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STANDPUNKT/332: Mission, Religionen und Menschenrechte (Junge.Kirche)


Junge.Kirche 3/2009
Unterwegs für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Focus dieses Heftes: Mission

Mission, Religionen und Menschenrechte

Von Martin Affolderbach


Die Veröffentlichung der Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zu "Christen und Muslimen in Deutschland" unter dem Titel "Klarheit und gute Nachbarschaft" (Hannover 2009 EKD-Texte 86) hat kritische Reaktionen von Seiten muslimischer Verbände hervorgerufen. Dabei wurde vor allem kritisiert, dass der Begriff der Mission an prominenter Stelle (15 ff.) verwendet werde, ein Begriff, der von zahlreichen Muslimen als ein Beleg dafür gesehen werde, dass das Christentum den Islam nicht als eine zu respektierende und zu achtende Religion ansehe.

Obwohl in zahlreichen Erklärungen der Kirchen das Verhältnis zu anderen Religionen ebenso wie das Verhältnis von Dialog und Mission dargelegt worden ist, birgt allein die Verwendung des Begriffs "Mission" weiterhin Sprengstoff. Insbesondere scheint sich aus dem Blickwinkel von Muslimen immer noch Mission mit westlicher Dominanz und fehlender Anerkennung des Islam als gleichwertiger Religion zu verbinden.


Der Kontext

Wenige Wochen vor Abfassung dieser Zeilen erregte die Ermordung von zwei christlichen Bibelschülerinnen, die ein Praktikum im Nordjemen absolvierten, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Auch verschiedene Morde an Christen in der Türkei in den zurückliegenden Jahren hatten christenfeindliche Hintergründe, die in der türkischen Öffentlichkeit oft mit islamfeindlichen missionarischen Absichten von christlicher Seite in Zusammenhang gebracht werden. Solche Morde gehen auf das Konto von radikalen religiös oder politisch motivierten Gruppen, deren Überzeugungen und Intentionen nicht akzeptiert werden können und auch nach der Rechtslage der jeweiligen Länder kriminelle Handlungen darstellen.

Es kann kein Zweifel sein, dass auch muslimische Länder Religionsfreiheit im umfassenden Sinne zulassen müssen. Jedoch ist in zahlreichen dieser Länder nicht kurzfristig mit einer Änderung der Rechtsverhältnisse wie der verbreiteten Einstellung gegenüber religiösen Minderheiten zu rechnen. Kollektive historische Erinnerungen oder Schematisierungen sind oftmals langanhaltend und sind nur über längere Zeiträume hin mit Aufklärung und Gegenerfahrungen zu verändern. Es wäre überheblich zu behaupten, dass wir selbst davon gänzlich frei wären.

Nur wenn offen angesprochen wird, in welchen faktischen Spannungsfeldern sich Mission oftmals vollzieht, können auch realistische Strategien entwickelt werden.

Es ist ein richtiger und wichtiger Schritt, wenn die christlichen Kirchen ihr Missionsverständnis neu durchdenken und sich von historischen Fehlern distanzieren, wie es beispielsweise die Synode der EKD 1999 zum Thema "Reden von Gott in der Welt - Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle des 3. Jahrtausends" getan hat. Doch bedarf es neben den theologischen Reflexionen auch einer Bewertung der politischen Implikationen. Dies scheint mir bei Diskussionen um das Verständnis von Mission oft zu kurz zu kommen. Nur wenn offen angesprochen wird, in welchen faktischen Spannungsfeldern sich Mission oftmals vollzieht, können auch realistische Strategien entwickelt werden. Es reicht nicht aus, das Unverständnis zu beklagen, dass die eigenen guten Intentionen nicht verstanden oder sogar als unfreundlicher oder aggressiver Akt empfunden werden. Es müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausreichend bedacht werden. Ich möchte drei Beispiele nennen.

