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KIRCHE/862: Kirchen - Gemeinsamkeit trotz Irritationen (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 11/2009

Kirchen: Gemeinsamkeit trotz Irritationen

Von Ulrich Ruh


Ein Papier aus dem EKD-Kirchenamt sorgte Anfang Oktober mit seinen Einschätzungen der katholischen Kirche für Aufregung. Beide Kirchen sind aber nicht gewillt, sich vom ökumenischen Weg abbringen zu lassen. Das soll der zweite Ökumenische Kirchentag in München zeigen.


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Die Wochen vor der turnusmäßigen Wahl des neuen Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und seines Vorsitzenden, die Ende Oktober in Ulm erfolgt ist (ein Bericht darüber kann erst in unserem Dezemberheft folgen), waren von unvorhergesehenen Turbulenzen in der deutschen evangelisch-katholischen Ökumene geprägt. Auslöser für diese Turbulenzen war eine Indiskretion: Es wurde ein Text aus der Feder von Oberkirchenrat Thies Gundlach vom Kirchenamt der EKD bekannt, der der Kirchenkonferenz im Juni 2009 vorgelegen hatte. Im Zusammenhang mit dem für Mai 2010 bevorstehenden zweiten Ökumenischen Kirchentag in München befasst sich der Text mit der Situation der katholischen Kirche in der Bundesrepublik und deren ökumenischen Auswirkungen.

Es handelt sich um eine Mischung aus zutreffenden Beobachtungen (etwa zu den von Äußerungen und Entscheidungen Benedikts XVI. ausgelösten Irritationen) und eklatanten Fehleinschätzungen (nicht zuletzt zum Profil des derzeitigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz), der insgesamt mangelnde Sachkenntnis verrät und den gegenwärtigen Problemen des deutschen Katholizismus nicht gerecht wird. Gleichzeitig hebt er die Situation der evangelischen Kirche zu vorteilhaft von der der katholischen ab, auch wenn er am Schluss vor "evangelischer Überheblichkeit" warnt.


Die Kirchenkonferenz der EKD hatte sich bei ihrer Sitzung am 2. Juni den Text nicht zu eigen gemacht. Trotzdem schlugen die Wogen nach seinem Bekanntwerden so hoch, dass kurzfristig eine vorgesehene Sitzung des evangelisch-katholischen Kontaktgesprächskreises (von Rat der EKD und Deutscher Bischofskonferenz) abgesagt und statt dessen für den 14. Oktober ein Gespräch zwischen evangelischen und katholischen Vertretern, darunter der Ratsvorsitzende der EKD und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, anberaumt wurde.


Beschädigtes Vertrauen wiederhergestellt

Als Ergebnis dieses Gesprächs, das in Karlsruhe stattfand, erklärten die Teilnehmer, die evangelische Seite betrachte den Text als Missgriff: "Sie bittet um Entschuldigung bei allen, die ihre Kirche und sich persönlich durch einzelne anstößige Aussagen beschwert fühlen müssen." Beide Seiten seien davon überzeugt, dass das beschädigte Vertrauen wiederhergestellt werden könne und werde.

Das Papier von Thies Gundlach spricht unter anderem von den "pastoralen Herausforderungen einer schrumpfenden Kirche", die in der katholischen Kirche mindestens so groß seien wie in der evangelischen. Unmittelbar nacheinander beschäftigten sich die beiden großen Kirchen der Bundesrepublik im Frühherbst mit dieser Herausforderung beziehungsweise mit Strategien, wie ihr zu begegnen ist: Die Deutsche Bischofskonferenz traf sich vom 21. bis 24. September in Fulda zu ihrer traditionsgemäß dort stattfindenden Herbst-Vollversammlung. Und vom 24. bis 26. September hielt die EKD in Kassel eine "Zukunftswerkstatt" im Rahmen ihres vor drei Jahren angestoßenen Reformprozesses ab, zu dem 1200 Teilnehmer aus ganz Deutschland kamen.


Anders als beim "Zukunftskongress" in Wittenberg im Januar 2007 (vgl. HK, März 2007, 115ff.), bei dem grundsätzlich über den Reformprozess und das Impulspapier "Kirche der Freiheit" diskutiert wurde, stand im Mittelpunkt des Treffens in Kassel eine "Galerie guter Praxis", bei der sich 100 Projekte aus den verschiedenen EKD-Gliedkirchen präsentierten und sieben innovative und ausstrahlungskräftige Projekte prämiert wurden. Die Präses der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, charakterisierte zur Eröffnung die Zukunftswerkstatt als "neue Form der Zusammenkunft", als "Stuhlkreis und Event zugleich".

Der scheidende Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, nutzte seine Rede in Kassel zu einer Zwischenbilanz des maßgeblich von ihm initiierten und gedanklich unterfütterten Reformprozesses. Er sprach über "Positionen und Perspektiven einer Kirche im Aufbruch" und stellte seine Ausführungen unter das Psalm 31 entnommene Motto "Du stellst unsere Füße auf weiten Raum".


Huber betonte, strategische Entscheidungen und operative Initiativen hätten im Reformprozess einen hohen Nutzen, träfen aber noch nicht den Kern. Den Herzschlag der Kirche bilde die Hinwendung zu den Menschen, also die Mission. Er nannte drei "mentale Gefangenschaften", die überwunden werden müssten: Die Gefangenschaft im eigenen Milieu ("Unsere Berührungsängste richten sich auf diejenigen, die an den Rand geraten, genauso wie auf diejenigen, die in Entscheidungszentren und Verantwortungsberufen tätig sind."), die verbreitete "geistliche Furchtsamkeit" sowie ein kirchliches Handeln, das Züge eines Lebens auf Pump trage ("Wir lassen uns von einem Aktivismus leiten, den wir nicht auf seine Nachhaltigkeit hin prüfen.").

