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STANDPUNKT/357: Gottes Name(n) (Bibel und Kirche)


Bibel und Kirche 2/2010 - Organ der Katholischen Bibelwerke
in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Gottes Name(n)
oder: Wie die Bibel von Gott spricht


"Alles soll so einfach gemacht werden wie möglich - aber nicht einfacher." (Albert Einstein)

Der mit den Konsonanten JHWH geschriebene Eigenname Gottes ist mit seinem fast 7.000fachen Vorkommen das häufigste Wort der Hebräischen Bibel. Dass Gott einen Namen hat, ist jedoch nur wenigen Christen vertraut, denn die christliche Gottesdienst- und Gebetssprache lässt dies nicht erkennen. Warum ist das so und warum ist die Wiedergabe des Gottesnamens so schwierig?


Um diese Fragen soll es in diesem Beitrag gehen.[1] Doch zuerst sollen Folgen der Unsichtbarmachung des Gottesnamens in den Blick kommen.


Gott hat in der Bibel einen Namen

"Geheiligt werde dein Name", heißt es im Vaterunser. Kann das verstehen, wer nicht weiß, dass Gott einen Namen hat? In Gebeten, liturgischen Wendungen und Gesten geschieht viel "im Namen Gottes". Wer nicht weiß, dass Gott einen Namen hat, wird annehmen, was da vollzogen werde, erfolge in Gottes Stellvertretung.

Dass es um Gottes Namen geht, bleibt verborgen. Ähnlich ist es, wenn es in liturgischer Sprache heißt: "Unsere Hilfe steht (oder: ist) im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat." Hier wird die Unsichtbarmachung des Gottesnamens ganz deutlich. Denn es handelt sich um ein Zitat aus dem Alten Testament und an der zitierten Stelle (Ps 124,8) steht Gottes Eigenname. Viel geht verloren, wenn unkenntlich wird, dass Gott einen Eigennamen hat und dass dieser Name weder "Gott" noch "Vater" lautet.

Nun darf es sich eine Kritik dieses christlichen Umgangs mit dem Gottesnamen nicht zu leicht machen. Denn das Problem jeder Wiedergabe des Gottesnamens in gesprochener Sprache hängt mit diesem Namen selbst und seinem Gebrauch zusammen. Gott hat einen Eigennamen. Das ist das Eine. Das Andere aber gehört dazu: Wir wissen nicht, wie dieser Name lautete. Wie sollen wir umgehen mit der Forderung, um den Namen Gottes zu wissen, wenn wir nicht wissen, wie er lautet? Wir stoßen hier auf eine grundlegende Dialektik biblischer Rede von Gott, die sich im Namen Gottes zuspitzt, nämlich das Zugleich von Offenbarung und Entzug, von Nähe und Distanz.


Schreiben und Sprechen

Der Eigenname Gottes wird in der "Schrift" geschrieben. Er besteht aus vier Buchstaben (daher spricht man vom Tetragramm), nämlich den Konsonanten j-h-w-h. Die dazu gehörenden Vokale kennen wir nicht, wir wissen also nicht, wie dieser Name lautet, denn er wurde seit biblischer Zeit nicht ausgesprochen. An Stelle dieses Namens sprachen und sprechen Jüdinnen und Juden ein Ersatzwort, nämlich Adonaj, eine allein Gott zukommende Benennung, die mit dem Wort "Herr" zusammenhängt, aber nicht "Herr" heißt. Oder man sprach und spricht an Stelle des Namens das Wort haSchem ("der Name"). Gebräuchlich ist auch eine Verbindung beider Ersatzworte in der Ausspracheform Adoschem.

In der Bibelwissenschaft gibt es seit langem die These, der mit den Konsonanten j-h-w-h geschriebene Name Gottes habe etwa "Jahwe" gelautet. Diese Rekonstruktion beruht auf sprachwissenschaftlichen Indizien und ist gut begründet.[2] Gleichwohl ist sie hypothetisch und daher bleibt es dabei, dass wir nicht wissen, wie der Name lautete. Und selbst wenn wir es wüssten, wäre es problematisch, diese Rekonstruktion im Sprechen von Gott oder in Bibelausgaben zu verwenden und sie damit an die Stelle der alten Tradition treten zu lassen, den Eigennamen Gottes nicht auszusprechen.

Auch das Neue Testament gebraucht - besonders deutlich erkennbar in Zitaten aus dem Alten - für den Gottesnamen ein Ersatzwort, nämlich das griechische Kyrios, das dem hebräischen Adonaj nahe kommt. Kyrios heißt "Herr" und so erklärt sich, dass in den meisten Bibelübersetzungen das jeweilige Wort für "Herr" (Dominus, Herr, Lord, Seigneur usw.) zur Wiedergabe des Tetragramms wurde.[3] Das löst eine Dimension des Umgehens mit dem Gottesnamen ein, nämlich die der Nichtaussprache. Doch die Ersetzung des Gottesnamens durch die Bezeichnung "Herr" ist problematisch, denn sie macht (neben noch zu nennenden weiteren Rückfragen) unkenntlich, dass hier ein Ersatzwort vorliegt. Hören wir in Gottesdiensten und Gebeten, dass das Wort "Herr" an Stelle eines Namens tritt? Die Differenz zwischen geschriebenem und gesprochenem Gottesnamen geht verloren. Vor weiteren Überlegungen soll die Aufmerksamkeit dem Text gelten, der wie kein anderer von der Offenbarung des Gottesnamens handelt.


"Ich werde sein, wer ich sein werde" (Ex 3,14f)

Gott, so erzählt Ex 3, offenbart Mose seinen Eigennamen. Ein Zugleich von Offenbarung und Entzug durchzieht das ganze Kapitel. Mose wird beauftragt, vom Pharao die Freilassung des versklavten Volkes Israel zu erzwingen. Doch Ägypten und das Schicksal Israels in Ägypten waren für Mose weit weg gerückt. Darum muss seine Verbindung mit Israel neu geknüpft werden. Mose war Kind israelitischer Eltern und auch Adoptivsohn einer ägyptischen Prinzessin. Er hatte einen ägyptischen Aufseher erschlagen, der einen Israeliten geprügelt hatte, und musste sehen, dass ihm die eigenen Leute diese Tat nicht lohnten. Aus Angst um sein Leben war er geflohen, hatte im Land Midian eine Bleibe gefunden, in die Familie eines midianitischen Priesters eingeheiratet und sich in das Leben eines Hirten im Dienst seines Schwiegervaters eingewöhnt.

Aber dann, so setzt Ex 3 ein, lässt ihn ein seltsames Geschehen vom alltäglichen Trott abweichen. Er sieht einen Dornbusch, der brennt und nicht verbrennt. Das eigentümliche Schauspiel bringt Mose dazu heranzutreten - die Stimme Gottes heißt ihn jedoch, nicht zu nahe zu kommen. Die Begegnung mit dem Heiligen fordert Nähe und Distanz. Dann spricht Gott Mose an. Bevor der (in V. 14 vorbereitete, in V. 15 geschriebene) Eigenname Gottes offenbar wird, spricht Gott von sich in anderen Benennungen. Er sei - das ist die erste - der Gott seines Vaters. Der Vater des Mose spielt keine große Rolle in den Überlieferungen und von dessen Gott ist sonst nicht die Rede. Diese Bezeichnung steht am Beginn, weil es darum zu tun ist, Mose an seine eigene Geschichte zu erinnern, ihn wieder seinem Volk einzubinden.

Sodann stellt Gott sich dem Mose vor als "Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs" bzw. einige Verse danach "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs". Die Rabbinen nehmen die kleine Differenz wahr und interpretieren sie: Wenn es "Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs" heiße, sei ausgedrückt, dass Gott sich in jeder der Generationen der Erzeltern in je besonderer Weise gezeigt habe. Die Wendung "Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs" betone dagegen die Kontinuität Gottes in den Generationen.

