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KIRCHE/717: Die EKD vor neuen Orientierungen ihrer Weltdienste (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 12/2008

Anspruch und Wirklichkeit
Die EKD vor neuen Orientierungen ihrer Weltdienste

Von Eberhard le Coutre


Nicht allein wegen der Fusion von Diakonischem Werk der EKD, Brot für die Welt und Evangelischem Entwicklungsdienst stellt sich die Frage, was aus den großen Initiativen der EKD zur Wahrnehmung konkreter Weltverantwortung geworden ist. Und was wird getan, dass das Thema Weltverantwortung auch in den Gemeinden und Kirchen lebendig bleibt?


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Die Beziehungen zur Geografie haben die Katholiken besser geregelt. Bis in die hintersten Winkel der entlegensten Diaspora verstehen sie sich als einer - genauer: der - Weltkirche zugehörig. Bei anderen Kirchen, zum Beispiel bei den Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist das komplizierter.

Für die Entdeckung der Geografie durch die EKD sind vor allem zwei der bisher neun Vollversammlungen des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) wichtig, die in Deutschland beide besonders aufmerksam wahrgenommen wurden. Zunächst die Gründungsversammlung des ÖRK im Sommer 1948 in Amsterdam unter dem Thema "Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan". Zweitens die vierte ÖRK-Vollversammlung in Uppsala im Juli 1968, von der entscheidende Impulse bemerkenswert schnell durch die EKD-Synode im Oktober desselben Jahres 1968 in Spandau aufgegriffen worden waren zur Begründung des "Kirchlichen Entwicklungsdienstes" (KED) der EKD.


Die Unordnung der Welt und Gottes Heilsplan

Das Motto von Amsterdam 1948 ist eine bisher nicht übertroffene aktuelle Beschreibung des theologischen ebenso wie des geographischen Ortes, an dem Christen und Kirchen ihre Aufgaben finden und definieren müssen. "Unordnung" wird als vorgefundene Grundbefindlichkeit der Welt verstanden, also nicht als etwas Ähnliches wie "Unterentwicklung", die durch angestrengte Entwicklungsbemühungen aufgehoben werden könnte.

Zu Beginn sprach Karl Barth, einer der prägenden evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts, mit großer Leidenschaft davon, dass "Gottes Heilsplan" für die Welt eben wirklich "sein Plan" ist, der nicht mit "irgendeiner Art von christlichem Marshallplan, den wir etwa ersinnen, verwechselt werden darf".

Die Bedeutung der ersten ÖRK-Vollversammlung in Amsterdam war insbesondere dadurch vorgegeben, dass hier die Vertreter von Kirchen aus Ländern der Täter wie der Opfer und somit Vertreter aus den Ländern der Sieger ebenso wie der Verlierer des letzten furchtbaren Krieges sich in versöhnlicher Absicht begegneten und neue Wege in die Zukunft suchten. Zwanzig Jahre später, 1968 in Uppsala, war ein anderer Widerspruch beherrschend geworden: Das Missverhältnis zwischen den reicher werdenden reichen und den ärmer werdenden armen Ländern und der in ihnen lebenden Kirchen und Christen. Die in Uppsala Versammelten erkannten und bekannten, dass sie auf ihnen als unerträglich erscheinende Weisen in diese fatalen Widersprüche verwickelt sind und suchten nach Auswegen und neuen Orientierungen.

Mit dem Motto von Uppsala 1968 "Siehe, ich mache alles neu" (Offenbarung 21,5) wurde das Grundproblem christlichen Handelns in der Welt außerhalb der eigenen Kirchen und Gemeinden, also insbesondere auch im politischen Leben, ins Zentrum der Beratungen gerückt: Wie kann die Botschaft über und die Hoffnung auf das von Gott angekündigte Neue in Beziehung gebracht werden zum eigenen Handeln der Christen und der Kirchen? Ein wichtiges und in den Jahren nach Uppsala große Verbreitung findendes Leitmotiv für neue Orientierungen wurde das Stichwort Vorwegnahme (anticipation), also die Überzeugung, durch Einzelbeispiele konkret erkennbar werdende Zeichen für Gottes neue Welt errichten zu können und zu sollen. In der Botschaft der Vierten ÖRK-Vollversammlung an die Christen und Kirchen in der Welt heißt es: "Im Vertrauen auf Gottes erneuernde Kraft rufen wir euch auf: Beteiligt euch an dieser Vorwegnahme des Reiches Gottes und lasst heute schon etwas von der Neuschöpfung sichtbar werden, die Christus an seinem Tag vollenden wird". Und ganz konkret: "Wir sind bereit, uns selbst eine Abgabe aufzuerlegen, um damit ein weltweites Steuersystem vorzubereiten".

