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STANDPUNKT/331: Was heißt hier "Dialog" und was, bitte, ist "Mission"? (Junge.Kirche)


Junge.Kirche 3/2009
Unterwegs für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Focus dieses Heftes: Mission

Was heißt hier "Dialog" und was, bitte, ist "Mission"?

Von Henning Wrogemann


Das Wort "Dialog" ist in aller Munde. Ob in Zeitungen, Fernsehshows, ob im Radio oder im Internetchat: Dialog ist gut, so ist die Botschaft, denn solange man miteinander redet, bleibt "man" (wer immer das ist) friedlich. Reden statt Gewalt. Dagegen ist kaum etwas einzuwenden, schon gar nicht im interreligiösen Bereich. Wer für den Dialog ist, der ist irgendwie gut, so der Eindruck, irgendwie vielleicht tolerant, kompromissbereit, kein Hardliner jedenfalls. Bleibt die Frage nach dem Gegenbild. Wer also ist intolerant? Jemand, der den/die anderen nicht gelten lässt, jemand, der stört, irgendwie? Jemand, der seine "Message" weitergeben will, also jemand, der oder die "missionarisch" ist? Sind also Dialog und Mission Gegensätze?


Undialogische Dialogtheorien

Ich erinnere mich an eine international ausgerichtete Dialogtagung. Christen sprachen dort mit Muslimen, Hindus, Buddhisten, Sikhs, und dies in Southhall, einem Stadtteil von London, mit einer mehrheitlich multikulturellen Bevölkerungsstruktur. Die Tagung fand statt in einem Gemeindehaus einer christlichen Gemeinde mit pakistanischem Einwandererhintergrund. Am zweiten Tag sprach ich einen pakistanischen Christen, den ich zufällig traf, an: "Warum nehmt ihr am interreligiösen Dialog nicht teil?" Die Antwort: "Die Veranstalter haben uns nicht eingeladen, weil sie sagen, wir seien dialogunfähig, weil wir missionarische Arbeit tun." Meine Frage: "Hat man mit euch in der Vorbereitungszeit der Tagung gesprochen?" Die Antwort: "Nein!" - Dies war für mich ein Augenöffner: Hier wurde offensichtlich aufgrund eines bestimmten Dialogverständnisses (der christlichen Veranstalter) ein wirklicher Dialog (nämlich mit den pakistanischen Christen) im Vornherein verweigert. Die Lehre, die ich daraus zog: Auch Dialogtheorien können undialogisch sein! Denn die These der Veranstalter lautete ganz offensichtlich: Wer missionarisch ausgerichtet ist, der muss dialogunfähig sein. Eine - in meinen Augen - fatale Fehleinschätzung.

Was aber heißt denn nun Dialog? Ich gehe auf Spurensuche im Bereich christlich-muslimischer Begegnungen. Da gibt es die einen, die sagen, Dialog, das sei auf jeden Fall mehr als ein alltägliches Gespräch, denn es gehe bei dem Dialog nicht nur um die Frage "Wie geht es ihnen heute?", sondern um inhaltlich schwerwiegende Dinge wie etwa theologische Fragen. Stimmt das? Nehmen nicht auch gerade Alltagsgespräche mitunter ganz plötzlich eine Wendung, etwa, wenn jemand beim anderen erkrankt oder verstorben ist, so dass die sich unterhaltenden Menschen auf ganz grundsätzliche Fragen des Lebens kommen? Wären demnach also nur "Expertendialoge" richtige Dialoge, nicht aber die Gespräche der einfachen Leute? Wohl kaum. Andere wiederum meinen, man dürfe keine Dialoge mit Angehörigen fremder Religionen führen, denn dies würde ja bedeuten, einzugestehen, dass man von diesen auch irgendwie etwas zu lernen hätte, was aber natürlich nicht der Fall sein kann, weil doch entweder der Koran die letztgültige Wahrheit enthält, oder Jesus Christus als der Sohn Gottes, oder auf welche religiöse Autorität man sich auch immer beruft. Doch die Gegenfrage lautet dann, und meines Erachtens zu Recht: Hat nicht Gott, wenn es ihn denn gibt, allen Menschen einen Verstand gegeben, eine Vernunft, um Dinge zu prüfen, ein Herz, um mitfühlend zu sein, eine Ahnung seiner Macht und vielleicht auch Güte? Lohnte es sich dann nicht, miteinander sich auszutauschen? Ist es nicht eine Beendigung des Austausches, bevor er begonnen hat, wenn man die religiös anderen derartig ausgrenzt (von der dahinter stehenden und wenig überzeugenden Angsthaltung einmal abgesehen).


