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BERICHT/059: Rollenverständnis der Imame in Deutschland (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion 1/2007

Auf dem Weg zum Integrationslotsen?
Das Rollenverständnis der Imame in Deutschland ändert sich

Von Hansjörg Schmid


Als Hassprediger verschrien, als Integrationslotsen gefordert, stehen Imame erst seit wenigen Jahren im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Unzureichende Sprachkenntnisse erschweren es, dass Imame in Deutschland zu Ansprechpartnern für Kirchen und Kommunen werden. Das Nachdenken über die Rolle der Imame hat jedoch auch innermuslimisch eingesetzt.


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Muslimische Imame spielen in der Öffentlichkeit keine wichtige Rolle. Selten machen prominente Imame in Deutschland von sich reden wie der Leipziger Imam Hassan Dabbagh durch provozierende Fernsehauftritte oder der eloquente frühere Mannheimer Imam Bekir Alboga, jetzt Dialogbeauftragter der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DiTiB), der wie der Stuttgarter Imam Abdelmalik Hibaoui am Integrationsgipfel im Bundeskanzleramt teilgenommen hat. In den gegenwärtigen Diskussionen ist das Thema Imame vor allem durch die so genannten Hassprediger präsent.

Auch nach Auffassung der Sicherheitsbehörden handelt es sich hierbei jedoch um eine kleine Minderheit: So wurden im März 2006 bundesweit 39 Moscheen als verdächtig eingestuft. Zudem gehen die Sicherheitsbehörden davon aus, dass sich entsprechende Tendenzen von den Moscheen ins schwerer greifbare Internet verlagern. Von diesen Auswüchsen abgesehen ist die Mehrheit der in Deutschland tätigen Imame eine große Unbekannte.

Seit einigen Jahren werden Imame aber auch als Ansprechpartner wahrgenommen, obwohl nicht selten fehlende oder mangelhafte Deutschkenntnisse dies erschweren. So tauchen Imame eher selten auf Einladungslisten von Kommunen und Kirchengemeinden auf und fühlen sich daher oft ignoriert. Dass neue Imame - wie in Rheine - vom Bürgermeister eigens begrüßt werden, ist noch die Ausnahme.

Das staatliche Interesse an Imamen hat jedoch zugenommen, was vor allem mit deren Einflussmöglichkeiten auf die Integration von Muslimen zusammenhängt. In diesem Zusammenhang hat der nordrhein-westfälische Integrationsbauftragte Thomas Kufen vor kurzem festgestellt: "Imame sind wichtige Multiplikatoren in der islamischen Bevölkerung. Das muss der Staat für integrative Zwecke stärker nutzen."


Imame sind zunächst keine "Seelsorger"

Was ist überhaupt ein "Imam" (arabisch, dt. "Vorsteher") beziehungsweise "Hoca" (türkisch)? Im Islam werden zunächst Prophetennachfolger und geistige Oberhäupter (etwa bei den Schiiten) als Imame bezeichnet. Hier geht es jedoch um Imame in einem weiteren Sinn: auf Deutsch kann man von Vorbetern und Predigern sprechen. Traditionelle Aufgaben eines Imams sind, dem rituellen Gebet vorzustehen, die Freitagspredigt zu halten, die Riten bei Geburt, Heirat und Tod zu vollziehen, Glaubensunterweisung und Koranunterricht zu erteilen sowie religiöse Fragen der Gläubigen zu beantworten. So sind Moscheen in der islamischen Welt in erster Linie Orte des Gebets und darüber hinaus keine sozialen Treffpunkte. Die Gebetsbesucher sind nicht förmlich als "Gemeinde" organisiert und durch Imame geleistete "Seelsorge" im christlichen Sinn gibt es in der Regel auch nicht. Daher ist für eine Tätigkeit als Imam in erster Linie die Kenntnis der in arabischer Sprache vollzogenen Gebetsriten Voraussetzung.

Wenn von Imamen die Rede ist, geht es in der Regel um männliche Muslime. Die Berufsmöglichkeiten für Frauen in den muslimischen Gemeinden und Organisationen entsprechen weitgehend denen in der katholischen Kirche; viele Frauen sind als Lehrerinnen auch in Deutschlands Moscheen tätig.

