Schattenblick → INFOPOOL → RELIGION → FAKTEN


FRAGEN/006: Karlheinz Ruhstorfer über das Verhältnis der Buchreligionen zur Wissenschaft (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 10 vom 7. Juni 2016

Verbreiten wir die Herrlichkeit Gottes durch Technologie!
TUD-Experten befragt: Theologe Prof. Karlheinz Ruhstorfer über das Verhältnis der Buchreligionen zur Wissenschaft

Von Heiko Weckbrodt


Religiöser Fundamentalismus ist weltweit ein wachsendes Problem. Solche Fundamentalisten berufen sich meist auf "alte Werte", setzen die aber gerne mit modernster Waffentechnologie durch. Wie aber stehen eigentlich die drei großen monotheistischen Religionen - das Christentum, der Islam und das Judentum - zu wissenschaftlich-technischem Fortschritt? Im Zuge der UJ-Reihe "TUD-Experten befragt" hat Unijournal-Mitarbeiter Heiko Weckbrodt mit Prof. Karlheinz Ruhstorfer vom Institut für Katholische Theologie der TU Dresden eine theologisch-philosophische Zeitreise unternommen.


Unijournal: Im DDR-Unterricht haben die Lehrer gern erzählt, dass Religion und Wissenschaft unvereinbar sind seit dem Anbeginn der Zivilisation. Aber tatsächlich war dieses Verhältnis gerade bei den sogenannten Buchreligionen wohl eher ein ambivalentes, oft sogar ein enges, oder?

Prof. Ruhstorfer: Man muss sich vor Augen halten, dass das Judentum seit Alexander dem Großen und das Christentum - sowie später auch der Islam - schon immer starken Einflüssen der antiken griechischen Wissenschaften ausgesetzt waren. Als das Christentum gerade entstand, gab es unter jüdischen Gelehrten viele Versuche, die griechischen Wissenschaften und die jüdischen Glaubenspositionen irgendwie zusammenzuführen.

Es gibt da diese Passage in der Bibel mit dem brennenenden Dornbusch, der zu Moses spricht. Als nun Moses sich vergewissern will und fragt, wer da zu ihm spricht, kommt in der hebräischen Fassung der Bibel "Jahwe", dessen Buchstaben gedeutet wurden als: "Ich bin, der ich bin". In der griechischen Bibel steht da: "Ich bin der Seiende". Dem Gebildeten, der dies damals las, kam diese Formulierung aus den antiken Schriften sehr bekannt vor, für ihn war vollkommen klar: Das ist der Gott der Wissenschaft, von dem schon Aristoteles und Platon geschrieben hatten. Und so folgerten die frühen gebildeten Christen: Unser Gott, das ist der denkende, ja mehr noch der logische Gott der Griechen!

Diesen Schulterschluss mit den "heidnischen "Griechen und deren "Techne" im Sinne von Kunst, Wissenschaft und Technik haben die Kirchenväter später immer weiter ausgebaut.


Unijournal: Und das hatte welche praktische Folge für das Wissenschaftsverständnis von Klerus und Gläubigen ...?

Prof. Ruhstorfer: Für den christlichen Kulturkreis hat dies die Saat gelegt für die Gleichsetzung von Gott = Logos im Sinne des vernünftigen, antreibenden Geistes. Und dies führte im nächsten Schritt zum Gedanken: Wir wenden im Grunde den göttlichen Bauplan an, wenn wir die Welt erforschen oder kreativ tätig sind. Insofern hat das Christentum von seinen Anfängen an den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt gefördert.


Unijournal: Und der Islam?

Prof. Ruhstorfer: Da war es zunächst ganz ähnlich: Durch die Expansion in die Osthälfte des Römischen Reiches kauften sich die Araber in die antike Kulturgeschichte ein. Sie fingen an, Aristoteles zu lesen und sahen genauso wie Christen und Juden die Parallelen zu ihrer Lehre. Sie identifizierten "Logos" im Sinne eines göttlichen Weltenbauplanes mit ihrem Koran. Nur dass sie eben anders als die Juden nicht an ein einziges auserwähltes Volk glaubten, sondern alle Völker für auserwählt hielten, und anders als die Christen nicht an die Fleischwerdung Gottes oder an die Trinität glaubten. Die Muslime waren dann über Jahrhunderte hinweg die Bewahrer der antiken griechisch-römischen Wissenschaft, Kultur und vor allem auch der Philosophie, während der Westen nach dem Untergang des Römischen Reichs im Dunkel versank.


Unijournal: Doch dann kamen die Karolinger in Europa...

Prof. Ruhstorfer: Sie stoppten die islamische Expansion und läuteten eine erste Renaissance, eine erste Wiederbesinnung auf das antike Wissen ein. Die nächsten Schübe kamen, als die ersten Universitäten in Bologna und Oxford gegründet wurden - ein Phänomen, das es so nur im christlichen Kulturkreis gab und das besondere weltgeschichtliche Bedeutung hatte, da die Universitäten die Basis für die Wissenschaftskultur des heutigen Europas waren. Der Fall von Konstantinopel 1453 führte dann zur Flucht vieler Gelehrter des alten Reiches gen Westen und zu einem Fluss antiken Wissens nach Europa. Dies stützte die nächste Renaissance und den aufkommenden Humanismus.


