verfängt sich leicht in einem selbstgenügsamen Christentum oder in einem selbstgenügsamen Atheismus. Wer aber um Gott ringt, begibt sich auf einen Weg, auf dem ihm Gott selbst entgegen kommt. Er begibt sich auf den Thomasweg. Ich glaube, dieser Weg hat es vielen jungen Leuten heute angetan. Sie wollen nicht auf ausgetretenen Wegen hinterherlaufen, auch nicht auf ausgetretenen Wegen des Glaubens. Sie wollen selbst auskunftsfähig werden über die Zuversicht, die sie trägt. Sie wollen ihre eigene Sprache für die Hoffnung finden, von der sie sich leiten lassen. Ich freue mich darüber, dass die Frauenkirche in diesem neuen Jahr zum Symbol für diese Suche der jungen Generation wird. EVA2008, das pfingstliche Jugendfestival hier in Dresden bietet dafür Raum.

III.

Ich preise die Nachfrage des Thomas - auch deshalb, weil sie die großartige Antwort Jesu hervorruft: "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich." Diesen Kernsatz und "Dreischritt" unseres Glaubens gibt es nicht ohne das beharrliche Nachfragen des Thomas.

"Ich bin der Weg." Das ist mehr als jede Landkarte oder irgendeine Wegbeschreibung. Gemeinschaft wird verheißen. Wenn Jesus der Weg ist, dann ist niemand auf diesem Weg allein. Selbst wenn ich mich von allen anderen verlassen fühle, geht er an meiner Seite. Und wenn ich meine, nicht einmal seine Spuren im Sand zu erkennen, dann deshalb, weil er mich trägt.

Gemeinschaft wird verheißen. Wer sollte dabei nicht an die Geschichte dieser Kirche denken, vor allem an das Wunder ihres Wiederaufbaus. Eine gewaltige Gemeinschaftsleistung im Namen Jesu. Der "Ruf aus Dresden" brachte viele Menschen auf einen gemeinsamen Weg. Wer die Geschichte dieser Kirche bedenkt, schöpft daraus Mut auch für andere Ideen und Pläne, die zuerst als tollkühn verworfen werden. Entscheidend ist, ob es der Weg Jesu ist, der Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Auf diesem Weg sind wir nicht allein.

"Ich bin die Wahrheit." In der Person Jesu haben wir etwas anderes vor uns als die täglichen Nachrichten mit ihren schnellen Verfallsdaten. Solche Nachrichten rauschen an uns vorbei. Sie wecken kein Engagement. Jesus aber ist die Wahrheit in Person. Wer sich an ihn hält, kann die Spreu vom Weizen unterscheiden. Er findet Maßstäbe für einen Einsatz, der lohnt.

Selbst wenn unser Lebensweg durch tiefe Täler führt, bleibt die Wahrheit, dass Gottes Güte uns hält. In Gottes Wahrheit ist unser ganzes Leben eingeschlossen. Klarheit wird verheißen. Wir sind in das Licht seiner Wahrheit getaucht. Wir lassen dieses Licht hinein in unsere Verhältnisse. Wir finden uns nicht damit ab, dass Menschen gedemütigt, als Fremde verspottet, als Arbeitslose ausgeschlossen werden. In dem Licht dieser Wahrheit haben alle Platz.

Und schließlich: "Ich bin das Leben." Jesus Christus bürgt für ein Leben, das nicht an den Grenzen unseres eigenen Lebens endet. Er stärkt und bewahrt uns zum ewigen Leben. Dieses Leben weist weit über jeden 31. Dezember hinaus. Jesus sagt es klar: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben." Das ist die entscheidende Überschrift für das Jahr 2008.

"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich." Die Antwort Jesu führt uns in die Gemeinschaft, in der wir die Pakete unseres Lebens gemeinsam öffnen und die uns auferlegten Päckchen gemeinsam tragen können. Jesu Antwort zeichnet den Weg des neuen Jahres ein in die Verheißung von Gottes Ewigkeit. Folgen wir Thomas auf dem Weg des Glaubens: fragend, getrost und unverzagt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

Für die Richtigkeit
Hannover/Berlin, 28. Dezember 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter


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Landesbischof Johannes Friedrich

Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern
Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
Leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)

Energie, deren Preis niemals steigt: Jesus Christus

Neujahrspredigt von Landesbischof Dr. Johannes Friedrich am 1. Januar in der Münchner Matthäuskirche