Vor allem der ökumenische Aufruf in Uppsala an die Kirchen, bereit zu werden zum Teilen war es, der bei der EKD ein überraschend intensives und außergewöhnlich schnelles Echo fand. Bis 1945 waren die evangelischen Kirchen in Deutschland über Jahrhunderte provinzialistisch, weitgehend deutsch-national, kaiser- bis teilweise führertreu orientiert. Die geographische Welt außerhalb Deutschlands existierte für die Kirchen allenfalls als Missionsfeld oder als Betreuungsdomäne für die so genannten Auslandsdeutschen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erst begannen die eigentliche Entdeckung der Geographie durch die evangelischen Kirchen in Deutschland und damit verknüpfte Bemühungen um ein neues Selbstverständnis. Es gab außerordentlich bemerkenswerte und eindrucksvolle Aufbrüche mit großem personellem Engagement. Vor allem auch die evangelischen Jugendorganisationen und insbesondere die Evangelische Studentengemeinde in Deutschland gehörten zu den Pionieren der Neuanfänge.

Insgesamt vier Mal hat die EKD sich bisher an die Gemeindeglieder und ihre Gliedkirchen mit konkreten Anregungen und Initiativen zu neuer Weltverantwortung gewandt: zuerst 1959 gemeinsam mit den Freikirchen zum Spendenaufruf "Brot für die Welt" (BfdW); dann 1960 ebenfalls gemeinsam mit den Freikirchen die Gründung des Entwicklungshelferdienstes "Dienste in Übersee" (DÜ).

Als Antwort auf Uppsala 1968 kamen dann bei der Spandauer Synode weiter hinzu: Erstens die Bitte der EKD-Synode an alle Gemeindeglieder, Mittel in Höhe von mindestens einem Prozent ihres Einkommens zum Richtsatz für ihre persönlichen Spenden an Brot für die Welt und damit vergleichbare Zwecke zu machen; haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter der Kirchen sollten dabei mit gutem Beispiel vorangehen und sich in ihren Gemeinden energisch für dieses Ziel einsetzen.

Zweitens erging der Aufruf der EKD-Synode an die Mitgliedskirchen zur Bereitstellung von kirchlichen Haushaltsmitteln, im Wesentlichen Kirchensteuern in Höhe von mindestens zwei Prozent - mit Perspektive fünf Prozent - für Aufgaben, die der Überwindung von Armut, des Hungers und der Not in der Welt und ihrer Ursachen dienen. Ausdrücklich hinzugefügt wurde: "und zwar zusätzlich zu den für diese Aufgaben bereits ausgewiesenen Haushaltsmitteln".

In seinem in weiten Teilen sehr bemerkenswerten Vortrag in Berlin am 16. Oktober 2008 zur Festveranstaltung "40 Jahre KED" hat der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, den Ein-Prozent-Aufruf der Spandauer Synode nicht erwähnt. Auch die Ergänzung zum Zwei-Prozent-Aufruf an die Gliedkirchen "zusätzlich zu den für die Aufgaben bereits ausgewiesenen Haushaltsmitteln" kommt in dem Festvortrag nicht vor.

"Brot für die Welt" und "Dienste in Übersee", das waren Aufrufe zum Helfen. Die Aufrufe an die einzelnen Gemeindeglieder, ein Prozent ihrer Einkünfte zum Maßstab werden zu lassen für einen freiwilligen weltweiten Solidarbeitrag und der Appell an die Kirchen, zwei bis fünf Prozent ihrer Haushaltsmittel der Kirchensteuern für Aufgaben der Armutsbekämpfung bereit zu stellen, das waren Ermutigungen zum Teilen. Der Schritt vom Helfen zum Teilen ist von qualitativer Art.

Die wirkliche Reichweite eines solchen Schrittes wird in den Kirchen und von den Werken ihrer ökumenischen Diakonie allerdings nach ermutigenden Anfängen in den siebziger Jahren nicht mehr konsequent und einladend verbreitet und als besondere Herausforderung an die kirchliche Publizistik und Öffentlichkeitsarbeit verstanden, obwohl die Spandauer Synode sich auch genau dazu deutlich geäußert hatte: "Eine möglichst anschauliche Information der Gemeinden über die Zwecke, für die das Geld benötigt wird, ist von grundlegender Bedeutung. Die Information soll die Gemeinden auch in den Stand setzen, auf die Verwendung der Mittel im Rahmen der gesamtkirchlich festzulegenden Verwendungszwecke Einfluss zu nehmen."