Er werde mit ihm sein, verheißt Gott dem Mose und bereitet so die Offenbarung des Namens vor, der mit dem Wort haja - "sein, da sein, für jemanden da sein" zusammengebracht wird. Mose will nun wissen, was er denn sagen solle, wenn er seinerseits gefragt werde, wer der Gott sei, der sich Israels annehmen wolle. Und nun (Ex 3,14) bekommt er die Antwort: ähjä aschär ähjä. "Ich bin, der ich bin." So kann man das übersetzen, die flexible Zeitstruktur des Hebräischen erlaubt jedoch ebenso: "Ich werde sein, der ich sein werde." Denkbar ist auch ein Wechsel innerhalb der Wendung, also "Ich bin, der ich sein werde" oder "Ich werde sein, der ich bin." Gott ist, so lesen die Rabbinen, jetzt für sein Volk da und er wird es auch in künftigen Bedrückungen sein.[4] Hört man hier eine Erklärung des Gottesnamens, so leuchtet das "Ich-bin-da" Gottes in vielen Dimensionen, Zeiten und Aktionen auf. Aber man kann es auch ganz anders hören, nämlich als Abweisung der Frage nach dem Namen: Du fragst nach meinem Namen? Ich bin, der ich bin - ich heiße, wie ich heiße!

Namensoffenbarung oder Namensverweigerung? Eben beides. Die Verweigerung, die Abwehr eines Definitionszugriffs, der im Kennen eines Namens und der Möglichkeit, den namentlich Bekannten her zu zitieren, stecken kann, ist ein konstitutives Element der Namensoffenbarung. Zu dem, was offenbar wird, gehört das, was sich dem Zugriff entzieht. So lässt gerade die Vielfalt der möglichen Lesarten die Fülle dessen aufscheinen, das im Namen Gottes aufleuchtet und zugleich verborgen bleibt. Zum Verstehen gehört darum auch das Nicht-Verstehen, und im aufmerksamen und behutsamen Umgehen mit dem Gottesnamen sollte stets beides mitklingen (bzw. mitschweigen).

Deutlich ist in Ex 3,14, dass die Verbform ähjä den j-h-w-h geschriebenen Gottesnamen mit haja - "sein, da sein, für jemanden da sein" verbindet. Wird aus dem "Ich bin da" in V. 14 ein (grammatisch, aber nicht auch in einer gender-Perspektive maskulines) "Er ist da", ergibt sich die Konsonantenfolge j-h-w-h,[5] d.h. der Name Gottes, wie er dann im folgenden Vers geschrieben steht: JHWH ist es, der durch Mose die Befreiung bewirkt.[6]

Dieser V. 15 ist ebenso wichtig wie der vorangehende. Gott sagt: "Dies ist mein Name für alle Zeit (le'olam), und dies ist meine Benennung von Generation zu Generation." Das le'olam lesen die Rabbinen in anderer Vokalisierung auch als le'eläm - "zum Geheimnis" und folgern daraus, der gesprochene Gottesname solle als Geheimnis gelehrt werden. Und im "dies ist ... und dies ist" hören sie, dass das eine etwas anderes sei als das andere, dass nämlich der Name anders geschrieben als gesprochen werde.[7]


Gottes Name ist unübersetzbar

In antiken Religionen waren Götternamen übersetzbar. So gab es die Sonnengottheit, die z.B. in Ägypten Re, bei den Sumerern Utu, in Babylonien Schamasch, in Griechenland Helios und in Rom Sol hieß. Man konnte in den verschiedenen Namen die gleiche Gottheit bezeichnet sehen. Die Frage, wer den richtigen Sonnengott verehre, stellte sich nicht. Der mächtige Wettergott konnte in Syrien Hadad, in Phönizien Ba'al, bei den Hethitern Teschup heißen und in Keilschrift konnte man all diese Gottheiten mit dem Schriftzeichen des alten sumerischen Wettergottes dIM schreiben. Besonders deutlich wird diese Übersetzbarkeit bei den griechischen und römischen Gottheiten: Zeus ist Jupiter, Hera ist Juno, Artemis Diana, Hades Pluto usw., allein die Namen sind verschieden. Diese Übersetzbarkeit galt und gilt für Israels Gott nicht. Zwar hat Israels Gott - religionsgeschichtlich gesehen - Züge von Gottheiten der Umwelt in sich aufgenommen, doch die Vorstellung, JHWH sei ein Gott, der von anderen Völkern unter anderem Namen verehrt werde, ist der Bibel fremd.

Dieser Namensträger ist einer und einzig und der Name selbst ist unübersetzbar. Übersetzbar ist dagegen das Ersatzwort für das geschriebene Tetragramm. So bietet die Septuaginta, die einflussreichste Übersetzung der Hebräischen Bibel ins Griechische, überwiegend und dann auch das Neue Testament als Wiedergabe des Gottesnamens das Wort Kyrios, eine Art Übersetzung von Adonaj. Doch zeigt sich hier wie so oft, dass kaum ein Wort einer Sprache einem Wort einer anderen Sprache deckungsgleich ist. Denn nur auf den ersten Blick entsprechen Adonaj und Kyrios einander. Adonaj hängt zwar mit dem Wort adon zusammen, welches "Herr" bedeutet, doch ist es eine ganz eigentümliche Wort- und Lautbildung, die ausschließlich für Israels Gott gebraucht wird. In der alleinigen Beziehung auf Gott hat das Ersatzwort Adonaj für das nicht ausgesprochene JHWH seinerseits einen Namenscharakter. Eine Verwechslung dieses Herrn mit den vielen anderen Herren ist jedenfalls ausgeschlossen. Eben das gilt aber weder für das griechische Kyrios noch für weitere "Übersetzungen" wie Dominus oder Herr.[8] Im Neuen Testament[9] kann Kyrios[9] sowohl Gott meinen als auch Jesus, und auch andere Herren können so bezeichnet werden. Manche Stellen spielen womöglich mit einer doppelten Beziehung auf Gott und den Messias Jesus an - und doch ist letzterer im Neuen Testament von Gott unterschieden. Die christliche Glaubensfigur der Trinität, des dreieinigen und dreifaltigen Gottes, entsteht erst in nachbiblischer Zeit. Lässt sich in neutestamentlichen Texten die Beziehung von Kyrios auf Gott oder auf Jesus meist unterscheiden, so kommt es in gegenwärtiger kirchlicher Sprache - vor allem in formelhaften Wendungen in Gebet und Liturgie - zu Verwechslungen. Auf den "Herrn Jesus" beziehen Christen dann manche Wendungen, vollends wenn es sich um Zitate aus dem Alten Testament handelt, die von Gott reden. Auch so wird in der Rede vom "Herrn" der Charakter eines Ersatzwortes für den Namen Gottes unkenntlich.


Gott ist nicht männlich

Es kommt noch etwas hinzu. Wie erwähnt, wäre ein von haja - "sein, da sein" abgeleiteter Name JHWH grammatisch maskulin. Wird er mit einem Verb verbunden, erscheint dieses in männlicher Form (er sprach, er sah usw.). Doch aus der grammatischen Form folgt nicht, dass Israels Gott ein Mann sei. Mehrfach heißt es in Gottes Rede, er sei "Gott und kein Mann" (Num 23,19; 1 Sam 15,29; Hos 11,9), es gibt zudem manche Wortbilder und Bildworte, die weibliche Züge Gottes betonen. Und wenn es am Anfang der Bibel heißt, Gott habe den Menschen, männlich und weiblich, nach seinem Bilde erschaffen, kann das Vor-Bild nicht allein männlich sein. Dass Gott kein Mensch ist, wissen wir; wir müssen nun noch lernen, dass Gott auch kein Mann ist. Mit unserem Thema hat all das zu tun, weil die flächendeckende Wiedergabe des Gottesnamens mit "Herr" die Männlichkeit Gottes viel fester zurrt, als es die biblischen Texte selbst tun. Im Festhalten an "Herr" (oder dessen Äquivalenten in anderen Sprachen) als Wiedergabe des Gottesnamens in liturgischen Verordnungen der Kirchen (nicht nur der römisch-katholischen) zeigen sich daher nicht allein Sprachtraditionen, sondern auch männliche Dominanzansprüche.

