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KIRCHE/626: Wie sollte der Papst gewählt werden? (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 8/2008

Wie sollte der Papst gewählt werden?
Überlegungen und Denkanstöße

Von Eberhard von Gemmingen


Niemand weiß, wann der nächste Papst gewählt wird. Aber man sollte sich über die Zusammensetzung des Papstwahlgremiums und die Modalitäten der Wahl Gedanken machen. Der Jesuit Eberhard von Gemmingen, Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan, gibt dazu Denkanstöße, die wir zur Diskussion stellen.


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Dass die katholische Kirche im Lauf der letzten 50 Jahre von einer mehrheitlich europäischen zu einer Weltkirche geworden ist, braucht keine weitere Erläuterung. Das statistische Jahrbuch des Vatikans (Ausgabe 2005) zeigt es. Nach Angaben von Philip Jenkins von der Pennsylvania State University wächst die Zahl der Katholiken bis zum Jahr 2050 in Afrika um 146 Prozent, in Asien um 63 Prozent, in Lateinamerika und der Karibik um 42 Prozent, in Nordamerika um 38 Prozent. In Europa schrumpft sie um 6 Prozent. Die Gewichte verschieben sich, die Zeit der "weißen Mehrheit" in der Kirche sei vorbei - so Jenkins.

Daher ist es nicht überflüssig, vorauszuschauen und die Frage zu stellen, wie sich das möglicherweise in der Zahl der Papstwähler niederschlagen könnte.

Vor einigen Jahrzehnten war darüber diskutiert worden, ob das Kardinalskollegium als Papstwahlgremium durch die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen ersetzt werden sollte. Dagegen spricht unter anderem, dass die Zusammensetzung einer solchen Versammlung von Konferenzvorsitzenden sich sehr rasch ändert. Damit wird es für die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen sehr schwer, sich gegenseitig zu kennen, was ja wohl für ein Papstwahlorgan notwendig ist. Das Kardinalskollegium als Papstwahlorgan ist nicht nur aus historischen Gründen sinnvoll, sondern auch aus theologischen: Der Papst ist grundlegend als Nachfolger Petri Bischof von Rom, und die Kardinäle haben als Beratungsorgan des Papstes symbolisch eine Titelkirche in Rom und gehören so zum römischen Klerus, der seinen Oberhirten wählt. Man darf also sicherlich nicht leichtfertig über Änderungen nachdenken.


Wie sollte das Kardinalskollegium zusammengesetzt sein?

Dennoch kann die Frage nach der Zusammensetzung des Papstwahlgremiums nicht verboten sein. Gerade kurz nach einer Papstwahl können sich ja alle Beteiligten und die Verantwortungsträger in Theologie und Kirche leichter die Frage stellen, ob die Zusammensetzung des Kollegiums und die Wahlmethode den Anforderungen einer veränderten Kirche entsprechen.

Solange keine Papstwahl ansteht, mag die prozentuale Verteilung der Kardinäle auf Länder und Kontinente relativ unwichtig sein. Wer denkt schon über die "Ehre" nach, im eigenen Land einen Kardinal zu haben? Nach dem Evangelium sollte ja auch niemand auf solche "Ehren" achten. Zum Zeitpunkt eines Konklaves aber sind die Zusammensetzung des Kollegiums und die Herkunft der Kardinäle dann doch wichtig. Erst recht ist wichtig, dass sie sich untereinander kennen oder wenigstens im Konklave kennen lernen.

Über die Zusammensetzung des Konklaves und die Möglichkeit, sich vor der Papstwahl und beim Konklave selbst kennen zu lernen, sollen hier einige Überlegungen vorgelegt werden. Sie wollen keine festen Pläne vorlegen, sondern nur einen Denkanstoß geben. Es scheint nicht überflüssig, dass sich Fachleute einmal international darüber austauschen.

Beim Konklave im Jahr 2005, aus dem Papst Benedikt XVI. hervorging, waren 58 von 117 Kardinälen Europäer, 20 von den 58 Europäern waren Italiener. 59 kamen aus Afrika, Asien, Nord- und Lateinamerika. Bekanntlich lebt in Lateinamerika etwa die Hälfte aller Katholiken der Welt. Sie waren durch nur 21 Kardinäle vertreten - fast ebenso viele wie Italien. 18 Kardinäle kamen aus Nordamerika, zwei aus Ozeanien.

In allen 53 Ländern Afrikas gibt es Katholiken. Insgesamt sind es 153 Millionen. Nur elf afrikanische Kardinäle haben an der Papstwahl 2005 teilgenommen. Davon kamen zwei aus Nigeria. Dort leben rund 20 Millionen Katholiken.

Der Prozentsatz der Katholiken in Asien ist gering. Aber immerhin bekennen sich auch dort 116 Millionen Menschen zur katholischen Kirche. Auch sie waren durch elf Kardinäle beim Konklave vertreten. Zwei von ihnen kamen von den Philippinen, wo es fast 70 Millionen Katholiken gibt.