Die theologische Unterscheidung zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes und dem menschlichen Handeln sei sehr am Platz. Aber, so das Plädoyer Hubers für den Reformprozess, diese Unterscheidung sei keine Rechtfertigung für ein schlichtes "Weiter so": "Nach den Traditionsabbrüchen, durch die wir hindurchgegangen sind, geht es darum, das Evangelium in einer ansprechenden und einladenden Weise weiterzugeben, so gut wir es eben können." Der Ratsvorsitzende bilanzierte, es gebe in der evangelischen Kirche mehr Aufbruch, als man vor drei Jahren habe erwarten können; es gebe vielfältige Zeichen der Hoffnung.


Schönheit des Protestantismus

Ein weiteres Grundanliegen Hubers: Der Reformprozess sei von der Hoffnung getragen "dass unsere Kirche ihre Theologie neu entdeckt - und die Theologie ihre Kirche". Auch bei der Kasseler Zukunftswerkstatt kam die evangelische Theologie zu Wort, in Gestalt des Hamburger Theologen Fulbert Steffensky, der vor den Teilnehmern über die "Schönheit des Protestantismus" referierte.


Steffensky eröffnete seine Ausführungen mit dem Hinweis, es solle keine Konkurrenz zu den anderen "Konfessionen und Dialekten des Christentums" geben. "Wer sich seiner gewiss ist, verzichtet auf den kindischen Ruhm auf Kosten anderer, und er nimmt ohne Arroganz die eigene Stärke in den Blick."

Sein Loblied auf die Schönheit des Protestantismus begann Steffensky mit dem Hinweis auf die Musik und die Lieder: Paul Gerhardts Lieder seien "zum Evangelisch werden". Im Protestantismus gebe es außerdem keine religiös-substanziellen Materialien mehr, "kein Priestertum, ausgestattet mit einer speziellen Macht; keine Amtsgewalt, die speziell an das Geschlecht des Mannes gebunden ist; kein Amt mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit". Mit der sich darin ausdrückenden Freiheit habe die Buntheit des Protestantismus zu tun, die Steffensky in sein Lob einbezog: "Es kann nicht von oben geregelt werden, was der Fall sein soll. Und so gibt es den Protestantismus immer nur im Plural der Protestantismen."


Der Hamburger evangelische Theologe und frühere Benediktinermönch Steffensky ließ seine Eloge sympathischerweise mit dem Satz enden, das Christentum sei schön, und es sei noch zu seiner Schönheit unterwegs. Das las sich wie ein Echo auf das Eröffnungsreferat von Erzbischof Robert Zollitsch, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, bei deren diesjähriger Herbst-Vollversammlung, in dem es ohne konfessionelle Differenzierungen um die Kirche als "innerweltliche Zeugin der Hoffnung auf Gottes Vollendung" ging.

Ausgehend von der These, der christliche Glaube halte auch für Menschen unserer Tage einen großen, unerschöpflichen Hoffnungsreichtum bereit, ließ Zollitsch verschiedene Bereiche Revue passieren, in denen die Kirche als "einladende und wohnliche Herberge der Hoffnung" erfahrbar werden könne. Er erwähnte die sozialen Einrichtungen, das weite Spektrum ehrenamtlicher Tätigkeit, die Arbeit der Theologischen Fakultäten und die Feier der Liturgie in Kirchen und Klöstern.


Hoffnungen auf den ÖKT

Der Kirche in Deutschland riet der Konferenzvorsitzende zur Bescheidenheit: "Die Kirche ist zu allen Menschen gesandt, aber ihr ist nicht überall numerisches Wachstum verheißen; sie soll Sammlungsbewegung sein und realsymbolischer Ort der Zukunft, der allen Menschen angeboten ist." Natürlich sei es nicht egal, wie sich die kirchliche Mitgliederstatistik entwickle und welche kirchlichen Institutionen künftig möglich sein würden und wie die materielle Ausstattung aussehen werde. Entscheidend sei aber: "Wir müssen unsere Identität bewahren und im Zeugnis unsere Hoffnung bekennen."


Zollitsch verwies auf den zweiten Ökumenischen Kirchentag in München und sein Leitwort "Damit ihr Hoffnung habt". Auf dem ersten Großtreffen dieser Art hatten 2003 in Berlin die Vertreter der christlichen Kirchen in Deutschland die europaweite "Charta Oecumenica" feierlich unterzeichnet (vgl. HK, Juli 2003, 334ff.). Sie enthält unter anderem die Verpflichtung der Kirchen auf die "sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi in dem einen Glauben".

Man wird beim Münchner Treffen im Mai nächsten Jahres nicht einfach Vollzug melden können. Auch beim Reizthema eucharistische Gastfreundschaft ist für den zweiten Ökumenischen Kirchentag kein Durchbruch in Sicht. Der ÖKT soll sich ja schwerpunktmäßig um das jetzt schon mögliche gemeinsame Zeugnis des Evangeliums für die Welt kümmern. Trotz gelegentlicher Irritationen im offiziellen evangelisch-katholischen Verhältnis sind die Voraussetzungen dafür nicht schlecht, dass sich auf diesem Feld einiges bewegen kann.


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Ulrich Ruh, Dr. theol., geboren 1950 in Elzach (Schwarzwald). Studium der Katholischen Theologie und Germanistik in Freiburg und Tübingen. 1974-1979 Wiss. Assistent bei Prof. Karl Lehmann in Freiburg. 1979 Promotion. Seit 1979 Redakteur der Herder Korrespondenz; seit 1991 Chefredakteur.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 11, November 2009, S. 547-549
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2010