Ein Zwischenfazit: Das Aussprechen (oder mit dem Ziel des Aussprechens erfolgende Schreiben) des Gottesnamens verfehlt die eine Seite des biblischen Umgehens mit dem Eigennamen Gottes. Christinnen und Christen sollten darum Ersatzworte für den Gottesnamen sprechen. Doch die flächendeckende Wiedergabe des Gottesnamens mit "Herr" verfehlt die andere Seite des biblischen Umgehens mit dem Eigennamen Gottes. Sie macht den Namen unkenntlich, sie macht das besondere Wort zu einem Allerweltswort, sie legt Gott auf Männlichkeit fest und in all dem hintergeht sie das biblische Zugleich von Nähe und Distanz, Wissen und Nichtwissen, Offenbarung und Geheimnis. Gibt es geeignetere Möglichkeiten der Wiedergabe des Gottesnamens?


Warum sagen wir nicht immer "Gott"?

Wäre es nicht naheliegend, stets "Gott" zu sagen, wenn von Gott die Rede ist? Hören wir nicht "Gott" als einen Namen, wenn wir in Gottesdienst und Gebet von Gott sprechen oder Gott anreden? Es gibt dagegen nur einen einzigen Einwand: Die Bibel sagt nicht immer "Gott", wenn sie von Gott spricht. Ob Gott mit dem Eigennamen JHWH genannt ist oder mit der ebenfalls sehr häufigen Benennung Elohim (Gott), ist oft geradezu ein Schlüssel zum Verstehen der Texte.

Dazu ein Beispiel: Kann man die bedrückende Geschichte in Gen 22, in der Gott von Abraham fordert, er solle seinen einzigen und geliebten Sohn Isaak schlachten, wirklich verstehen? Keine Interpretation vermag den Schrecken zu nehmen, den sie bereitet und den ihr gutes Ende kaum mindert. Eins aber ist gewiss: Überhaupt nicht verstehen kann diese Geschichte, wer nicht wahrnimmt, dass ein Wechsel der Rede von Gott ihr die entscheidende Wende gibt. Der Befehl geht aus von "der Gottheit" (ha-elohim). In dem Moment aber, in welchem ein Bote Gottes erscheint und Abraham befiehlt, dem Jungen nichts anzutun, ist es der Bote JHWHs. In eben dem Moment, in dem Gott mit dem eigenen Namen erscheint, wird offenbar, dass das Menschenopfer nicht sein soll.

Der unterschiedliche Gebrauch von JHWH und "Gott" (elohim) sowie der - hier geschriebenen - Benennung Adonaj kennzeichnet (um ein weiteres Beispiel anzudeuten) den 90. Psalm. Dieses Gebet, das vom Menschenleben und seiner Vergänglichkeit handelt, stellt als Ganzes eine Bewegung vom fernen Gott zu einem nahen dar und mündet ein in eine Verbindung mehrerer Seiten Gottes.

Auch wer der rabbinischen Unterscheidung, nach der das Tetragramm (JHWH) die Eigenschaft der Barmherzigkeit und "Gott" (elohim) die Eigenschaft des Gerichts bezeichne, nicht an allen Stellen folgen mag, sollte beachten, dass die Bibel selbst (im Alten Testament in der Differenzierung von JHWH und elohim, im Neuen in der von kyrios und theos) zwischen der Benennung "Gott" und dem Namen Gottes unterscheidet. Wer hinter diese Unterscheidungen zurückfiele und stets "Gott" sagte, machte etwas Wichtiges im spannenden und spannungsvollen biblischen Reden von Gott unsichtbar.

Nur am Rande sei erwähnt, dass die Bibel neben dem Eigennamen Gottes und der Benennung als "Gott" eine Reihe weiterer Namen oder namenähnlicher Benennungen kennt. Da gibt es mit elohim verwandte Wortbildungen wie el oder eloah, die "Gott" bedeuten, da gibt es den in seiner ursprünglichen Bedeutung vermutlich schon in alttestamentlicher Zeit nicht mehr bekannten Namen Schaddaj, der darum in sehr unterschiedlichen Konnotationen sowohl die nährende als auch die zerstörende Kraft und schließlich die mit keiner anderen vergleichbare Macht Gottes ins Bild setzen kann. Da begegnet eljon, eine Akklamation des "Höchsten", und es gibt entsprechende Formulierungen in den griechischen Teilen der Bibel.[10] Für diese und weitere Benennungen gibt es mehr oder weniger geeignete Übersetzungsversuche; die schwierigste Frage bleibt die nach dem Umgehen mit Gottes Eigennamen.