Unter der biblischen Jahreslosung für das Jahr 2008 Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben hat Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in seiner Neujahrspredigt in der Münchner St. Matthäuskirche eine positive Bilanz für das abgelaufene Jahr 2007 gezogen. Die Konjunktur habe nicht nur dafür gesorgt, dass die Zahl der Arbeitslosen spürbar gesunken sei, mehr noch: "Ein neuer Optimismus beflügelte die Menschen. Investitionsbereitschaft wie Kaufkraft sind gestiegen. Nur der leistet sich ja etwas über den täglichen Bedarf hinaus, der auch zuversichtlich in die Zukunft schaut." In manchen Bereichen seien jedoch die finanziellen Belastungen deutlich gestiegen. Vor allem die gestiegenen Energiekosten hätten schmerzliche Auswirkungen: "Für Kleinverdiener und Rentner, aber auch für viele Familien ist das Leben teuer geworden".

Im Bereich der Familienpolitik lobte Friedrich die im vergangenen Jahr erreichten Fortschritte: "2007 war in Deutschland ein kinderfreundliches Jahr. Die öffentliche Diskussion hat endlich dazu geführt, dass Politik und Gesellschaft das Thema "Beruf und Familie" realistisch wahrgenommen haben. Heute haben Frauen genauso ein Anrecht, sich in ihrem Beruf zu verwirklichen, wie Männer."

Darum sei der Vorstoß der Familienministerin von der Leyen richtig gewesen, für eine Ausweitung des Angebots von Krippenplätzen zu sorgen, so Friedrich. "Kinder müssen dort von Erwachsenen betreut werden, wo sie am besten aufgehoben sind. In Krippen und Horten kann auch das geboten werden, was unabdingbar ist, um Chancen in der Gesellschaft zu haben: Bildung. Heute weiß man, dass die Frage, ob jemand in unsere Gesellschaft integriert ist oder aus ihr heraus fällt, ganz wesentlich ein Bildungsproblem ist. Deutsche Jugendliche ohne Schulabschluss haben nicht weniger Probleme als Jugendliche mit Migrationshintergrund und ohne Schulabschluss."

Augenzwinkernd übertrug Friedrich die aktuelle Debatte über hohe Energiekosten auf die Verkündigung: Ein Leben aus dem Evangelium von Jesus Christus sei eine "Energie, deren Preis niemals steigt". Die Jahreslosung Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben sei die Einladung, Christus in das eigene Leben aufzunehmen: "Wir können uns öffnen für Gott und die Menschen wie einst Jesus von Nazareth. Dazu gehört, dass wir unser Leben annehmen mit seinen Freuden, seinen Leiden und seinen Herausforderungen - wie Jesus das seine angenommen hat."


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Bischof Hans-Jürgen Abromeit
Pommersche Evangelische Kirche

Jesus Christus - Mut und Maß des Lebens

Liegt es an der trüben Zeit am Ende des Jahres, dass wir sensibler sind für die dunklen Seiten des Lebens und sie entsprechend deutlicher wahrnehmen oder häufen sich die Katastrophen tatsächlich? Gab es jemals soviel vernachlässigte, misshandelte und getötete Kinder wie heute; waren es doch zuletzt sogar zehn in einer Woche? - Um mich herum scheint der Krebs zu wuchern. In kurzen Abständen treffen Hiobsbotschaften ein von Freunden, Nachbarn, Mitarbeitern, Verwandten und Bekannten, die mit der Diagnose "bösartiger Tumor" leben müssen. Wie lange noch? Gibt es Hilfe?

Wo bleibt die Hoffnung? Reicht unsere Kraft, um das Leben auszuhalten in der ganzen Spannung, die es uns zumutet, zwischen Lust und Last? Bei manchem reicht sie offensichtlich nicht. Da stirbt der Lebensmut. Anderen, z.B. schutzlosen Kindern, wird nicht nur die Lebensfreude genommen, sondern die Lebensgrundlage entzogen, ganz wörtlich: Essen und Trinken, die grundlegendste Hilfe und Unterstützung, bis ihr Lebenslicht erlöscht. Es gibt Eltern und andere Erwachsene, die soweit dem Leben entfremdet sind, dass sie erst merken, welch einfache und grundlegende Zuwendung sie schuldig geblieben sind, wenn es zu spät ist. Wissen wir Menschen nicht, was das Leben ist und welcher Unterstützung es bedarf?

