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BERICHT/079: Islamwissenschaft im Wandel (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 03/2010

Aus dem Schatten heraus
Islamwissenschaft im Wandel

Von Peter Heine


Lange Zeit war Islamwissenschaft ein kleines Fach im Windschatten des öffentlichen Interesses. Das hat sich spätestens seit dem 11. September 2001 gründlich geändert. Heute haben Islamwissenschaftler es schwer, den Islam in seiner ganzen Weite und Vielfalt zu vermitteln, weil vielfach Klischees und Vorurteile das Feld beherrschen.


Im Jahr 1965 gab es an vierzehn westdeutschen und an drei DDR-Universitäten Professuren für Islamwissenschaft, häufig in Verbindung mit einer orientalischen Philologie wie Arabistik, Iranistik oder Turkologie. In den meisten Fällen waren es so genannte "Ein-Mann-Institute". Das Personal bestand planmäßig aus einem Professor, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und einer Verwaltungskraft. Hinzu kamen ein oder zwei studentische Hilfskräfte. Eine Studien- und Prüfungsordnung gab es nicht; Studienabschluss war die Promotion zum Dr. phil. Es galt also die Promotionsordnung der jeweiligen Philosophischen Fakultät. In diesen Ordnungen wurde in der Regel das große Latinum als Voraussetzung verlangt. Mindeststudienzeit für die Promotion waren zehn Semester.

Man hatte ein Hauptfach und zwei frei wählbare Nebenfächer zu studieren. Zwischenprüfungen fanden nicht statt. Stillschweigend wurde in der Islamwissenschaft davon ausgegangen, dass die Studierenden in der Lage waren, englische, französische, möglichst auch italienische und spanische Fachliteratur lesen und verstehen zu können. Im Verlauf der ersten Studiensemester wurde man je nach Schwerpunkt mit Arabisch, Persisch oder Türkisch vertraut gemacht. Nicht selten waren das aber nicht mehr als je zwei Semesterwochenstunden in zwei Semestern. Lag der Schwerpunkt auf dem Arabischen, kamen später Persisch und Türkisch dazu. Manchmal meinten die Professoren, man könnte doch auch noch Kenntnisse in Hebräisch oder Aramäisch erwerben.

Danach nahm man an Seminaren teil, bei denen im Verlauf des Studiums verschiedene Literaturgattungen der jeweiligen Sprache im Original gelesen und interpretiert wurden. Es ging also vor allem um die Philologie der Sprachen; praktische Sprachkompetenz wurde nur in seltenen Fällen vermittelt, von manchen Professoren auch ausdrücklich abgelehnt. Diese waren dann sogar stolz darauf, nie in einem arabischen Land, im Iran oder der Türkei gewesen zu sein. Studienaufenthalte von Studierenden in einem orientalischen Land waren die absolute Ausnahme.


Die Zahl der Studierenden war sehr gering. Mehr als fünf Studienanfänger gab es kaum. Etliche warfen nach ein oder zwei Semestern die Flinte ins Korn. Für die "Standhaften" gab es dann aber die Möglichkeit, sich als studentische Hilfskräfte fachnah das Studium zu finanzieren. Ein spezielles Berufsbild gab es weder in West- noch in Ostdeutschland. Keiner der Studierenden machte sich aber Sorgen, nach dem Studienabschluss ohne Stellung zu sein. Neben der akademischen Laufbahn gab es in Westdeutschland berufliche Möglichkeiten im wissenschaftlichen Bibliotheksdienst, im Auswärtigen Amt, beim Goethe-Institut, in der Erwachsenenbildung oder bei den Sicherheitsdiensten. In der DDR wurden nur so viele Studierende zum Studium zugelassen, wie konkret in den verschiedenen Berufssparten gebraucht wurden.


Die Motivationen, ein so exotisches Fach zu studieren, waren mannigfaltig. Alle, die die ersten Semester durchhielten, waren sprachbegabt und arbeitswillig. Manche waren auf die Islamwissenschaft gekommen, weil sie - nicht selten durch die Lektüre der Orientromane von Karl May - von der fremden Kultur fasziniert waren, andere weil sie sich für Fragen des Kulturkontakts interessierten. Manche hatten christliche Theologie studiert und nahmen das Studium der Islamwissenschaft aus religions- oder missionswissenschaftlichen Gründen auf. Auch die Ablehnung des Studiums in einem Massenfach war für diesen oder jenen ein Grund.