- Des Öfteren bitten leitende christliche Persönlichkeiten von autochthonen, also ursprünglich ansässigen, Kirchen in mehrheitlich muslimischen Ländern inständig darum, von missionarischen Aktivitäten in solchen Ländern Abstand zu nehmen; dies nicht, weil sie die Berechtigung des christliches Zeugnisses grundsätzlich in Frage stellen, sondern weil ihnen bewusst ist, dass missionarische Aktivitäten von christlicher Seite, der ohnehin in einer prekären Situation sich befindenden christlichen Minderheit mehr schaden als helfen, Spannungen verschärfen und die Abwanderung der Christen, vor allem der seit den ersten Jahrhunderten nach Christus dort ansässigen Kirchen, fördern.

- In einer Reihe von Ländern sind missionarische Aktivitäten einschließlich Proselytismus (Abwerbung) gesetzlich verboten und unter Strafe gestellt. In Sri Lanka und Israel mag diese Rechtslage durch die Vermeidung religiöser Spannungen und Konflikte motiviert sein; in anderen Ländern wie dem islamischen Algerien oder dem christlichen Griechenland dürfte sie wohl eher durch die Dominanz einer Religion bedingt sein. Auch wenn die Rechtslage in manchen Ländern nach internationalen Menschenrechtsstandards nicht akzeptabel ist, kann dennoch nicht außer Acht gelassen werden, dass das Ziel der Minderung gesellschaftlicher Konflikte, hier solcher mit religiösen Anteilen, durchaus ein Wert ist, der seine politische Berechtigung hat. Das alleinige Beharren auf der Berechtigung und dem Recht zur Mission kann in solchen Konstellationen mehr Spannungen hervorbringen als Freiheiten fördern.

- In der Evangelischen Kirche hat sich weitgehend die Position durchgesetzt, dass eine Absage an die Mission unter Juden theologisch zwingend ist. In der Denkschrift "Christen und Juden III" vom Jahr 2000 heißt es unter anderem: "Judenmission ... gehört heute nicht mehr zu den ... betriebenen oder gar geförderten Arbeitsfeldern" (74). Diese Neubestimmung verdankt sich zu einem hohen Anteil den Lehren aus der jüngeren Geschichte, nämlich den Holocaust und dem mangelndem kirchlichen Eintreten für bedrohte jüdische Mitbürger. Dies wird in der Feststellung bestätigt: "Eine Kirche, die sich nicht mit allen ihr verfügbaren Mitteln in der Zeit tödlicher Bedrohung vor ihre getauften Glieder jüdischer Herkunft gestellt hat, hat schwerlich die Vollmacht zur Judenmission" (ebd., 59). Konsequenterweise werden dann "Zeugnis", "Begegnung" und "Dialog" als Begriffe ausgeführt, die das Verhältnis zum Judentum auf eine neue Basis stellen sollen.


Politische Aufklärung

Die Diskussion um das Verständnis und die Praxis von Mission braucht mehr als bisher erkennbar eine doppelte "politische Aufklärung".

Erstens muss Mission sich stärker über die Bedingungen im Klaren sein, die sie eigentlich voraussetzt, nämlich die Schaffung von politischer Freiheit und Rechtssicherheit, unter denen Menschen ihre Religionszugehörigkeit frei wählen und ausüben können. Mission muss deshalb immer einhergehen mit den Bemühungen um die Schaffung der Voraussetzungen, die Mission erst möglich machen. Eine christliche Mission, die nicht mit Entschiedenheit um diese Voraussetzungen kämpft, wird schwerlich den historischen Vorwurf einseitiger Dominanz abweisen können.