In diese Welt spricht Jesus Christus hinein: "Ich lebe und ihr sollt auch leben" (Joh 14, 19). Dieses Wort, die Jahreslosung für das Jahr 2008, schenkt jedem menschlichen Leben Hoffnung und Orientierung. Jesus Christus gibt Mut zum Weiterleben und setzt gleichzeitig das Maß für das, was Leben ist. Offensichtlich fehlt den einen das Eine und den anderen das Andere, manchen sogar Beides: Die rechte Vorstellung davon, was Leben ist, wie auch der realistische Lebensmut, der sich des Gelungenen ebenso freuen kann, wie er auch das Scheitern und das Zerbrechen, die negative Seite, die auch zum Leben gehört, aus Gottes Hand nehmen kann.

Das christliche Gottesbild schließt beides ein. Wir erzählen uns Geschichten vom Mensch gewordenen Gott, die tiefe Aussagen über das Wesen Gottes enthalten. Es ist ein Gott, der die Tiefe kennt, und dem das Gefühl, abgelehnt zu werden, nicht fremd ist. Der in Bethlehem Geborene war schutzlos und hilfsbedürftig, wie kleine Kinder nun einmal sind. Den Rabbi aus Nazareth nahm das Establishment nicht ernst. Er wurde verachtet und misshandelt, wie ein Schwerverbrecher. Schließlich wurde er aus dem Weg geräumt, vielleicht weil er zu gut war für diese Welt war. Ein solch wahrhaftiges Leben konnten diejenigen, die die Macht hatten, nicht aushalten. Die Mächtigen nahmen ihm sein Leben. Seine Klarheit und Reinheit provozierte sie. Aber Gottes Lebensmacht siegte am Ende. Sie führte den toten Jesus ins Leben zurück. Weil Gott allen Widerständen zum Trotz mit dem von den Menschen Ausgeschalteten weiter handelt, spricht er uns Lebensmut zu.

Wir sollen, können und dürfen leben. Trotz Anfechtung und aller Schwere der Aufgabe lebte Jesus ein erfülltes Leben, das mit dem Tode nicht aufhörte. So verheißt er auch uns erfülltes und unvergängliches Leben. Angesichts aller lebensbedrohlichen Mächte schenkt Jesus Christus Lebensmut. Das, was wirklich Leben ist, sehen wir in seinem Wort und Werk. Es ist ein Leben, das sich in Liebe verzehrt, in Liebe zu Gott und den Menschen. Ein Leben für andere mag Kraft erfordern, aber es lohnt sich, weil Jesus Christus uns dazu ermutigt. Er ist das Maß für das, was lebensförderlich ist. Bei allen Fragen, die den Nerv des Lebens berühren, sollten wir uns deswegen bei ihm orientieren. Das Leben beginnt, wenn Gott es geschenkt hat und es endet, wenn er es nimmt. Nein, eigentlich führt uns Gott im Sterben nur von einem Zustand des Lebens in einen anderen hinüber. Jesus ist dabei unsere Lebenskraft und der Maßstab für das, was Leben ist, erfülltes und unvergängliches Leben. In seiner Nachfolge schaffen wir notwendige Lebensbedingungen für Schutz- und Hilfsbedürftige, seien sie Kinder oder Erwachsene. In der Kraft seines Geistes wächst uns die Fähigkeit zu, auch angesichts von Krankheit und Tod mit Zutrauen in die Zukunft zu blicken.


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Präses Alfred Buß
Evangelische Kirche von Westfalen

Jesus Christus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben. (Johannes 14,19)

Geistliche Besinnung zu Neujahr 2008 für das Westfalen-Blatt, Bielefeld

"Sag beim Abschied leise Servus..." Die Melodie klingt gleich mit, wenn Sie das lesen. Peter Kreuder lässt auch fast 30 Jahre nach seinem Tod noch Menschen mitsummen.

"Servus" - beim Abschied sagen das in Österreich Menschen zueinander, die sich gut kennen, die einander nahe sind, die befreundet sind. "Servus", "zu Diensten", oder "Ihr Diener" (wörtlich "Sklave") - das bedeutet in der Alltagssprache wohl so etwas wie: "Ich bin für dich da, auch wenn ich nicht bei dir bin." "Auf mich kannst du dich verlassen." "Servus" - das ist ein Versprechen.