Die Gründe für den geringen Prozentsatz von Kardinälen aus Afrika, Asien und Lateinamerika sind vielfältig: die Kirchen sind jung, es gibt dort im Gegensatz zu Europa noch keine traditionellen Bischofssitze mit Kardinalsrang, möglicherweise fehlen auch entsprechende Kandidaten, und die Zahl der Bischofssitze in Europa, die bisher immer einen Kardinal hatten, ist groß. Die Zahl der Papstwähler soll aber nicht größer sein als 120. Wer Afrika, Asien und Lateinamerika erhöhen will, muss Europa absenken - oder das Limit von 120 überschreiten.

Nun würde es aber vermutlich einen Aufschrei des Entsetzens und Proteste geben, wenn traditionelle Kardinalssitze nicht mehr berücksichtigt würden. Immer noch herrschen traditionelle Vorstellungen. Um einen gerechteren Ausgleich zu schaffen, muss man also entweder unpopuläre Maßnahmen ergreifen oder die Zahl von 120 papstwahlberechtigten Kardinälen erhöhen.

Vor allem ist ein Schrei des Protestes zu erwarten, wenn einige der neun angestammten Kardinalssitze Italiens nicht mehr berücksichtigt würden. Es handelt sich um die Bischöfe von Turin, Mailand, Venedig, Genua, Bologna, Florenz, Rom, Neapel und Palermo. In anderen Ländern Europas gibt es zwar wesentlich weniger traditionelle Kardinalssitze, aber auch hier ist ein Kopfschütteln zu erwarten, wenn Traditionen abgeschafft würden.

Eine Rechnung hilft weiter: In Italien kommen auf 55 Millionen Katholiken neun Kardinäle. Gerundet kann man sagen: auf sechs Millionen ein Kardinal. Wenn man diese Zahl zugrunde legt, kämen auf alle 1,1 Milliarden Katholiken weltweit (nur) rund 220 Kardinäle. Die Zahl ist nicht erschreckend hoch, dennoch scheint das Gremium für die Papstwahl zu groß zu sein. Im Vergleich zu anderen kirchlichen und bürgerlichen Wahlgremien aber ist diese Zahl durchaus vorstellbar.

Wenn man nach dem italienischen Schlüssel vorgeht, kämen etwa aus Indien mit 20 Millionen Katholiken vier Kardinäle; aus Deutschland mit 26 Millionen Katholiken vier oder fünf Kardinäle; aus Polen mit 40 Millionen Katholiken sieben Kardinäle; aus den USA mit rund 60 Millionen Katholiken 10 Kardinäle; von den Philippinen mit 60 Millionen Katholiken 10 Kardinäle; aus Brasilien mit 135 Millionen Katholiken 22 Kardinäle. Das Kardinalskollegium sähe anders aus.


Wie sollte das Konklave ablaufen?

Es wäre nicht verwunderlich, wenn gegen dieses Modell erhebliche Bedenken geäußert würden. Man könne nicht solche große Änderungen einführen, traditionell sei man mit den Italienern gut gefahren, es gebe gar nicht genügend qualifizierte Kardinalskandidaten in vielen Ländern der Erde. Zudem sei das Kardinalskollegium gar nicht so wichtig. Und das theologische Argument: Der Papst ist zunächst Bischof von Rom, daher sei die große Zahl von italienischen Kardinälen nahe liegend. Eine stärkere Internationalisierung des Kardinalskollegiums unterstreiche die Allzuständigkeit des Papstes. Diese sei theologisch überhaupt nicht gerechtfertigt, die Ortskirchen, die Bischöfe mit ihrer Verantwortung müssten theologisch und praktisch aufgewertet werden. Eine Vergrößerung des Kardinalkollegiums sei ein falsches, ein kontraproduktives Zeichen.

All diese Einwände haben ihr Gewicht. Die Veränderung des Kardinalskollegiums darf vor allem nicht überstürzt vorgenommen werden. Aber ist es verantwortlich, überhaupt nicht über eine Veränderung nachzudenken? Man sollte lieber frühzeitig reflektieren als später nur reparieren. Es ist ja nicht auszuschließen, dass überraschend Petitionen aus Ländern Afrikas und Asiens um mehr Kardinalssitze kommen. Auf diese sollte man langfristig und wohl überlegt vorbereitet sein.

Noch liegt das Konklave von 2005 mit der Wahl von Papst Benedikt XVI. nicht weit zurück. Noch wissen Beobachter und erst recht die Beteiligten, was gut und was weniger gut gelaufen ist. Die Kardinäle einigten sich schon im vierten Wahlgang auf Kardinal Ratzinger. Das ist nicht verwunderlich, denn er ragte theologisch über (fast) alle anderen weit heraus, er hatte Vatikanerfahrung. Die Kurienkardinäle wussten, wie man mit ihm umzugehen hatte; sie wussten, dass er kein Karrierist ist, dass er viele Sprachen beherrscht und einen guten Eindruck machen würde.

Man stelle sich aber vor, Papst Benedikt stürbe heute überraschend. Wer wäre dann "dran"? Schon vor drei Jahren gab es in Europa erstaunlich wenig ernst zu nehmende Kandidaten: die großen "katholischen Länder" boten offenbar niemanden: Frankreich, Spanien, Italien, Polen, auch Deutschland (außer Ratzinger). Schon eher kamen "kleine Länder" in Frage: Österreich, Belgien, Portugal. Daher richteten sich die Augen auf Lateinamerika, und es soll ja auch eine Gruppe von Kardinälen gegeben haben, die eher gegen Kardinal Ratzinger gewesen seien, aber in Lateinamerika auch keinen sie überzeugenden Kandidaten gefunden hätten.

Vor allem ist zu befürchten: Die Kardinäle, die fern von Rom leben und arbeiten, sind vergleichsweise weniger bekannt als die Kardinäle im Vatikan und in Europa. Daher könnte man überlegen, ob und wie man das Konklave und seine Vorbereitung anders organisieren kann.

Sicher ist die Wahl eines Papstes mit keiner Wahl im politischen und religiösen Bereich zu vergleichen. Sicher ist sie eine Wahl sui generis. Sie hat vor allem religiöse, aber auch politische und andere Aspekte. Niemand ist um seine Möglichkeit, am Konklave teilzunehmen, zu beneiden. Die Verantwortung ist eine Last. Aber die Betrachtung anderer Wahlen und ihrer Methoden kann nicht unbedingt unnütz sein. Für die Wahl im Konklave bieten die Wahlmethoden von Ordensoberen möglicherweise brauchbare Elemente. Orden gehören zu den wenigen kirchlichen Gremien, in denen gewählt wird, und bei denen eine Jahrhunderte lange Erfahrung vorliegt. Freilich hat ein Abt, ein Provinzoberer oder ein Generalminister eine ungleich geringere Verantwortung als ein Papst. Und dennoch gibt es in den Orden strenge Regeln des Verfahrens.


Denkanstöße sind notwendig

Bei den Benediktinern etwa, die wohl die längste Erfahrung im Wählen haben, darf nie für oder gegen eine einzelne Person Werbung gemacht werden. Bei den Dominikanern geht es von unten nach oben streng demokratisch zu. Die Jesuiten haben vielleicht das ausgefeilteste System, um den Geeignetsten zum Generaloberen zu wählen. Die delegierten Jesuiten, die ihren Generaloberen wählen sollen, kennen sich untereinander kaum. Daher finden vier Tage lang "murmurationes" statt, was man mit "Gemurmel" übersetzen muss. Bei diesem "Gemurmel" gibt es sehr strenge Regeln, die einfach sind und leicht eingehalten werden können. Um nach seinem Gewissen entscheiden zu können, darf der einzelne Delegierte die Anderen nur fragen, nie für oder gegen einen werben. Und aufgrund dessen, was er erfahren hat, muss er wählen. Es gibt keine Absprachen, keine Kandidaten, keine Werbung. Das Ganze ist eingebettet in eine Atmosphäre des Gebets. Jeder Einzelne soll viel um den Beistand des Heiligen Geistes beten, ebenso die Gemeinschaft zusammen (vgl. HK, Mai 2008, 250 ff.).

Auch das Konklave und die Kardinalsversammlungen zu dessen Vorbereitungen sind eingebettet in Gebet und Betrachtung. Auch das Konklave ist ein geistlicher Vorgang. Die einzige Frage ist heute, wie die Kardinäle, die aus verschiedenen Erdteilen kommen, sich gegenseitig so gut kennen können, dass auch die aus entfernten Weltgegenden in Betracht gezogen werden können. Und dies würde vor allem dann gelten, wenn das Kardinalskollegium entsprechend der Größe der Weltkirche vergrößert würde.

Kein Modell der Wahl in einem Orden kann man aufs Konklave übertragen. Aber die Beratungsmodelle der Orden könnten bei einem vergrößerten Konklave dazu helfen, dass weniger bekannte Kardinäle bekannt werden, und die Möglichkeit wächst, dass sie auf den Stuhl Petri gewählt werden. Die ganze Papstwahl soll auf der Linie der letzten Jahrhunderte nicht als politischer, sondern muss von allen als geistlicher Akt gesehen werden.

Ich möchte ausdrücklich keine Vorschläge machen, sondern nur einen Denkanstoß zur Diskussion geben. Es kann nicht verkehrt sein, wenn auf gehobener Ebene darüber nachgedacht wird, wie heute ein Nachfolger Petri für eine Weltkirche mit mehr als einer Milliarde Menschen gewählt wird.

Da die Weltkirche immer internationaler wird und immer weniger europäisch ist, ist es auch immer komplizierter, sie zu leiten und zusammenzuhalten. Daher ist die Kirchenleitung der Zukunft notwendigerweise immer weniger das Tun eines Einzelnen, des Papstes, sondern eines Kollegiums.


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Eberhard von Gemmingen (geb. 1936) trat 1957 in den Jesuitenorden ein und arbeitet seit 1982 bei Radio Vatikan als Leiter der deutschsprachigen Redaktion.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 8, August 2008, S. 428-430
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2008