Verstehen oder überzeugen

Nächste Frage: Was soll der Dialog oder aber das Gespräch bringen? In Kirchengemeinden und Moscheegemeinden jedenfalls immer auch: Ein Mehr an Information über die bisher so fremd gebliebenen Nachbarn. Das ist gut, sinnvoll und Vertrauen schaffend. Nur, kann das alles sein? Müsste es nicht zu einem vertieften Verstehen des jeweils religiös anderen kommen? Doch dann ist weiter zu fragen: Was bedeutet "Verstehen"?

Soll denn gar nichts mehr passieren können (dürfen) im interreligiösen Dialog?

Die einen meinen, "Verstehen" bedeutet, dass man zu einem Konsens, zu einer Übereinstimmung kommen kann und muss. Der unausgesprochene Subtext lautet dann: "Wir sind doch gar nicht so verschieden, wir müssen nur den Mut haben, dies zu erkennen." Einmal abgesehen von der Frage, ob dies wirklich so ist, hat dieser Ansatz noch eine zweite Grundannahme. Diese besteht darin, dass, wenn beide Seiten dasselbe meinen, keiner mehr den anderen von irgendetwas zu überzeugen braucht. Dann herrscht also eine Art "Burgfriede". Keiner versucht mehr, Menschen der anderen Seite zu "überreden", zu "überzeugen", zu "missionieren" oder wie sonst die Ausdrücke lauten. Doch hat dieser Ansatz mehrere schwache Punkte, denn erstens wird hier etwa von manchen Muslimen geargwöhnt, dies sei nur ein christlicher Trick, um den muslimischen Aufruf zum Islam (dacwa) wirkungslos zu machen. Zweitens ist jedoch zu fragen: Ist dieser "Burgfriede" nicht eher eine "Friedhofsruhe"? Soll denn gar nichts mehr passieren können (dürfen) im interreligiösen Dialog?

Vielleicht könnte "Verstehen" ja auch etwas anderes meinen, nämlich zu verstehen, worin nur vermeintliche Unterschiede und worin die wirklichen Unterschiede bestehen? Vielleicht könnte "Verstehen" bedeuten, dass so viel Vertrauen entsteht, dass man einander wirklich zuhört und auf das achtet, was der oder die andere als tragenden Grund seines/ihres Lebens zu erkennen gibt. Das aber wäre dann schon so etwas wie ein einladendes Glaubenszeugnis, eine Art missionarischer Gesprächsform also. Doch: Was ist daran schlimm oder unangebracht, ehrenrührig oder sonst in irgendeiner Weise anstößig? Eines jedenfalls sollte bedacht werden: Die von muslimischer Seite immer wieder geäußerte Forderung, Christen sollten ihre Mission aufgeben, ist von dem eben Gesagten aus weder zu rechtfertigen noch nachvollziehbar. Und dies gilt auch umgekehrt für Christen, die Ähnliches gegenüber Muslimen/Muslimas fordern. Denn ein Dialog / ein Gespräch, das mehr ist als ein eher unverbindlicher Informationsaustausch, ein solches Gespräch beinhaltet auch, nicht immer, aber immer einmal wieder, dass die Teilnehmenden einander das bezeugen, was sie im Innersten berührt und fasziniert hat, was ihnen Halt und Kraft und Lebensperspektive gibt.

Die Einladung, sich einem Glaubensangebot anzuvertrauen, ist zugleich der Hinweis auf eine mögliche neue Lebensorientierung. Wenn diese neue Lebensorientierung angenommen werden würde, dann wäre dies tatsächlich eine Umkehr, ja eine Bekehrung. Recht betrachtet, kann dies aber keine "Bekehrungsaktion" eines Menschen sein, sondern es ist lediglich der Hinweis auf einen möglichen Neuanfang. Gerade dann, wenn Menschen an ihrem Leben leiden, ist die Möglichkeit eines Neuanfangs etwas Wunderbares, ein Geschenk. Und weil dieses Geschenk nach christlichem wie nach muslimischem Glauben nur von Gott selbst bewirkt werden kann, müssten beide religiösen Traditionen in Folgendem übereinkommen: Erstens, dass es legitim ist, zum jeweils eigenen erfahrenen Glauben einzuladen. Zweitens, dass es ebenso legitim ist, dass Menschen als freie Kreaturen Gottes sich für das verbleiben in einer Religion oder den Wechsel zu einem anderen Glauben entscheiden. Hier ist noch viel an Vertrauensarbeit und theologischer Klärung zu leisten, interreligiös einerseits, aber ebenso dringlich innerreligiös im christlichen wie im muslimischen Bereich.


Henning Wrogemann ist Professor für Missionswissenschaft, Religionswissenschaft und Ökumenik an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel in Wuppertal

Literaturtipp

Henning Wrogemann, Missionarischer Islam und gesellschaftlicher Dialog, Frankfurt/Main.


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Inhaltsverzeichnis - Junge.Kirche 3/2008

Focus: Mission
- Licht der Völker / Jutta Weiß
- Kolonialmission - ein Irrweg mit Langzeitwirkung / Joachim Wietzke
- "Was ist in Ihrem Leben anders?" / Gotthard Oblau
- Dankbar für die Mission in Papua Neuguinea / Hofagao Kaia
- "Ah, Missionar?" / Christian Reiser
- Missionskonjunktur / Ludger Weckel
- Ich kann nicht vergessen, dass ich ein Europäer bin / Interview mit Uwe Nissen
- Die eigene Größe zurücknehmen / Interview mit Sabine Förster

Zwischenruf
- Du aber sollst über sie herrschen / Martin Stöhr
- Was heißt hier "Dialog" und was, bitte, ist "Mission"? / Henning Wrogemann
- Mission und Entwicklung / Ruth Gütter, Christoph Anders
- Von Edinburgh nach Emmaus / Verena Grüter
- Die Pfingstbewegung / Jörg Haustein
- "Wir bringen euch Jesus zurück!" / Claudia Währisch-Oblau
- "Warum mich Mission begeistert" / Claudia Ostarek
- Glaube und Kunst. Kunst - Mission in der Landschaft
- Jesus Camp / Hans-Martin Gutmann
- Mission, Religionen und Menschenrechte / Martin Affolderbach

Forum
- Der Kirchentag in Bremen / Christoph Fleischmann, Fulbert Steffensky, Rolf Noormann
- Die Nordkirche / Pro: Dorothea Strube, kontra: Traugott Maercker
- Militärputsch in Honduras / Bernd Kappes
- Zugang zum blauen Gold / Christian Reiser
- Die Grenzen der Grenzenlosigkeit / Reinhard Höppner

Sozialgeschichtliche Bibelauslegung
- Wachstumsschmerzen / Luzia Sutter-Rehmann

Predigt
- Mensch, wo bist du? / Max Otte

Geh hin und lerne!
- Unter die Flügel der Schechina bringen / Gernot Jonas und Paul Petzel

Buchseiten, Veranstaltungen,
Impressum und Vorschau


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Quelle:
Junge Kirche, 70. Jahrgang, Nr. 3/2009, Seite 21-22
Herausgeber: Erev-Rav, Verein für biblische und politische Bildung
Redaktion: Junge Kirche, Luisenstraße 54, 29525 Uelzen
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Internet: www.jungekirche.de

Die Junge Kirche erscheint viermal im Jahr.
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Einzelheft 6,50 Euro inkl. Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2009