In der evangelischen Kirche steht über dem ganzen Jahr 2008 ein Versprechen. Das Versprechen, die Zusage, die Jesus seinen Freunden beim Abschied angesichts des eigenen Todes gibt: "Ich lebe und ihr sollt auch leben."

Mehr kann einer nicht versprechen. Das Leben!

Das Leben selbst. Nicht nur Schaffen und Raffen, nicht nur viel Alltag und wenig Sonntag. Das Leben selbst. Das Leben in Fülle.

"Ich lebe." Das haben alle gespürt, die ihn er-lebt haben.

"Und ihr sollt auch leben." Mehr als nur existieren sollt ihr. Mehr als nur schaffen und raffen. Ihr sollt leben in Fülle - bis zum letzten Tag! Ihr sollt Leben haben in allen Ausprägungen: mit euren Augen die Welt wahrnehmen; mit Zunge und Gaumen genießen; mit euren Ohren die Klänge von Mensch und Tier, von Musik und Arbeit hören; mit euren Händen streicheln, begreifen, zugreifen; mit eurem Herzen den Menschen zugeneigt sein.

Niemand hat das Recht, euch das Leben zu rauben, es zu entleeren. Niemand kann das. Denn: Es ist euch von Gott her gegeben, vom Vater. Unveräußerlich ist euer Lebensrecht bis zum letzten Atemzug - und darüber hinaus!

Wenn Nächstenliebe ein Fremdwort bleibt und Egoismus zum Nächstliegenden wird, wenn die Welt zerfällt in die, die haben und - wie es scheint - leben, und in die, die nicht haben und deshalb nicht mehr als vegetieren, dann schneiden Menschen sich selbst vom Leben ab.

"Ich lebe und ihr sollt auch leben." Mitten im Leben sagt Jesus das angesichts des eigenen Todes. Er sagt es den fassungslosen Freunden in der fröhlichen Gewissheit, dass auch der Tod ihn nicht vom Leben trennt.

Uns Menschen gemeinsam ist wohl die Sehnsucht nach einer Perspektive, nach dem Leben selbst.

"Ich lebe und ihr sollt auch leben." Erinnerung ist das und Verheißung, Trost.

Seht her: Ich lebe - mit euch und für euch! Seht weiter: Ihr sollt leben - morgen noch - mit mir und für mich! Seht her: Ihr habt Begleitung, Beistand, Trost. Ich bin da, "zu Diensten", "Servus". Das sagt einer, der mir nahe bleibt!

"Ich lebe und ihr sollt auch leben." Das ist die klare Zusage: Gottes Liebe geht über unsere engen Grenzen hinaus, sie entgrenzt unser Leben in seine Ewigkeit hinein. Unsere Sehnsucht wird erfüllt - in den kleinen Auferstehungen im Alltag, den kleinen Aufständen gegen den Tod mitten im Leben, und in der großen Auferstehung zum Leben bei Gott.


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Landesbischof Frank Otfried July
Evangelische Landeskirche in Württemberg

"Ich lebe, und ihr sollt auch leben", so lautet die Jahreslosung für das Jahr 2008, die im Johannesevangelium 14,19 steht.

Wir sind mitten im Leben vom Tod umgeben, das verfolgt einen nicht nur in den Medien unausweichlich, sondern wir sehen es, je älter wir werden, desto deutlicher im eigenen Lebensumfeld.

Vieles im Leben würden wir gerne verdrängen und verbergen: das Böse und die Bedrohung, Urängste und schlimme Erfahrungen, Abschiede, Trennungen und Verluste sind ein Trauerrand, der alles umgibt.

"Abschiedsreden" nennt man den Textzusammenhang, in dem die neue Jahreslosung im Johannesevangelium steht. Jesus nimmt Abschied. Er weiß, dass er sterben wird. Bald werden die Jünger alleine sein. Sie müssen lernen, ohne ihn auszukommen. Ein Trauerrand wird von nun an, solange er noch lebt, alles umgeben, was er sagt und tut, denn sein Lebensweg führt ins Dunkle, in den Tod.

Der dunkle Punkt in unserem Leben betrifft Anfang und Ende. Das Unglück der Zukunft, vor dem wir uns in schweren Zeiten fürchten, erscheint wie eine Fahrt in die Finsternis. Das Leben kann dann zur Last werden. Denn alle Todesfragen sind zugleich Lebensfragen, und wenn Todesgedanken das Leben überschatten, nehmen sie ihm seinen Glanz. Der Todesschatten kann sich über alles legen, was uns wertvoll ist. Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Mitten im Leben warten wir manchmal in aussichtslosen Momenten verzweifelt auf Antwort und Trost.