Unijournal: Um diese Zeit herum begannen die christlichen Europäer, überlegene Waffen und Schiffe zu bauen, um sich die Welt zu unterwerfen. Wenn man an den Vorsprung denkt, den die islamische Hochkultur im Mittelalter hatte, fragt man sich natürlich: Warum setzte dort nicht eine ähnliche Entwicklung ein? Gab oder gibt es im Christentum, im Islam und im Judentum vielleicht doch jeweils besondere innewohnende theologische Hemmnisse oder Affinitäten zu Wissenschaft und Technik? Diese Fragen drängen sich ja umso stärker heute auf, da die fundamentalistischen ISIS-Milizen in ihren Zukunftsphantasien doch so sehr auf das Kalifat und die islamische Blütezeit bis zum 14./15. Jahrhundert rekurrieren...

Prof. Ruhstorfer: Es waren wohl nicht so sehr theologische Bremsen in den anderen Religionen, sondern vielmehr die Besonderheiten des Christentums in Europa. Die jüdischen Gelehrten hatten seit dem Mittelalter stets Anteil an der abendländischen Entwicklung, formten sie mit. Unter vielen islamischen Gelehrten dagegen machte sich ab einem bestimmten Punkt irgendwann um 1200 die Vorstellung breit, genug zu wissen und nicht viel mehr darüber hinaus wissen zu müssen und zu wollen. Damit schloss sich das Tor der Forschung im Islam immer mehr und es kam auch nicht zu Universitätsgründungen wie in Europa.

Anders im christlichen Europa, wo die Theologie eine besondere Richtung einschlug. Der Mensch als Offenbarung Gottes war hier von Anfang an ein Kerngedanke. In der Neuzeit verrückte sich der theologische Fokus innerhalb der Trinität dann stärker vom fleischgewordenen Sohn auf den Geist, also auf "das Göttliche in uns". Und mit der Reformation und der katholischen Reform tritt der Gedanke hinzu, dass sich die Herrlichkeit Gottes in dem manifestiert, was der Einzelne produktiv in seinem Leben hervorbringt. Und so machten die Europäer im 17. Jahrhundert einen Quantensprung in religiöser Kultur, Literatur, Kunst, Wissenschaft und Technik. Dieser Sprung versetzte sie in die Lage, überlegene Feuerwaffen zu bauen, denen bald weder Türken noch Chinesen etwas entgegensetzen konnten, und Schiffe zu konstruieren, die etwa Amerika erreichen konnten.


Unijournal: Waren dies bloße theologische Deutungen innerhalb des Klerus' oder ergriff dieses Sendungsbewusstsein, die Herrlichkeit Gottes durch eigene Taten zu verbreiten, wirklich breite Massen?

Prof. Ruhstorfer: Durch den Buchdruck mit beweglichen Lettern bekamen immer breitere Schichten Zugriff auf Bildung und verinnerlichten die neuen Gedanken. Dazu gehörte auch die um sich greifende Vorstellung, der Mensch habe ein Anrecht auf Freiheit. Und vor allem nach der Reformation verbreitete sich dann der Gedanke: Wer die bessere Bildung hat, hat am Ende die bessere Technologie und hat damit die Macht. Deshalb ist heute Berlin und nicht das katholische Wien die deutsche Hauptstadt: Die Protestanten haben diesen Zusammenhang zwischen Bildung, Technologie und Macht schneller verstanden und deshalb haben 1866 in Königgrätz die Preußen und nicht die Österreicher gewonnen.


Unijournal: Gemeinhin gelten religiöse Begründungen für Kriege als nur vorgeschoben. War aber also doch Religion verantwortlich dafür, dass das "christliche Abendland" den Rest der Welt zu unterjochen vermochte?

Prof. Ruhstorfer: Bis etwa 1830 sehe ich im Verhältnis Europas zu Wissenschaft und Technik immer noch eine starke theologische Rückbindung. Danach löst sich - vor allem und zuerst in Deutschland - diese religiöse Rückbindung zu Gunsten der entfesselten Wissenschaft: Gott ist tot und alles, was zählt, ist der Wille zur Macht, um mit Nietzsche zu sprechen. Wobei auch diese Vorstellung, dass ein Gott sterben kann, so nur im Christentum wachsen konnte, wenn man an den Kreuzestod von Jesus denkt, der als identisch mit Gott gedacht wird.

Von nun an gab es kein Halten mehr. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt erlaubte es plötzlich kleinen Landflecken wie Deutschland oder England, Millionen zu ernähren und nach der Welt zu greifen. Technologie trat seitdem an die Stelle von Metaphysik.

Karlheinz Ruhstorfer wurde 1963 im bayerischen Simbach geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie und Katholische Theologie in München und Freiburg. Seit 2013 hat er die Professur für Systematische Theologie an der Philosophischen Fakultät der TU Dresden inne.

*

Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 27. Jg., Nr. 10 vom 07.06.2016, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.dresdner-universitaetsjournal.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang