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FRAGEN/001: Nicht besser, aber anders - Auf den Spuren jüdischer Hermeneutik (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 4/2010

Nicht besser, aber anders
Religionswissenschaftlerin Francesca Albertini auf den Spuren jüdischer Hermeneutik


Im Rahmen der hermeneutischen Forschung sind interkulturelle Arbeiten, die Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen den Interpreten der monotheistischen Religionen aufzeigen, immer noch die große Ausnahme. Das war unter anderem der Grund für ein Buchprojekt zur Hermeneutik der Heiligen Texte, an dem Prof. Dr. Francesca Albertini aus dem Potsdamer Uni-Institut für Religionswissenschaft beteiligt ist. Mit ihr sprach Portal-Redakteurin Petra Görlich.

FRAGE: Frau Albertini, nicht jeder Portal-Leser kann etwas mit dem Begriff der Hermeneutik anfangen. Was verbirgt sich dahinter, vor allem im Hinblick auf den Umgang mit den Heiligen Texten?

FRANCESCA ALBERTINI: Hermeneutik ist zugleich Wissenschaft als auch Kunst. Sie betrifft das Verstehen und eben auch das Auslegen eines Textes beziehungsweise Kunstwerkes. Das Verstehen impliziert den rationalen Gedanken, während das Auslegen die Methode impliziert, nach der man versteht. Das Auslegen ist natürlich auch eine Denkmodalität, aber ihr Inhalt konzentriert sich lediglich auf die Untersuchungsform eines Objektes. In Bezug auf die Heiligen Texte ist die Hermeneutik eine ständige Neuentdeckung und Neuvertiefung der göttlichen Botschaft.

FRAGE: Welches ist der gemeinsame Ausgangspunkt aller Teiluntersuchungen des Projektes?

FRANCESCA ALBERTINI: Jeder Heilige Text muss Anknüpfungspunkte zu den Menschen in ihrer empirischen Realität haben. Und die ist eben keine statische. Die unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Entwicklungen prägen sie und ihr Verhältnis zu den Texten. Wir untersuchen, wie sich die Hermeneutik in den drei monotheistischen Religionen Christentum, Islam und Judentum entwickelt hat. Mit welchen Schwierigkeiten sie konfrontiert wurde, damals wie heute.

FRAGE: Können Sie das aus jüdischer Sicht beispielhaft beschreiben?

FRANCESCA ALBERTINI: Man kann da nicht von einer einheitlichen hermeneutischen Methode im Judentum ausgehen. Es gibt Unterschiede zwischen den rabbinischen Schulen. Das ist die größte Schwierigkeit. Bei jeder der Schulen könnte von einer unterschiedlichen Interpretationsmethode gesprochen werden. Im Vergleich zum Neuen Testament benutzen die Rabbiner zum Beispiel problemlos auch heidnische Elemente, etwa die altgriechische Philosophie. Sie wurde als Instrument für die Öffnung des Heiligen Textes benutzt. Es gab da absolut keine inhaltliche Grenze. Das ist schon ein Unterschied zur christlichen und auch zur islamischen Tradition: diese fehlende Angst vor hermeneutischen Methoden, die nicht unbedingt aus monotheistischen Bereichen stammen. Ich glaube, das ist auch der größte Unterschied. Ich will damit nicht sagen, dass wir im Vergleich zu muslimischen oder christlichen Denkern die besseren Interpreten sind. Aber die Denkweisen sind andere.

FRAGE: Der Aspekt wird vermutlich eine herausragende Rolle spielen?

FRANCESCA ALBERTINI: Ja, ich hebe den rabbinischen Mut und die Kraft hervor, den Heiligen Text herauszufordern und zu kritisieren. Diese innere hermeneutische Freiheit ist etwas ganz Besonderes.

FRAGE: Was bedeutet ihre Arbeit eigentlich für das Verständnis von Religion in der täglichen Auseinandersetzung?

FRANCESCA ALBERTINI: Sie zeigt, dass Religion auch im 21. Jahrhundert eine Rolle in der Gesellschaft spielen kann. Wenn das Buch dazu beiträgt, dass die Heiligen Schriften nicht mehr als Feinde der Moderne wahrgenommen werden, wäre es ein großer Erfolg. Zudem bin ich mir sicher, dass es Suchenden Antworten auf viele ihrer Fragen gibt.

FRAGE: Mit wem arbeiten Sie für dieses Buch konkret zusammen?

FRANCESCA ALBERTINI: Mit dabei sind die beiden Professoren Stefan Alkier und Ömer Ozsoy von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. Damit ergibt sich eine interessante Konstellation. Wir sind Experten unterschiedlicher Bereiche, gehören einem unterschiedlichen Glauben an. Während Stefan Alkier zum Neuen Testament arbeitet, beschäftigt sich Ömer Ozsoy mit der islamischen Theologie. Ich selbst konzentriere mich wie gesagt auf das Judentum.

FRAGE: Das Vorhaben ist also zugleich auch eine menschliche Herausforderung?

FRANCESCA ALBERTINI: Eigentlich schon. Wir hoffen, durch das Ende 2012 erscheinende Buch zeigen zu können, dass wir trotz der unterschiedlichen Religionen auch große Gemeinsamkeiten haben. Die Hermeneutik beweist, dass jeder Heilige Text den Menschen in ihrer Gleichheit und doch auch Verschiedenartigkeit offen bleibt für Interpretationen und Rezeptionen. Dahinter steht die Idee zu schauen, wie ein Heiliger Text den Einklang mit den unterschiedlichen geschichtlichen Momenten der Menschheitsentwicklung schafft.

FRAGE: Wen wollen Sie ansprechen?

FRANCESCA ALBERTINI: Nicht nur die Experten auf dem Gebiet. Wir schreiben durchaus für ein breites Lesepublikum. In unserer wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit werden wir eine Sprache benutzen, die für alle gebildeten Menschen verständlich ist.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 4/2010, S. 11
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Januar 2011