Leben bedeutet auch Herzschmerz und gebrochene Beziehungen. Leben bedeutet auch Desillusion und Verzweiflung. Leben bedeutet, Sehnsucht haben nach einer Antwort, die tröstet und heilt. Angesichts des Todes wird Leben unendlich kostbar, weil es Hoffnung birgt, solange es dauert.

Aber Jesus Christus spricht: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben."

Wenn Christus in unser Leben kommt, dann bricht Gottes Ewigkeit herein in unsere Sterblichkeit. Er hat unser Leid erlitten und ist unseren Tod gestorben, damit wir leben sollen. Gottes letztes, entscheidendes Wort über das Leben Jesu heißt Auferstehung. Dieses Wort umfängt alles, was unsere Existenz ausmacht. Gäbe es dieses Wort nicht, wir müssten an unseren Gräbern verzweifeln. Aber die Auferstehung Jesu weitet auch unser Leben in eine neue Zukunft.

Und deshalb steht christlicher Glaube in jeder Hinsicht für das Leben. Die Abschaffung der Todesstrafe, für die die UN-Vollversammlung am 18. Dezember 2007 mit großer Mehrheit gestimmt hat, ist davon genauso umfasst, wie die selbstverständliche Forderung, dass Kinder ein Recht auf Leben, Unversehrtheit und gesunde Entwicklung haben müssen. Was in ihrem Leben angelegt ist, das soll um Gottes Willen beschützt werden, wachsen und reifen dürfen. Das intensive Eintreten für die Erhaltung der Schöpfung, für die Chancen und Möglichkeiten eines Lebens in Gerechtigkeit, Religionsfreiheit, für Menschenrechte ist ein Ausdruck jener Zusage, die Christus gibt. ... ihr sollt auch leben. Leben ist kein egoistisches Gut, das man an sich reißt, sondern hat immer auch den anderen Menschen im Blick. Ich lebe ... ihr sollt auch leben.

Ich möchte Ihnen im Blick auf die Jahreslosung aber auch gerne Mut machen, die Freude im neuen Jahr nicht zu vergessen. Wir dürfen uns auch über uns selbst freuen und auch einmal stolz auf uns selber sein, nicht weil wir das aus uns selbst heraus könnten, sondern weil wir von Gott geliebte Menschen sind. In einer solchen Haltung können wir getrost das Jahr 2008 betreten.


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Bischof Axel Noack
Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen

Das Leben steht über der Gesundheit

"Das Leben verliert gegenüber der Gesundheit deutlich an Wert", meint Axel Noack, Bischof der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, im Hinblick auf das neue Jahr. Eine eingeschränkte Gesundheit oder eine Behinderung würden in unserer Gesellschaft das Leben abwerten. Gesundheit könne sich sogar gegen das Leben stellen, wenn sich Menschen wünschten, lieber tot als krank zu sein. "Die Alten wollen niemand zur Last fallen und schon die Jungen spüren, wer nicht fit und leistungsfähig ist, hat schlechte Karten im dauernden Wettbewerb. Nur gesundes Leben scheint richtiges volles Leben zu sein", so der Bischof. Somit sei es auch nicht zufällig, dass in der heutigen Zeit so heftig über die Sterbehilfe diskutiert werde.

Axel Noack fordert deshalb ein intensives Nachdenken über Gesundheit und Leben, wobei die Fragen nach Krankheit und Behinderung nicht ausgeschlossen werden dürften. "Wir werden hoffentlich im Geiste Jesu allen denen widerstehen, die bestimmte Abschnitte des Lebens als weniger wichtig und schützenswert beschreiben wollen." Das gelte für alle Phasen des Beginnes menschlichen Lebens, auch im Embryonalstadium, so Bischof Noack weiter. "Das gilt auch für Krankheit und Behinderung, ja sogar für das letzte Wegstück auf dieser Erde, für unser Sterben, und nicht zuletzt sogar für die Friedhofs- und Begräbniskultur".

Hannover, 28. Dezember 2007
Pressestelle der EKD
Christof Vetter


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 286 vom 28.12.2007
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2008