Zweitens wird man ein Recht, das man für sich selbst in Anspruch nimmt, anderen Religionen nicht bestreiten können. Das macht unglaubwürdig und widerspricht international geltendem Recht. Deshalb kann über Mission heute nur angemessen nachgedacht werden unter den Bedingungen religiöser Pluralität. Die Neubestimmung gegenüber der jüdischen Religion ist dabei ein Element. Die Frage der muslimischen Verbände in der oben erwähnten Stellungnahme, warum das Verhältnis zum Islam nicht in ähnlicher Weise bewertet werde wie das zum Judentum, da die drei Religionen doch vieles gemeinsam haben, ist eine Frage, die nicht einfach als unsachgemäß abgetan werden kann. Ein hilfreicher Schritt auf diesem Wege könnte sein, zwischen den Religionen zu Verabredungen über wechselseitige Verhaltensgrundsätze zu kommen, die Spannungen vermindern und Freiheiten fördern. Wenn der ökumenische Rat der Kirchen solch einen "Code of Conduct" (Verhaltensrichtlinien) anstrebt, kann er vielleicht auf die Arbeiten der "Oslo Convention on Freedom of Religion or Belief" zurückgreifen. Solche Bemühungen könnten helfen, Missverständnisse und Unterstellungen zu vermeiden oder zu entkräften, und dadurch gerade die Rahmenbedingungen schaffen, die die Voraussetzungen sind für ein glaubwürdiges christliches Zeugnis.


Martin Affolderbacharbeitet als Referent für interreligiöse Fragen im Kirchenamt der EKD, Hannover


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Inhaltsverzeichnis - Junge.Kirche 3/2008

Focus: Mission
- Licht der Völker / Jutta Weiß
- Kolonialmission - ein Irrweg mit Langzeitwirkung / Joachim Wietzke
- "Was ist in Ihrem Leben anders?" / Gotthard Oblau
- Dankbar für die Mission in Papua Neuguinea / Hofagao Kaia
- "Ah, Missionar?" / Christian Reiser
- Missionskonjunktur / Ludger Weckel
- Ich kann nicht vergessen, dass ich ein Europäer bin / Interview mit Uwe Nissen
- Die eigene Größe zurücknehmen / Interview mit Sabine Förster

Zwischenruf
- Du aber sollst über sie herrschen / Martin Stöhr
- Was heißt hier "Dialog" und was, bitte, ist "Mission"? / Henning Wrogemann
- Mission und Entwicklung / Ruth Gütter, Christoph Anders
- Von Edinburgh nach Emmaus / Verena Grüter
- Die Pfingstbewegung / Jörg Haustein
- "Wir bringen euch Jesus zurück!" / Claudia Währisch-Oblau
- "Warum mich Mission begeistert" / Claudia Ostarek
- Glaube und Kunst. Kunst - Mission in der Landschaft
- Jesus Camp / Hans-Martin Gutmann
- Mission, Religionen und Menschenrechte / Martin Affolderbach

Forum
- Der Kirchentag in Bremen / Christoph Fleischmann, Fulbert Steffensky, Rolf Noormann
- Die Nordkirche / Pro: Dorothea Strube, kontra: Traugott Maercker
- Militärputsch in Honduras / Bernd Kappes
- Zugang zum blauen Gold / Christian Reiser
- Die Grenzen der Grenzenlosigkeit / Reinhard Höppner

Sozialgeschichtliche Bibelauslegung
- Wachstumsschmerzen / Luzia Sutter-Rehmann

Predigt
- Mensch, wo bist du? / Max Otte

Geh hin und lerne!
- Unter die Flügel der Schechina bringen / Gernot Jonas und Paul Petzel

Buchseiten, Veranstaltungen,
Impressum und Vorschau


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Quelle:
Junge Kirche, 70. Jahrgang, Nr. 3/2009, Seite 41-42
Herausgeber: Erev-Rav, Verein für biblische und politische Bildung
Redaktion: Junge Kirche, Luisenstraße 54, 29525 Uelzen
Tel. & Fax 05 81/77 666
E-Mail: verlag@jungekirche.de
Internet: www.jungekirche.de

Die Junge Kirche erscheint viermal im Jahr.
Der Jahrespreis beträgt 26 Euro inkl. Versandkosten.
Einzelheft 6,50 Euro inkl. Versandkosten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009