Mit der Studentenrevolte von 1968 änderte sich die Situation an den westdeutschen Seminaren für Islamwissenschaft erheblich. Nun wurden vor allem die arabischen Sprachkurse von Studenten überschwemmt, die sich für die Dritte Welt, vor allem aber für die Lage der Palästinenser nach dem Juni-Krieg von 1967 interessierten und von den "anti-imperialistischen Befreiungsbewegungen" fasziniert waren, die sich für die Oppositionsbewegung im Iran oder die linken Strömungen in der Türkei engagieren wollten.

Diese politisierten Studierenden waren mit den traditionellen philologischen Lehrangeboten nicht zufrieden und forderten Seminare mit aktuellen Inhalten. Nicht alle Professoren konnten sich mit diesen Forderungen anfreunden und es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Doch auch bei der Mehrzahl der aufmüpfigen Studenten sorgte die Sprachbarriere bald für eine Auslese. Immerhin, die studentische Unruhe hatte manchen Staub aus den Seminaren gepustet.


Islamwissenschaftler mit einem gegenwartsbezogenen Forschungsprofil werden nachgefragt

Die Ölkrise von 1973 und die wachsende Bedeutung der palästinensischen Bewegung machten manchem Fachvertreter deutlich, dass die Islamwissenschaft kein Orchideenfach bleiben konnte. Nach und nach wurden an den westdeutschen Universitäten Professoren berufen, die durch längere Aufenthalte in islamischen Ländern Regionalerfahrungen und Kenntnisse von den geistigen Entwicklung in den entsprechenden Gesellschaften mitbrachten. Die Zahl war aber längst nicht ausreichend, um einen Umschwung in der Islamwissenschaft hin zu einer modernen Disziplin zu bewerkstelligen. Die Zahl der Absolventen, die neben der islamwissenschaftlichen Kompetenz auch noch über Kenntnisse in Praxis und Methodologie der Gesellschaftswissenschaften verfügten, war zwar gestiegen, entsprach aber noch längst nicht den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes.

Die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Wissenschaftspolitik reagierten auf diese Entwicklung auf eine vorhersagbare Weise. Die führenden Wissenschaften wie Soziologie und Politikwissenschaft besetzten die regionalwissenschaftlichen Felder der islamischen Länder. Die von wissenschaftlichen Stiftungen bereitgestellten Mittel wurden in vielen Fällen von diesen Fächern eingeworben. Manche etablierten Islamwissenschaftler waren an diesen Mitteln nicht interessiert oder wussten nicht, wie man solche Drittmittel einwirbt.

Der entsprechende Lernprozess dauerte in Westdeutschland in manchen Fällen bis zum Beginn der achtziger Jahre. Diese Entwicklung wäre akzeptabel gewesen, wenn die Mehrzahl der Vertreter von Gesellschaftswissenschaften bereit gewesen wären, die vorhandene regionalwissenschaftliche Fachkompetenz der Islamwissenschaft zur Kenntnis zu nehmen. Die Theorielastigkeit mancher etablierter Soziologen oder Politologen führte aber zu Debatten über islamische Gesellschaften, die mit den Realitäten nichts zu tun hatten.

Die Situation in der DDR war insofern einfacher, als die durch die entsprechenden staatlichen Institutionen zentral gelenkten wissenschaftlichen Einrichtungen weitere Planstellen einrichteten oder solche an speziellen Hochschulen für einzelne staatliche Bereiche wie die Außenpolitik oder die geheimdienstliche Aufklärung erst einrichteten. Die Lehrpläne wurden strikt auf die entsprechenden Bedürfnisse ausgerichtet.

Bei der Besetzung neu eingerichteter Professuren an westdeutschen Universitäten, die sich speziell mit der modernen islamischen Welt befassen sollten, ergab sich in der Folge ein Problem, das auch in der Gegenwart zu beobachten ist. Die Nachfrage nach Islamwissenschaftlern mit einem gegenwartsbezogenen Forschungsprofil aus dem außeruniversitären Raum ist so groß und so attraktiv, dass kaum noch qualifizierte Absolventen für die universitären Stellen zur Verfügung standen. Diese Nachfrage hatte sich unter anderem nicht zuletzt dadurch erhöht, dass die etablierte Islamwissenschaft eine westdeutsche gesellschaftliche Entwicklung sträflicherweise völlig außer Acht gelassen hatte.

Seit der ersten Hälfte der sechziger Jahre zogen verstärkt Muslime nach Westdeutschland. Von diesen wurden manche als solche erst in den neunziger Jahren während der Balkankriege zur Kenntnis genommen. Es waren bosnische Muslime, die originellerweise bei der Verteilung der Betreuungsaufgabe der einzelnen "Gastarbeiterpopulationen" durch die Wohlfahrtsverbände der Arbeiterwohlfahrt zugeschlagen wurden, weil es sich doch offensichtlich um eine a-religiöse, sozialistische Personengruppe handelte. Auch die alsbald folgenden türkischen "Gastarbeiter" waren den Vertreten der akademischen Islamwissenschaft keiner besonderen Beachtung wert.

Die Vertreter der interkulturellen Pädagogik und des Fachs "Deutsch als Fremdsprache" nahmen dieses Desinteresse gerne zur Kenntnis und füllten die vorhandene thematische Lücke. Bemerkenswert war dabei, dass weder die Gesellschaftswissenschaften noch die pädagogischen Disziplinen die besonderen religiösen Bedürfnisse der muslimischen Arbeitsmigranten und Asylanten zu Kenntnis nahmen. Aus einer strikt eurozentrischen Perspektive waren sie an den kulturellen und religiösen Besonderheiten der Muslime nicht interessiert. Problematisch ist und bleibt bis heute, dass sich diese Eurozentrik weiter feststellen lässt.

Die Vertreter gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen verfügen im Unterschied zu den Islamwissenschaftlern häufig über die Kompetenz, ihre Forschungsergebnisse politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit in einer Form nahezubringen, die von diesen goutiert wird. Von den Verhältnissen der in Deutschland lebenden muslimischen Bevölkerung und deren politischen und sozialen Erfahrungen sind diese Resultate allerdings weit entfernt. Da die Vertreter der gesellschaftswissenschaftlichen und der islamwissenschaftlichen Disziplinen aus strukturellen Gründen aber kaum in der Lage sind, ihre Kompetenzen zu koordinieren, ist hier wissenschaftsorganisatorisch kaum eine Abhilfe zu schaffen.

Die islamische Welt ist durch eine Vielzahl von Konflikten im regionalen wie im internationalen Bereich betroffen. In Europa wurden diese Konflikte lange Zeit nur dann wahrgenommen, wenn es zu kriegerischen oder anderen gewaltförmigen Auseinandersetzungen kam. Diese Spannungen waren in vielen Fällen die Folge von nationalen Konflikten zwischen einzelnen Staaten und wurden von der deutschen Öffentlichkeit auch als solche verstanden. Auch Fachleute sahen die Staaten der islamischen Welt auf einem Weg der Säkularisierung und hofften auf eine demokratische Entwicklung.

Der Erfolg der "islamischen Revolution" im Iran von 1979 war insofern für viele Beobachter eine Überraschung, ja ein Schock. Die wachsende Bedeutung religiöser Vorstellungen im Allgemeinen und fundamentalistischer und radikaler Positionen im Besondern war mit den üblichen politischen Kategorien nicht zu erklären. Den Vertretern der akademischen Islamwissenschaft ging es dabei kaum anders. Die Fachleute für die schiitische Form des Islams, wie sie im Iran dominiert, waren in Deutschland im Übrigen an einer Hand abzuzählen.

Zwar gab es inzwischen jüngere Wissenschaftler, die auch über sozial- oder politikwissenschaftliche Kenntnisse verfügten. Was ihnen zunächst fehlte, war die Fähigkeit, auf die besonderen Erfordernisse der Medien, aber auch der politischen Entscheidungsträger adäquat einzugehen. So wurden sie nach wenigen Versuchen durch regional erfahrene Journalisten und Politikwissenschaftler aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt, die ihr Wissen über den Islam teilweise aus Handbüchern und Reiseführern schöpften. Manche Islamwissenschaftler weigerten sich dann auch, komplexe politische oder religiöse Probleme in den Medien in einer Minute und dreißig Sekunden zu erläutern. Erst zu Beginn der neunziger Jahre gingen Fachvertreter gegen einige der journalistischen "Großerklärer" des Islams publizistisch und auch zivilrechtlich erfolgreich auf die Barrikaden.


Immerhin hatten die religiösen Ereignisse im Iran, aber auch in Ägypten oder im Irak der achtziger Jahre zur Folge, dass das öffentliche Interesse am Islam wuchs, dass Publikumsverlage Islamwissenschaftler baten, Bücher über den Islam für eine breitere Öffentlichkeit zu verfassen. Ein weiterer Grund dafür war, dass in der westdeutschen Öffentlichkeit das Bewusstsein stärker wurde, dass inzwischen einige Millionen Muslime unter den Deutschen lebten.

Gefragt wurde vor allem nach allgemeinen Darstellungen, aber durchaus auch nach speziellen Untersuchungen zu einzelnen religiösen oder gesellschaftlichen Phänomenen in der islamischen Welt, vor allem des Nahen und Mittleren Ostens. Daneben erschienen auch Bücher, die sich auf eine abfällige Weise über den Islam und die Muslime verbreiteten. Auch sie waren kommerziell erfolgreich. In der Folgezeit hat es immer wieder Höhepunkte des öffentlichen Interesses am Islam gegeben, die sich auch auf dem Büchermarkt und in den Medien bemerkbar machten. Dies waren vor allem der zweite Golfkrieg von 1990/91, die Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 und die Invasion des Irak durch alliierte Truppen vom März 2003.

Vor allem der 11. September hat das öffentliche Bild des Islams in außerordentlicher Weise geprägt. Die latente Islamophobie in der deutschen Gesellschaft wurde nun deutlich offenbar. Das Bild des Islams wurde und wird auf das Phänomen des Terrorismus, der Selbstmordattentate, der Unterdrückung der Frau und der Ehrenmorde verengt.


Den Islam in seiner ganzen Weite und Vielfalt vermitteln

Für die akademische Islamwissenschaft hatten die Ereignisse des 11. September eine erhöhte öffentliche Nachfrage zur Folge. Bücher zum Islam von Fachautoren erschienen in höheren Auflagen oder wurden zu Longsellern. Islamwissenschaftler wurden zu Talkshows eingeladen und um Rat bei der Produktion von Filmen über den Islam gebeten. Einige brachten es so zu einem gewissen öffentlichen Bekanntheitsgrad. Allerdings wurde dieses öffentliche Aufsehen von manchen Fachvertretern skeptisch betrachtet. Kritik an der Medienpräsenz von Kollegen wurden vor allem dann geäußert, wenn sie sich in kurzen Statements wiederfanden, die ein kompliziertes Thema vereinfacht darstellten. Dass diese Präsenz in den Medien dem Fach nutzt, wurde oft in Abrede gestellt.

Dennoch wurde durch diese Auftritte vielen Zuschauern erst bewusst, dass es die akademische Disziplin "Islamwissenschaft" überhaupt gibt. Das auf diese Weise verstärkte öffentliche Interesse führte auch dazu, dass es sich kein Politiker oder Universitätspräsident seit dem Jahrtausendwechsel leisten konnte, die Streichung von Stellen im islamwissenschaftlichen Bereich auch nur zu versuchen, ohne dass er sich kritischen Kommentaren in Zeitungen oder anderen Medien gegenüber sah. Im Gegenteil wurden einige Stellen neu geschaffen. Von den Stelleninhaberinnen und Stelleninhabern wird allerdings vor allem die Erforschung des modernen Islams, und am liebsten in seinen radikalen Ausprägungen gefordert.


Die Konzentration auf aktuelle Fragen des Islams ist forschungspolitisch nachvollziehbar. Sie intensiviert jedoch die Betonung einer verbreiteten islamkritischen Grundhaltung. Die Erforschung der kulturellen und geistesgeschichtlichen Entwicklungen islamischer Länder im islamischen Mittelalter hat es dem gegenüber weiterhin schwer. Auch die wissenschaftliche Behandlung von Themen wie der modernen islamischen Kunst, der Literatur in verschiedenen islamischen Schriftsprachen oder des Alltagslebens können sich im akademischen Rahmen nur schwer durchsetzen. Manche Kolleginnen oder Kollegen betreiben diese Forschungen sozusagen als Hobby, während sie ihren Lebensunterhalt durch eine fachnahe Tätigkeit in einer staatlichen Institution oder einer anderen öffentlichen oder privaten Einrichtung finanzieren.

Aus zwei Gründen ist ein weiteres inhaltliches Spektrum islamwissenschaftlicher Themen von Bedeutung. Auch aktuelle gesellschaftliche, politische und religiöse Konflikte und Verwerfungen in islamischen Ländern können eine Ursache in schon Jahrhunderte zurück liegenden Entwicklungen haben. Die Verlautbarungen eines Osama Ben Laden sind in ihrer Wirkung kaum zu verstehen, wenn man nicht über gute Kenntnisse der Lehren des Korans oder der theologischen Positionen muslimischer Gelehrter des Mittelalters verfügt.


Der andere Grund ist die schon angesprochene Notwendigkeit, den Islam in seiner ganzen Weite und Vielfalt der Öffentlichkeit zu vermitteln. Derzeit machen Islamwissenschaftler bei öffentlichen Auftritten folgende Erfahrung: Gleichgültig, ob man vor einem in der Regel durchaus anspruchsvollen Publikum über die literarische Struktur der Märchensammlung von 1001 Nacht, über den ägyptischen Film der fünfziger Jahre oder über die Geschichte der Kochkunst im muslimischen Andalusien referiert, wird man doch in den anschließenden öffentlichen oder privaten Diskussionen immer wieder mit Fragen nach dem Jihad oder der Stellung der Frau im Islam konfrontiert.

Komplizierter wird die Haltung des Publikums häufig dann, wenn man tatsächlich zu einem aktuellen Thema referiert. Dazu eine persönliche Erfahrung: Bei einem öffentlichen Vortrag vor etwa fünf Jahren über Grundbegriffe des Islams in einer kleineren süddeutschen Stadt, den ich als möglichst objektive Information angelegt hatte, erzählte mir die Buchhändlerin, die hinter dem Publikum einen Büchertisch aufgebaut hatte, nach einiger Zeit sei im Publikum hörbar die Frage gestellt worden: "Wann fängt der denn endlich an, über den Islam zu schimpfen?" Bei eben dieser Veranstaltung kamen auch vier muslimische Frauen auf mich zu, die sich wegen einiger kritischer Bemerkungen zu Entwicklungen im Islam beschwerten. Ich saß also zwischen zwei Stühlen.


Diese und ähnliche Erfahrungen haben ich in der Folgezeit immer wieder machen müssen. Die Anwürfe, denen ich mich ausgesetzt sehe, sind vor allem in den vergangenen zwei oder drei Jahren zunehmend schärfer geworden. Dabei wird von den Zuhörern dann auch meine wissenschaftliche Qualifikation in Frage gestellt. Ich bin selbstbewusst genug, um das zu ignorieren. Aber ich frage mich inzwischen doch manchmal, warum ich mich solchen Situationen immer wieder aussetze, zumal der finanzielle Nutzen durchaus überschaubar ist. Andererseits legt einem das Privileg, mit einer akademischen Tätigkeit, die Freude und ein oft beneidetes Leben mit sich gebracht hat, seinen Unterhalt zu finanzieren, auch die Verpflichtung auf, das erworbene Wissen auch im persönlichen Kontakt und in der Kontroverse mit dem Publikum zu teilen.


Peter Heine (geb. 1944), Dr. phil.; 1978 Habilitation für das Fach Islamwissenschaft; von 1994 bis 2009 Professor für Islamwissenschaft des nicht-arabischen Raumes an der Berliner Humboldt-Universität.


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 3, März 2010, S. 137-141
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2010