Aufsehen erregte freilich im März 2005 die feministische muslimische Theologieprofessorin Amina Wadud (vgl. Inside the Gender jihad. Women's Reform in Islam, Oxford 2006), die in New York provokativ einem Freitagsgebet mit Männern und Frauen vorstand. Dies war weltweit Anlass für kontroverse innerislamische Debatten. Luise Becker vom Kölner Zentrum für Islamische Frauenforschung (vgl. www.zif-koeln.de), das auf privater Basis Frauen zu Religionslehrerinnen ausbildet und ein geschlechtergerechtes Verständnis von islamischen Traditionen anstrebt, spricht sich dafür aus, Frauen nicht grundsätzlich von der Leitung des Gebets auszuschließen.


Zusätzliche Aufgaben in der Diasporasituation

Gerade in der Türkei gibt es inzwischen einen hohen Anteil weiblicher Studierender an den theologischen Fakultäten. Im Präsidium für Religiöse Angelegenheiten wächst das Bewusstsein, dass man diese Frauen nicht auf Dauer außen vor halten kann. Frauen können dort inzwischen als Korankurslehrerinnen, Predigerinnen, Referentinnen und stellvertretende Muftis ("Dekane") tätig werden. Ähnliche Entwicklungen gibt es in Marokko, wo seit Frühjahr 2005 auch Frauen am neu eingerichteten staatlichen Institut für Imamausbildung studieren, das nur Universitätsabsolventen aufnimmt und einen aufgeschlossenen Islam gewährleisten soll. Die bisherigen Veränderungen in beiden Ländern sind jedoch noch zaghaft.

Die Einwanderung von Muslimen nach Westeuropa ließ die Rolle der Imame nicht unberührt und hat zu einem regelrechten Paradigmenwechsel geführt. Zunächst gab es für die nach Westeuropa eingewanderten muslimischen Arbeitskräfte keine eigens organisierten religiösen Dienste. Sie begannen, sich selbst in Kulturvereinen nach bürgerlichem Recht zu organisieren, gerieten dabei jedoch gerade in den Fragen religiöser Expertise schnell an ihre Grenzen. Vor allem türkische islamische Bewegungen begannen ab Ende der siebziger Jahre, sich der Bedürfnisse der Muslime in Westeuropa anzunehmen, worauf der türkische Staat 1984 mit der Gründung der DiTiB und der Entsendung von Imamen aus der Türkei reagierte.

In der Diasporasituation eingewanderter Muslime sind Imamen eine ganze Reihe zusätzlicher Aufgaben zugewachsen: Da die Moschee sich zu einem sozialem Treffpunkt für die muslimische Minderheit entwickelt hat, sind sie als Ratgeber in sozialen Fragen gefordert. Mehr Erwachsene als in den Herkunftsländern wollen sich außerdem in religiösen Fragen bilden. Die in der Regel in der Herkunftssprache gehaltene Freitagspredigt spielt eine zentrale Rolle.

Aber auch in der Außenkommunikation der Moscheevereine sind Imame als Informationsvermittler gefragt, die Moscheebesucher in den Islam einführen und bei interreligiösen Gesprächen mitwirken. Suchen Schulen und Polizeidienststellen nach muslimischen Ansprechpartnern, meinen sie diese in den inzwischen oft mit Pfarrern gleichgesetzten Imamen zu finden. Christliche Kategorien lassen sich aber nur sehr bedingt auf Imame und islamische Strukturen insgesamt übertragen. So hat ein Imam keine besondere Weihe. Da er in der Regel vom Vorstand des ihn beschäftigenden Moscheevereins abhängig ist, lässt sich ein Imam am ehesten noch mit einem evangelischen Pfarrer vergleichen, der sich nicht über Entscheidungen des Ältestenrates seiner Gemeinde hinwegsetzen kann.

Verglichen mit den Vereinsvorständen ist der Einfluss der Imame jedoch vielerorts gering. Meist kommt es in den Moscheevereinen zu folgender Arbeitsteilung: Die in der Regel besser in die Aufnahmegesellschaft integrierten gewählten Vorstände sind für Außenbeziehungen zuständig, Imame für innere religiöse Angelegenheiten, wobei mittlerweile in vielen Moscheen die Unterweisung der Kinder nicht mehr allein durch den Imam, sondern durch kompetente Gemeindemitglieder erfolgt. Häufig gibt es in den Moscheevereinen inzwischen auch junge Leute mit guter Ausbildung, die die Gemeinde weitaus besser repräsentieren können als viele Imame und sich mit ihren Fragen oft nicht von diesen verstanden fühlen. Diese Situation führt den Islamwissenschaftler Jamal Malik zu einer kritischen Einschätzung: "Der Imam ist daher kaum der geeignete Repräsentant des Islam, für den man ihn hält" (Ausbildung und Rolle der Imame in der Moschee, in: www.anawati-stiftung.de/seiten/ 100jahre-11-19.pdf, 16).

In der Regel sind die Imame nur für einen Dienst in ihrem Herkunftsland vorbereitet. Ihre Kenntnisse in deutscher Sprache und Landeskunde sind oft gering. Als wichtigste Kompetenz eines Imams gilt weithin, den ganzen Koran auswendig zu kennen. Nur ein Teil der Imame hat ein Universitätsstudium in islamischen Wissenschaften absolviert, weshalb es teilweise auch an theologischer Kompetenz mangelt.

So sind der überwiegende Teil der 76.000 in der Türkei tätigen Imame Absolventen der Religiösen Gymnasien (Imam-Hatip-Schulen). Seit 2002 ist in der Türkei für Imame theoretisch ein Hochschulabschluss erforderlich, jedoch mit der Einschränkung, dass bei Bewerbermangel ein Imam-Hatip-Schulabschluss ausreicht. Obwohl Imame in der Türkei seit 1965 Beamtenstatus haben, werden sie schlechter als Lehrer und damit nicht besonders gut bezahlt. Der Auslandsdienst ist nicht zuletzt auch ein finanzieller Anreiz und ein mögliches Karrieresprungbrett für viele Imame.


Noch weitgehend am Herkunftsland orientiert

Die veränderten Anforderungen an Imame blieben auch bei den Betroffenen nicht unbemerkt. Indiz für eine einsetzende Rollenreflexion ist die - bemerkenswerterweise - in deutscher Sprache verfasste religionswissenschaftliche Dissertation des früheren Reutlinger DiTiB-Imams Ahmet Cekin (Stellung der Imame. Eine vergleichende Rollenanalyse der Imame in der Türkei und in Deutschland, diss. phil., Tübingen 2003). Ausgehend von geschichtlichen Entwicklungen hat Cekin anhand von qualitativen Interviews mit zehn Imamen in Deutschland den Rollenwandel untersucht. Cekin beschreibt, dass Imame in Deutschland nicht wie in der Türkei die Moschee nach dem Gebet verlassen können, sondern als Gesprächspartner zur Verfügung stehen müssen und auf diesem Weg eine der wichtigsten sozialen Aufgaben leisten (241). Das führt letztlich zu einer deutlichen Aufwertung: im Vergleich zu ihrer Position in der Türkei (247). Fehlende Sprachkenntnisse sieht Cekin zugleich als Hauptproblem (254).

In Deutschland gibt es schätzungsweise etwa 1500 hauptamtliche und 1000 ehrenamtliche Imame, die sich auf die verschiedenen Dachverbände verteilen. Prototyp des Imams ist der DiTiB-Imam. Derzeit sind 800 Imame aus der Türkei zu einem vierjährigen Dienst als Imam in einem DiTiB angeschlossenen Moscheeverein in Deutschland entsandt. Vorgesetzter und Koordinator dieser Imame ist der jeweilige Religionsattaché im türkischen Generalkonsulat, der auch die Inhalte der Freitagspredigt bestimmt. So wie die Moscheen unter anderem als Orte für Informationsveranstaltungen des Konsulats dienen, stellen die Imame auch ein Instrument der Kontrolle für den türkischen Staat dar.

Innerhalb des Verbandes hat eine Reflexion über die Rolle der Imame und die auf vier Jahre begrenzte Dienstzeit eingesetzt. 2005 wurden drei Imame, welche bereits mehrere Dienstperioden im Ausland absolviert hatten, für vertiefende Sprach- und Integrationsstudien nach Nürnberg und London entsandt. Solche Maßnahmen geschehen jedoch bislang weitgehend im Verborgenen. Sie stehen für die Suchbewegung einer türkeizentrierten Organisation, die sich neu positionieren muss.

In den anderen Organisationen werden die Imame von den örtlichen Gemeinden angestellt, die häufig von der Zentrale des Dachverbandes bei der Auswahl eines Imams unterstützt werden. Imame befinden sich hier vielfach in einer unsicheren, abhängigen und schlecht bezahlten Position, was wesentlich mit den begrenzten finanziellen Mitteln der Moscheevereine zusammenhängt.

In den rund 500 Moscheen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) sind 245 hauptberufliche und zahlreiche nebenberufliche Imame tätig. Darunter sind nicht wenige ehemalige DiTiB-Imame, was die Durchlässigkeit der verschiedenen Verbände zeigt. Es gibt jedoch auch bereits einzelne Imame aus der zweiten und dritten Generation, die nach einem Studium in einem islamischen Land als Imam in Deutschland tätig sind. Mit den Sprachkenntnissen der Imame ist es häufig nicht viel besser bestellt als bei den DiTiB-Imamen. Ein Schritt hin zu einer stärkeren Deutschlandorientierung ist die wöchentlich auf der Homepage veröffentlichte kurze Freitagspredigt in deutscher Sprache, die in einem Teil der IGMG-Moscheen auch verlesen wird (vgl. www.igmg.de).

Für seine rund 300 Moscheen, in denen 200 hauptberufliche und 100 nebenberufliche Imame tätig sind, bildet der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ) seit Anfang der neunziger Jahre Imame in Deutschland aus: Die für Männer und Frauen getrennte Ausbildung dauert drei Jahre und umfasst das klassische Programm islamischer Wissenschaften. Lehrkräfte sind verschiedene Imame und Mitarbeiter der Kölner VIKZ-Zentrale, unterrichtet wird auf Türkisch und Arabisch. Voraussetzung ist ein Mindestalter von 18 Jahren; ein Abitur ist nicht erforderlich. Mit den Absolventen dieser Ausbildung, die derzeit von 30 jungen Männern und 20 jungen Frauen durchlaufen wird, können inzwischen alle frei werdenden Stellen in Deutschland besetzt werden.

Nachdem sich der Verband seit dem Jahr 2000 verstärkt nach innen orientiert und auf die Arbeit in Schülerwohnheimen konzentriert, kommt hier das Potenzial dieser vielfach deutsch sprechenden Imame öffentlich fast nicht zur Geltung. Beantragt ist derzeit die Einrichtung von drei Internaten in Nordrhein-Westfalen, in denen bereits Jugendliche zu Imamen ausgebildet werden. Dies alles erinnert an die stark binnenorientierte Priesterausbildung im ultramontanen Katholizismus des 19. Jahrhunderts.

In arabischen Moscheevereinen sind häufig Absolventen der Kairoer Al-Azhar-Universität oder anderer Universitäten arabischer Länder als Imame tätig. Auch wenn an der Azhar inzwischen mehr Wert auf Erlernen von Fremdsprachen gelegt wird, sprechen nur wenige der in Deutschland tätigen arabischen Imame Deutsch. In den 62 bosnischen Moscheegemeinden sind 15 nebenberufliche und 47 hauptberufliche Imame tätig, von denen der größte Teil in Sarajevo studiert hat. Die Deutschkenntnisse dieser Imame sind in der Regel besser als die ihrer arabischen und türkischen Kollegen, reichen aber für theologische Diskussionen normalerweise nicht aus.

Imame der 40 schiitischen Moscheen kommen meist aus dem Iran und haben vielfach dort Theologie studiert, auch wenn im Islamischen Zentrum in Hamburg inzwischen Kurse in Islamstudien angeboten werden. Besonderheit bei den Aleviten schließlich ist, dass ein Teil der rund 200 Geistlichen Frauen sind. Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat im November 2006 ein umfangreiches Fortbildungsprogramm gestartet, an dem fünf weibliche (Anas) und 35 männliche Geistliche (Dedes) teilnehmen.

Insgesamt ist zu beobachten, dass sich bei allen Verbänden eine noch weitgehende Orientierung an Herkunftsland und Herkunftssprache durchzieht. Damit geht aber die Erkenntnis einher, dass verstärkt in Deutschland aufgewachsene Muslime zu Imamen ausgebildet werden sollten.


Sprachkurse und Begegnungsseminare

Erste Schritte zu intensiven Gesprächen mit Imamen gingen von der evangelischen Kirche aus. So veranstaltet die "Beratungsstelle für christlich-islamische Begegnung" in Wuppertal seit 1988 regelmäßig Pastoralkollegs für Pfarrer und Imame. Neben theologischen Themen stehen dort Jugendarbeit, Altenarbeit sowie Fragen von Ehe und Familie auf der Tagesordnung (vgl. Heinz Klautke, Tee für den Dialog. Was Pastoralkollegs bewirken können, in: Bernd Neuser [Hg.], Dialog im Wandel. Der christlich-islamische Dialog, Anfänge, Krisen, neue Wege, Neukirchen-Vluyn 2005, 30-50).

Die Erkenntnis, dass Imame besser auf ihren Dienst in Deutschland vorbereitet werden müssen, führte über ein Jahrzehnt später schließlich auch zu einer Reihe staatlicher Maßnahmen. Das Projekt "Intensivsprachkurse für türkische Religionsbedienstete mit landeskundlichem Programm" ist ein Gemeinschaftsprojekt des Auswärtigen Amts, des türkischen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten und des Goethe-Instituts Ankara. Seit Ende 2001 werden im Rahmen dieses Projektes türkische Imame auf ihren Aufenthalt in Deutschland vorbereitet und erhalten so immerhin 600 Stunden in Deutsch und Landeskunde.

Seit 2004 finden als Fortsetzung dieser Maßnahme Dialogseminare mit Imamen in Deutschland statt, die die Bundeszentrale für politische Bildung im Auftrag des Bundesministeriums des Inneren zusammen mit DiTiB und kirchlichen Kooperationspartnern durchführt. Bisher haben zwölf dieser Seminare zum Thema "Religionen im säkularen Staat" in verschiedenen Teilen Deutschlands stattgefunden. Neben grundsätzlichen Fragen des Verhältnisses von Staat, Religionen und Gesellschaft geht es um konkrete Möglichkeiten der Zusammenarbeit vor Ort. Ziel ist es, die Kommunikations- und Dialogfähigkeit der Imame zu verbessern. Eines der ersten Seminare fand Ende 2004 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart statt und ist vollständig im Internet dokumentiert (vgl. www.akademie-rs.de/br-seminare-imame.html).

Neben 30 DiTiB-Imamen nahmen ein marokkanischer und ein bosnischer Imam daran teil, was zu kontroversen Diskussionen über das rollierende System und die Sprachkenntnisse der DiTiB-Imame führte. Die teilnehmenden Imame, denen zuvor in Deutschland keinerlei Fortbildung angeboten wurde, waren hoch motiviert und interessiert. Angesichts fehlender Kenntnisse der Aufnahmegesellschaft wirken die meisten Imame etwas unbeholfen, wollen aber in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden und warten oft darauf, dass andere den ersten Schritt tun. Ein Ergebnis dieser Dialogseminare ist, dass die oft gesellschaftlich im Abseits stehenden Imame aus ihrer Isolation herausgeführt werden.

Auf lokaler Ebene sind schließlich zahlreiche Kooperationen aus den Seminaren hervorgegangen, wobei es in einem Fall zu einer Folgetagung mit dem Titel "Konflikt als Chance" kam, für die DiTiB im Februar 2006 in Köln als Gastgeber verantwortlich zeichnete. Sicherlich wäre eine Ausweitung der Dialogseminare auf andere muslimische Organisationen sinnvoll.


Imamausbildung an deutschen Universitäten?

Es besteht auch in einem breiten muslimischen Spektrum Konsens, dass das "Importsystem" nicht mehr zeitgemäß und eine Professionalisierung der Imame nötig ist. Es ist an der Zeit, Strukturen für eine Ausbildung von Imamen in Westeuropa aufzubauen, was auch eine zentrale Passage im Abschlussdokument der "europäischen Imamekonferenz" zum Ausdruck bringt, die im April 2006 mit 120 Teilnehmern in Wien stattfand: "In der Aus- und Fortbildung der Imame steckt in Europa noch ein großes Entwicklungspotenzial. (...) Gebraucht werden eigene Bildungsinstitutionen, aber auch gezielte Weiterbildungsprogramme, die an den lokalen Bedürfnissen orientiert sind" (www.derislam.at/haber.php?sid=83&mode=flat&order=1).

Eine vergleichende Studie aus dem Jahr 2004 zeigt auf, dass die europäischen Länder hierbei jeweils mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind (vgl. 'Fondation Roi Baudouin' [Hg.], Mosquées, imams et professeurs de religion islamique en Belgique. État de la question et enjeux, Brüssel 2004, 34-42). Eine klare Vision für die Imamausbildung in Deutschland fehlt bisher. Mit wegweisenden Sätzen wurde 2005 im Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP in Baden-Württemberg zumindest die Absicht, Imame in Deutschland auszubilden, formuliert: "Wir werden im Gespräch mit den Hochschulen und geeigneten islamischen Verbänden die Möglichkeiten der Ausbildung von Imamen im Inland in deutscher Sprache und auf dem Boden des Grundgesetzes erörtern. Wir werden parallel darauf drängen, den Zuzug von Imamen aus dem Ausland weiter einzuschränken."

Offen ist jedoch, wie es gelingen wird, die verschiedenen Dachverbände in ein gemeinsames Vorhaben einzubinden. Ein Weg wäre, dass alle Imame ein universitäres Studium absolvieren und anschließend vergleichbar zur Pfarrerausbildung vor der zweiten Dienstprüfung ein eigenes Ausbildungsprogramm in den einzelnen Verbänden durchlaufen. Eine zu solchen Schritten erforderliche Bund-Länder-Regelung, wie sie auch der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg zugrunde liegt, könnte ein Ergebnis der seit September 2006 arbeitenden Deutschen Islamkonferenz sein.

Analogien zur Imamausbildung können in der von Staatsverträgen geregelten Pfarrer- und Rabbinerausbildung gesehen werden. Als Ergebnis der Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im 19. Jahrhundert müssen Pfarrer sowohl ein Abitur als auch ein Examen einer staatlich anerkannten Hochschule vorweisen. Im weltanschaulich neutralen Staat gehören die theologischen Fakultäten zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Religionsgemeinschaften. Es handelt sich daher um staatliche Einrichtungen mit Professoren als Staatsbeamten zur Erfüllung religionsgemeinschaftlicher Aufgaben; die Fakultäten haben einen konkordatsrechtlich geregelten "Doppelstatus". Da der Organisationsgrad der Muslime nicht den Kirchen entspricht, ist jedoch die Gratwanderung zwischen staatlicher Untätigkeit und Fremdbestimmung des religiösen Bereichs besonders schwierig, wie die unter den muslimischen Verbänden teilweise umstrittene Einführung von Islamischem Religionsunterricht zeigt.

Die beiden Diyanet-Stiftungsprofessuren für "islamische Religion" an der Frankfurter Goethe-Universität könnten einen Ausgangspunkt für eine Imamausbildung darstellen. Nach Startschwierigkeiten gibt es dort derzeit ein Studienprogramm, das sich sehen lassen kann, aber bisher nicht speziell auf Imame abzielt. Seit Herbst 2006 studieren außerdem zehn türkischstämmige Deutsche an der Universität Ankara in einem eigenen Programm mit dem Ziel, in Deutschland als Imam tätig zu werden. Der Dialogbeauftragte von DiTiB Alboga, wies erst kürzlich darauf hin, dass mit einem Systemwechsel auch finanzielle Fragen verbunden sind: "Wir wollen aber, dass unsere Vorbeter an deutschen Universitäten ausgebildet und über Steuern finanziert werden. Dafür müsste der Islam Körperschaft des öffentlichen Rechts werden und Muslime Moscheesteuern zahlen" (taz, 17.10.2006).

Die zum Teil bei DiTiB auch vorhandene Befürchtung, dass mit einer Imamausbildung in Deutschland eine völlige Abkoppelung von den Herkunftsländern einhergehen könnte, ist unbegründet. So wie christliche Theologiestudierende Auslandssemester in Rom, Paris oder Jerusalem verbringen, könnten für muslimische Studierende Ankara und Sarajevo bevorzugte Ziele sein.

Der Aufbau universitärer Strukturen zur Ausbildung von Imamen könnte als nächster Schritt an den Aufbau der Studiengänge für islamische Religionslehrer an den Universitäten Münster, Erlangen-Nürnberg und Osnabrück anknüpfen (vgl. HK, Mai 2005, 239 ff.). Mit diesen Lehramtsstudiengängen gäbe es eine Reihe von Überschneidungen, zumal auch Pädagogik ihren Platz in der Imamausbildung finden muss. Eine Verzahnung beider Studiengänge hätte ferner den Vorteil, dass Religionslehrer und Imame sich schon von der Hochschule her kennen und das gleiche Ausbildungsniveau mitbringen würden.

Es muss das Anliegen aller Beteiligten sein, dass es nicht zu einem Gegeneinander von schulischem Religionsunterricht und Koranschulen kommt, sondern zu einer gegenseitigen Befruchtung, da ansonsten die Gefahr einer noch stärkeren Isolation der Imame besteht. Der schulische Religionsunterricht könnte gerade in pädagogischer Hinsicht einen Qualitäts- und Professionalisierungsschub der Koranschulen einleiten. Vertrauensbildende Maßnahmen hierfür könnten gegenseitige Besuche sein, denn eine Gegnerschaft ergibt sich in erster Linie durch fehlende Kommunikation zwischen den beiden Bereichen.

Für die gesellschaftliche Akzeptanz staatlichen Engagements in diesem Feld ist es wichtig, die Bedeutung der Imame für die Integration zu betonen. Es wäre jedoch falsch, nur Imame staatlich zu fördern, während in den Moscheevereinen Kenntnisse über das politische System Deutschlands, das Staatskirchenrecht und den Status Islamischen Religionsunterrichts fehlen. Gezielte Angebote im Bereich der politischen Bildung sind hier dringend erforderlich.

Auch wenn in Sachen Imamausbildung keine schnelle Lösung in Sicht ist, wären Abwarten und politische Untätigkeit der falsche Weg. Vielmehr sollte daran gearbeitet werden, dem gemeinsamen Anliegen eines hierzulande verwurzelten Islam mit konkreten Schritten näher zu kommen. Dies setzt voraus, dass man die bisherigen Eigenleistungen der muslimischen Verbände in Sachen Imame würdigt und daran anknüpft, anstatt einen prinzipiellen Gegensatz zwischen innermuslimischen und staatlichen Interessen aufzubauen.


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Hansjörg Schmid (geb. 1972), Dr. theol., ist Referent an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart mit dem Schwerpunkt christlich-islamischer Dialog. Er ist Leiter des Projekts "Gesellschaft gemeinsam gestalten. Islamische Vereinigungen als Partner in Baden-Württemberg" und Mitbegründer des "Theologischen Forums Christentum - Islam". Er hat unter anderem die Bände "Neuer Antisemitismus? Eine Herausforderung für den interreligiösen Dialog" (Berlin 2006) und "Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam" (Regensburg 2007) herausgegeben.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
61. Jahrgang, Heft 1, Januar 2007, S. 25-30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2007