Aus verschiedenen Gründen ist unter den vier bisherigen Initiativen der EKD zur Wahrnehmung konkreter Weltverantwortung der Ein-Prozent-Beschluss der interessanteste und zwar darum, weil er das Gewissen jedes einzelnen Christen unmittelbar anspricht. Was hat sich in der EKD im Laufe der Jahre verändert, dass gerade dieser Punkt nicht mehr gesehen und thematisiert wird, obwohl der Geldmangel immer spürbarer wurde?

Den Ein-Prozent-Beschluss verwirklichen kann nicht lediglich heißen, den Appell immer wieder bei jeder Gelegenheit neu zu artikulieren. Es müsste schon sehr deutlich dazu gehören, dass speziell zur Beteiligung an einer Initiative eingeladen wird, über die alle Gemeinden regelmäßig informiert werden können, die von den Kirchenleitungen unterstützt wird und die den einzelnen Gemeindegliedern, die sich daran beteiligen, Möglichkeiten einräumt, Schwerpunkte auszuwählen sowohl für Projektkategorien als auch für regionale Prioritäten.

Im Blick auf Kirchensteueranteile für den KED war es bisher so, dass die Gliedkirchen der EKD in jedem Jahr bei der Aufstellung ihrer eigenen Haushalte neu über das Ausmaß ihrer Beteiligung am KED beraten und beschlossen haben. Das wurde bis vor kurzem als ein bedeutender Bestandteil der Anbindung dieser Aufgaben an der kirchlichen Basis verstanden. Inzwischen wird von den zuständigen Gremien die Absicht verfolgt, die Beiträge für den KED auf dem Umlagewege zu erheben. Die jährliche Wiederkehr der ökumenischen Weltverantwortung bei den Haushaltsberatungen der Gliedkirchen wäre damit vom Tisch. Das ist an und für sich schon bedenklich genug. Aber es kommt noch hinzu, dass diese Neuregelung zur Zeit diskutiert wird mit der Vorstellung, die Umlage festzulegen auf 1,5 Prozent und darüber hinaus den Gliedkirchen einzuräumen, dass sie bis zur Hälfte ihrer eigenen Aufwendungen für Mission und Weltdienste darauf anrechnen können. Das wären zwei Schritte zurück hinter die Beschlüsse von Spandau: Nicht mehr mindestens zwei Prozent und nicht mehr zusätzlich zu den bereits in den Haushalten festgeschriebenen eigenen Weltdienst-Aktivitäten.

Außer dem Zwei-Prozent-Appell an die Mitgliedskirchen der EKD und ihrem Ein-Prozent-Appell an die einzelnen Gemeindeglieder gab es noch einen weiteren Beschluss, den die EKD-Synode 1968 gefasst hatte, um die damals notwendigen Neuanfänge zu verwirklichen: "Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland wird gebeten, eine ständige Arbeitsgruppe der EKD für Entwicklungspolitik in Deutschland zu schaffen. Diese Arbeitsgruppe hat den Auftrag, Angelegenheiten der kirchlichen Mitverantwortung in der Entwicklungspolitik nach der grundsätzlichen und praktischen Seite hin einschließlich der Bildung der öffentlichen Meinung zu bearbeiten. Sie dient den Organen und Amtsstellen der EKD zur sachverständigen Beratung in allen Angelegenheiten der Entwicklungspolitik."

Damit war festgeschrieben worden: Der Rat der EKD ist der verantwortlich Handelnde. Bis Ende 1999 gab es deshalb im Kirchenamt der EKD eine personell sehr gut besetzte ständige Arbeitsgruppe und es wurde die Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst geschaffen. Zahlreiche bis heute aktuelle Beiträge zur ökumenischen Entwicklungsdiskussion ebenso wie zu weiterführenden Initiativen innerhalb der EKD-Gliedkirchen und der innerdeutschen Diskussion mit gesellschaftlich, wirtschaftlich, wissenschaftlich und politisch wichtigen Partnern sind dieser Arbeitsgruppe zu verdanken.

Aber bei der Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) machte die EKD im Zusammenhang ihrer Weltdienstaktivitäten einen folgenreichen Fehler. Die personelle Präsenz der Entwicklungsverantwortung im Kirchenamt der EKD wurde auf eine halbe Oberkirchenratsstelle reduziert und es wurde versäumt, bei dem neu gegründeten Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) eine vergleichbare Arbeitsgruppe zu installieren.

Konkret hieß das: Verlagerung der Verlautbarungskompetenz der EKD (unter anderem zu deren jeweiliger Vorbereitung war ja die Gruppe berufen worden) für Äußerungen zu globalen politischen, wirtschaftlichen und entwicklungsbezogenen Fragen weg von Synode, Rat und Kirchenamt der EKD hin zu der personell dafür nicht ausreichend qualifizierten Serviceagentur EED. Damit verbunden waren Einschränkungen für die Geschäftsführung und Wirksamkeit der inzwischen in "Kammer für nachhaltige Entwicklung" umbenannten früheren Kammer für Kirchlichen Entwicklungsdienst und insgesamt eine Reduzierung der ökumenischen Kompetenz der EKD. Das musste als Rückzug der EKD aus der einmal von ihr selbst verkündeten und seit 1968 viele Jahre hindurch mit Wirkungen weit über die kirchlichen Grenzen hinaus wahrgenommenen Weltverantwortung verstanden werden.


Zurück in der Provinz

Die kurze Geschichte der Entdeckung der Geografie durch die EKD war am Ende, man war wieder in der Provinz angekommen. Folgerichtig rückten Stellungnahmen des EED zu politischen Fragen nun immer deutlicher in die Nähe von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und ließen vorangegangene theologische Reflexion und Argumentation nicht mehr klar erkennen. Der EED war selbst zu einer Nichtregierungsorganisation geworden. Um nicht missverstanden zu werden: Zur Wahrnehmung ihrer Entwicklungsverantwortung ist die Bundesrepublik Deutschland dringend auf das Vorausdenken und die Mitwirkung von NGOs angewiesen. Viele von ihnen leisten Hervorragendes und sind für eine Reihe von Themenschwerpunkten besser aufgestellt als die Kirchen.

Dass die durch die Gründung des EED geschaffenen Fakten von Fehlentscheidungen begleitet waren, hat der Vorsitzende des Rates der EKD, Wolfgang Huber, in seinem Festvortrag "40 Jahre KED" zwar nicht expressis verbis betont, - die entstandene wenig befriedigende Situation aber doch ausführlich und deutlich angesprochen: "Die Fragen des kirchlichen Entwicklungsdienstes drohen mehr und mehr auszuwandern, weil die Landeskirchen und auch die EKD immer mehr Aufgaben an die Entwicklungswerke und ihre Experten delegieren. Wie können wir dafür sorgen, dass das Thema Weltverantwortung neben der kompetenten Wahrnehmung in den Werken auch in den Gemeinden und Kirchen lebendig bleibt?" Darf angenommen werden, dass auch die Chefetage der EKD endlich bemerkt hat, dass der EED keine geglückte Konstruktion war?

In einer Gemeinsamen Presseerklärung erklären das Diakonische Werk der EKD (DW EKD), Brot für die Welt und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED) am 23. Oktober 2008, dass die Mitgliederversammlung des EED und die Diakonische Konferenz jeweils einstimmig beschlossen haben: "Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands (DW EKD) und der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) schließen sich zu einem Gesamtwerk zusammen (...). Damit ist der Weg frei für die Fusion beider Werke zu einem neuen 'Evangelischen Zentrum für Entwicklung und Diakonie', das am zentralen Standort Berlin bis spätestens 2013 entstehen soll."

Das eigentlich Enttäuschende an den bisher bekannt gewordenen Absichtserklärungen zu den Fusionsbeschlüssen, durch die immerhin über 500 Menschen quer durch die Republik bewegt und für die erhebliche Mittel aus Kirchensteuern aufgewendet werden müssen, sind die ausufernden Beschreibungen funktionaler und struktureller Befindlichkeiten und Veränderungsabsichten unter auffallender Vermeidung auch nur einer Andeutung von zu klärenden Theoriedefiziten. Das heißt doch: Zwei Werke der Evangelischen Kirche in Deutschland beschreiben Notwendigkeiten, Motive, Ziele und Impulse für eine weitreichende Neuorientierung ihrer Außenbeziehungen und Arbeitsweisen ohne die den Kirchen eigene Denkbemühung - nämlich Theologie -in Anspruch zu nehmen.

Sind die Architekten kirchlicher Neuorientierungen jetzt Betriebswirte und Soziologen oder noch andere Berater, deren Bemühungen Theologen nur stören oder behindern können? Oder - was noch schlimmer wäre - haben die bei den kirchlichen Reformbemühungen immer noch ein bisschen mitmischenden Theologen sich das störende Denken abgewöhnt? Die Sprache von Amsterdam 1948, Uppsala und Spandau 1968, der Bremer Synode 1973, der EKD-Denkschrift 1973 und des gemeinsamen evangelisch-katholischen Kongresses in Bad Godesberg 1979 "Entwicklung als internationale soziale Frage" ist das jedenfalls nicht mehr, was uns da jetzt so alles entgegenplätschert. Ökumene ist zum beliebig verwendbaren Gummiwort geworden und die Probleme und Erfahrungen der zu bewegenden Menschen scheinen überhaupt keine Rolle zu spielen.


Der Wohlstand ist kontinuierlich gewachsen und die diakonische Kompetenz geringer geworden

Immerhin, an zwei Punkten mindestens lohnt sich Aufmerken und gezielte Nachfrage. Die Zeit des EED wird beschrieben als "unklare und behinderte Übergangssituation", die man beenden wolle um "einen neuen Aufbruch für die evangelische Entwicklungsarbeit zu ermöglichen". Dem könnte man ja voll zustimmen, wenn konkret beschrieben würde, was das Neue an dem neuen Aufbruch sein soll.

Unter keinen Umständen zustimmungsfähig ist jedoch ein anderer Satz: "Die drei Mittelquellen Spenden, Kirchensteuern und staatliche Mittel in einer Hand zusammenzufassen, um angemessener auf die Bedarfe von Zielgruppen und Partner-Organisationen reagieren zu können und die Abhängigkeit von einzelnen Quellen zu verringern." So etwas klingt nach verschleiernden Absichten und muss auf Angehörige der wichtigsten Zielgruppe, die Spender, kontraproduktiv wirken.

Aus der Entwicklungsdenkschrift (Ziffer 38) ist zu erkennen, dass der Anteil kirchlicher Beiträge an den Gesamtmitteln für kirchliche Weltdienste (also Spenden für Brot für die Welt plus Kirchensteuern plus staatliche Zuwendungen) im Jahr 1972 bei rund 68 Prozent lag. Aus der EKD-Synode in Leipzig 1999 mitgeteilten Zahlen wird erkennbar, dass der Anteil aus BfdW-Spenden und Kirchensteuern seit 1959 bei 59 Prozent lag, und 2007 belaufen sich die Kirchenmittel nur noch auf etwa die Hälfte der Gesamtmittel. Unser Wohlstand ist kontinuierlich gewachsen, aber unsere diakonische Kompetenz wurde geringer. Wären diese Beobachtung sowie die deutlich gewachsene Abhängigkeit von staatlichen Mitteln keine selbstkritische theologische Betrachtung wert?

Müsste weiter nicht endlich die Frage geklärt werden, wie groß der Vorsprung der Gesamtsumme kirchlicher Aufwendungen gegenüber den Staatsmitteln mindestens sein müsste, wenn man an kirchlicher Eigenständigkeit und an deren Erkennbarkeit festhalten will? Was sind Kirchen ihrer Selbstachtung schuldig, die in Uppsala 1968 erklärt haben: "Jede Kirche sollte in Ergänzung der Beträge, die sie für die Mission und andere Programme ausgibt, einen solchen Anteil ihres regulären Einkommens für die Entwicklung zur Verfügung stellen, dass er ein wirkliches Opfer darstellt."


Wie brauchbar ist der Begriff "Entwicklung" für Theologie und Kirche?

Es könnte an der Zeit sein, zu überprüfen, wie brauchbar der Begriff "Entwicklung" für Theologie und Kirche noch sein und bleiben kann. Ehe die ökumenische Semantik den Begriff Development/Entwicklung in ihren Wortschatz aufnahm, war die Rede von den "areas of rapid social change" - bis man vergleichsweise schnell entdeckte, dass rasante soziale Veränderungen nicht bei den Armen stattfinden, sondern bei uns. Dass es sich im Prinzip mit "Entwicklung" ganz genauso verhält, wurde zwar auch schnell deutlich. Aber inzwischen war hinzugekommen, dass "Entwicklung" - ursprünglich ein Wort aus der Biologie und sehr eng verwandt mit Evolution - und daraus abgeleiteter Derivate auch Formeln für Hoffnung auf Weltverbesserung geworden waren, die mit konkreten internationalen wie nationalen politischen Programmen und Strategien verbunden werden.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) wurde 1993 umbenannt in "Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung". Damit war "Entwicklung" nun ein dauerhaft und fest installierter Bestandteil der deutschen Politik geworden.

Natürlich müssen die Kirchen mit allen relevanten Partnern in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft im Gespräch bleiben über Entwicklung und alles, was damit in Zusammenhang gebracht werden kann. Eine ganz andere Frage aber ist es, ob nicht genau die Einsicht in zu erwartende Dauerhaftigkeit der internationalen Entwicklungsförderung auch die Kirchen dazu veranlassen könnte, die Beschreibungen ihrer diesbezüglichen Bemühungen zu überdenken.

Wer von der ökumenischen Diskussion geprägt wurde und an ihr beteiligt war, kann zum Beispiel die in Amsterdam 1948 präzisierte Weltsicht, das Sosein von "Welt" als Unordnung zu begreifen, nicht verdrängen. Wer seit Uppsala 1968 den Schritt vom Helfen zum Teilen mitgegangen ist und dabei eigene Opferbereitschaft angekündigt hat, kann nicht zufrieden sein mit dem, was wir seitdem tatsächlich zu leisten fähig waren. Wer für die ökumenische Vorstellung von zeichenhafter Vorwegnahme/anticipation einer neuen Welt Verständnis wecken will, sollte daher daran interessiert sein, in der allgemeinen Diskussion die Eigentlichkeit und Eigenständigkeit seiner mit Glauben und Hoffen zusammenhängenden Zukunftserwartungen erkennbar werden zu lassen.

In einem sehr kritischen Beitrag in dem von der EKD herausgegebenen Dossier "Weltverantwortung der Kirchen - 40 Jahre Kirchlicher Entwicklungsdienst" hat Klaus Wilkens, 1978 bis 1995 Referent für KED im Kirchenamt der EKD und Geschäftsführer der Kammer für kirchlichen Entwicklungsdienst, die Frage gestellt, ob die Kirchen die Aufgabe, die sie sich mit der Gründung des KED 1968 gestellt haben, noch angemessen erfüllen. Unter Bezugnahme auf ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahre 1933 fährt Wilkens fort, dass die Kirchen den Auftrag haben zu handeln, "wenn die Kirche den Staat in seiner Recht und Ordnung schaffenden Funktion versagen sieht, das heißt, wenn sie den Staat hemmungslos ein Zuviel oder Zuwenig an Ordnung und Recht verwirklichen sieht". "Genau mit einer solchen Situation" so Wilkens weiter, "haben wir es heute zu tun. So sind die Kirchen also aufgerufen, Weltverantwortung wahrzunehmen."

Ist es hilfreich, wenn mit dem Festhalten der Kirchen an der Bezeichnung einer für sie wichtigen Aufgabe als "Entwicklungsdienst" die verwirrende Lage entsteht, dass ausgerechnet der im Allgemeinen für wünschenswert gehaltene Begriff "Entwicklung" immer wieder auch zum Gegenstand von kritischer Distanz, von Konfrontation und Widerspruch zwischen Politik und Kirchen wird oder werden kann? Dass die Kirchen außerdem noch als Empfänger staatlicher Zuschüsse für Entwicklungsförderung mittels eigener Programme und Projekte auftreten, macht die Verunsicherung nur noch größer.

Mission, Brot für die Welt, Ökumenische Diakonie als Teilbereiche einer insgesamt als kirchlicher oder evangelischer Weltdienst verstandenen Weltzuwendung der EKD, - daraus müsste man unter besonderer Akzentuierung von "Brot" einen Titel machen können, der eindrucksvoll signalisiert, dass die Kirchen für diesen Bereich eine theologisch gut zu begründende Eigenverantwortung zu beanspruchen haben. Eine Eigenständigkeit, die Kooperation mit Partnern, welche anders definierte Schwerpunkte und Prioritäten haben, nicht ausschließt, sondern - wie von der EKD mehrfach erläutert - sie geradezu fordert und voraussetzt.


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Eberhard le Coutre (geb. 1928) ist Pastor em. der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche. Von September 1968 bis zur Emeritierung 1990 war er Mitarbeiter bei "Dienste in Übersee e.V.", von Heft 1/1969 bis Heft 2/1990 Leiter der Redaktion von "der überblick", der renommierten "Zeitschrift für ökumenische Begegnung und internationale Zusammenarbeit", deren Erscheinen nach 43 Jahren im Jahr 2007 eingestellt wurde.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
62. Jahrgang, Heft 12, Dezember 2008, S. 632-638
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2009