Wie lässt sich das Unübersetzbare übersetzen?

Was tun, wenn sich ein - ohnehin nur auf der Ebene einer hypothetischen Rekonstruktion mögliches - lautes Lesen des Gottesnamens ebenso als unangemessen zeigt wie der flächendeckende Gebrauch des nicht einmal mehr als Ersatzwort erkennbaren "Herr"? Es gibt Umschreibungen, die das Sagbare und das Unsagbare zu verbinden suchen. Im deutschsprachigen Judentum geläufig ist die (u.a. in der von Leopold Zunz im 19. Jh. besorgten Übersetzung der "Heiligen Schrift" verwendete) Wiedergabe des Tetragramms mit "der Ewige". Sie lässt sich z.B. mit Calvins "L'Éternel" verbinden und hat so den Vorzug jüdischer und christlicher Tradition. Aber müsste dann nicht auch Raum sein für "die Ewige"? Eine geniale Idee der Ersetzung des Namens bietet die Verdeutschung der "Schrift" von Martin Buber und Franz Rosenzweig. Sie setzt für das Wort das Fürwort ein, für den Namen das Pronomen und gibt das Tetragramm je nach der Satzstruktur mit einem in Kapitälchen geschriebenen, also besonders hervorgehobenen ER bzw. DU und in Gottesreden dann auch ICH wieder. So faszinierend diese Möglichkeit ist, so sehr gelten auch ihr Rückfragen, die sich an die Wiedergabe "Herr" richten. Im Schriftbild unterscheiden sich jenes ER, DU oder ICH von einem Allerwelts-ich, -du, -er wie das "HERR" oder "HErr" in manchen Lutherbibeln vom Allerwelts-Herr, doch wird die geschriebene Differenz im gesprochenen (z.B. im Gottesdienst gelesenen) Wort-Laut unkenntlich. Zudem dürfte gerade das bei Buber/Rosenzweig dann so überwiegende ausdrücklich betonte ER die Vorstellung einer exklusiven Männlichkeit Gottes befestigen. Freilich gilt dieser Vorbehalt nicht beim ICH und auch nicht beim DU, das gerade in Psalmen und Gebeten Vertrauen und Klage zugleich hörbar werden lässt.

Was also tun? Wie können wir die Vielfalt biblischer Rede von Gott ebenso aufnehmen wie ihre Unterscheidung von Eigenname und Bezeichnungen Gottes? Wie können wir der Zugriffigkeit gegenüber Gott und Gottes Namen ebenso entgehen wie der Banalisierung im Umgang mit dem Gottesnamen? Wie wäre der biblischen Dialektik von Offenbarung und Entzug, von Wissen und Nichtwissen, von Nähe und Distanz Respekt zu erweisen? Was tun, wenn es nicht die eine allseits befriedigende Lösung gibt? Eine Möglichkeit wäre die, die auch im Versuch, das Bilderverbot zu achten, die womöglich einzige ist, nämlich viele Bilder zuzulassen und keinem zuzugestehen, das richtige zu sein. So könnte eine Vielfalt, eine freilich nicht beliebige Vielfalt von Wiedergaben des Gottesnamens das Richtigere sein. Das noch Wichtigere ist, die notwendigen Fragen immer wieder neu zu stellen und keinen unserer Versuche als die Lösung auszugeben.

Die Bibel selbst zeigt in ihren innerbiblischen Übersetzungen, ihren Handschriften und Drucken an vielen Stellen das zutiefst Fragliche jeder Rede von Gott und von Gottes Namen. Wir sollten nicht klüger sein wollen als die Tradenten, die in biblischen Zeiten je auf ihre Weise versuchten, Gottes Namen zu achten. Nur wer weiß, dass immer etwas bleibt, das nicht in Worte zu fassen ist, darf den Versuch wagen, Gott in Worte zu fassen. Die Bibel selbst spricht von Gott vielfältig und nicht selten auch in der den Kanon kennzeichnenden Widersprüchlichkeit. Wir sollten es uns nicht einfacher machen.


Zusammenfassung

Gott hat in der Bibel einen Eigennamen. Das ist vielen Christen unbekannt, denn die Wiedergabe dieses Namens mit "Herr" lässt es kaum erkennen. Die Bibel unterscheidet zwischen der Weise, in der Gottes Name geschrieben, und der, in der er gesprochen wird; sie unterscheidet auch zwischen der Benennung "Gott" und dem Namen Gottes. Es wäre gut, das in Bibelübersetzungen und in christlicher Gottesdienst- und Gebetssprache sichtbar und hörbar zu machen.


Anmerkungen:

[1] Weiteres dazu in folgenden Arbeiten des Verf.: "Name ist Schall und Rauch". Beobachtungen und Erwägungen zum Namen Gottes, in: ders. u.a. (Hg.), Gretchenfrage II, Jabboq 3, Gütersloh 2002, 17-82; Zur Wiedergabe des Gottesnamens in einer Bibelübersetzung oder: Welche "Lösungen" es für ein unlösbares Problem geben könnte, in: Helga Kuhlmann (Hg.), Die Bibel - übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer neuen Übersetzung, Gütersloh 42007, 150-158; Die Unübersetzbarkeit des Gottesnamens, in: Christine Gerber u.a. (Hg.), Gott heißt nicht nur Vater, Göttingen 2008, 13-36.

[2] Dazu Martin Rösel, Adonaj - warum Gott "Herr" genannt wird, Tübingen 2000; Bernhard Lang, Jahwe, der biblische Gott, München 2002, bes. 245-260.

[3] Diese Wiedergabe erklären die Instruktion Liturgiam Authenticam (2001) und weitere römische Lehrschreiben als verbindlich. Dagegen bietet die (bisherige) "Einheitsübersetzung" mehrfach (Ex 3,15, aber auch am Beginn der Zehn Gebote) "Jahwe".

[4] Aber nicht nur unterschiedliche Zeitformen kann man im doppelten ähjä hören, sondern auch eine unterschiedliche Füllung dieses ähjä. So versteht Stephane Mosès den Satz ebenso spannend wie spannungsvoll im Sinne eines: Ich bin der, den ihr aus mir machen werdet. St. Mosès, "Ich werde sein, der ich sein werde", in: C. Hilfrich-Kunjappu/ders. (Hg.), Zwischen den Kulturen, Tübingen 1997, 65-77.

[5] Man erwartet die Buchstabenfolge j-h-j-h, doch können im Hebräischen die Halbkonsonanten j und w gelegentlich wechseln.

[6] Entsprechend stellt sich Gott am Beginn der Zehn Gebote (Ex 202; Dtn 5,6) mit dem eigenen Namen als Gott der Befreiung vor.

[7] "Es sprach der Heilige, gesegnet er: Nicht wie ich geschrieben werde, werde ich gerufen. Geschrieben werde ich mit den Buchstaben Jod und He" (d.h. JHWH), "gerufen werde ich mit den Buchstaben Alef und Dalet" (d.h. Adonaj) (Babylonischer Talmud, Qidduschin 71a).

[8] Die Besonderheit kommt im Schriftbild z.B. mancher Luther-Bibeln in Schreibweisen wie "HERR" oder "HErr zum Ausdruck, sie verschwindet aber beim lauten Lesen.

[9] Dazu Klaus Wengst, Erwägungen zur Übersetzung von "kyrios" im Neuen Testament, in: Kuhlmann, Bibel, 178-183.

[10] Dazu der Artikel "Gott im Glossar der Bibel in gerechter Sprache sowie die Zusammenstellung von Thomas Hieke hier im Heft, 68f.


Prof. Dr. Jürgen Ebach ist Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments und biblische Hermeneutik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, E-Mail:juergen.h.ebach @rub.de


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Quelle:
Bibel und Kirche - Organ der Katholischen Bibelwerke in Deutschland,
Österreich und der Schweiz, 65. Jahrgang, 2. Quartal 2010, 2/2010,
Seite 62-67
Herausgeber: Dr. Franz-Josef Backhaus, Dipl.-Theol. Dieter Bauer,
Österr. Kath. Bibelwerk Klosterneuburg
Redaktion: Dr. Bettina Eltrop, (eltrop@bibelwerk.de)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2010