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BERICHT/082: Arabische Welt - Fastenbrechen auf Kredit, Ramadan kommt Muslime teuer zu stehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2010

Arabische Welt: Fastenbrechen auf Kredit - Ramadan kommt Muslime teuer zu stehen

Von Cam McGrath


Kairo, 17. August (IPS) - Pünktlich zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan sind die Lebensmittelpreise in etlichen Ländern der arabischen Welt förmlich explodiert. Die enormen Erhöhungen sind für Muslime mit bescheidenem Einkommen kaum zu verkraften. Sie machen Schulden, um zum allabendlichen Fastenbrechen ('Iftar') Verwandte, Nachbarn und Arme an einen reich gedeckten Tisch bitten zu können.

"Es ist jedes Jahr dasselbe", lamentiert die verwitwete Ägypterin Abeer Salem, die zwei Kinder zu versorgen hat. Sie fügt hinzu: "Die Händler beuten uns aus. Sie wissen genau, dass es unsere Pflicht ist, im Ramadan Familienangehörige und Arme mit Essen zu versorgen und profitieren von den hohen Preisen."

Obwohl die Regierungen angesichts der ohnehin inflationären Preisentwicklung in der Region im Vorfeld des diesjährigen Ramadan (11. August bis 8. September) versprochen hatten, die Lebensmittelpreise zu deckeln und den Markt zu kontrollieren, beobachteten Verbrauchergruppen vom ersten Tag des Ramadan an eine deutliche Preissteigerung bei Lebensmitteln. In Abu Dhabi zogen die Obst- und Gemüsepreise um 25 Prozent an. Auch im Libanon klagen die Verbraucher über schwindelerregende Preise.

Schon im vergangenen Jahr stiegen in Ägypten die Preise für Grundnahrungsmittel wie Zucker, Reis und Eier um bis zu 43 Prozent. Inzwischen vergeben manche Händler Kredite an Kunden, die finanziell in der Klemme stecken, und lassen sie ihre Lebensmittelrechnungen abstottern. In Kairo wirbt ein Supermarkt: "Versorgen sie sich jetzt mit Lebensmitteln für den Ramadan und bezahlen sie die Rechnung in den nächsten vier Monaten in Raten!"

Im Jemen, wo mehr als 40 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, trifft die saisonale Inflation der Lebensmittelpreise mittellose Familien besonders hart. Bei einer 2009 vom 'Studies and Economic Media Centre' durchgeführten Umfrage stellte sich heraus, dass die Haushalte im Fastenmonat 35 Prozent mehr als üblich ausgegeben hatten. Fast 30 Prozent der Familien berichteten, sie hätten sich Geld leihen müssen, um das Loch in der Kasse zu stopfen. 15 Prozent der Befragten gaben an, sich das fehlende Geld durch den Verkauf von persönlichem Besitz besorgt zu haben.

Regierungsvertreter werfen den Händlern vor, Waren vor Beginn des Ramadan zu horten, damit die Preise nach der künstlichen Verknappung des Angebots kräftig steigen. Doch die Händler geben dem hohen Lebensmittelkonsum der Verbraucher während des Ramadan die Schuld an der inflationären Preisentwicklung. Sie behaupten, sie könnten nicht schnell genug für Nachschub sorgen, und dieser Engpass lasse die Preise steigen.

Die Erklärung lässt der jordanische Wirtschaftswissenschaftler Yusuf Mansour nicht gelten. Da im Nahen Osten der Großteil der Nahrungsmittel ohnehin importiert werde, sei hier der Verweis auf das Standardmodell von Angebot und Nachfrage untauglich.


Künstliche Versorgungsengpässe

"Importeure sind keine Erzeuger und leiden nicht an Kapazitätsengpässen", sagte Mansour. "Sie können jede gewünschte Menge zum jeweiligen Weltmarktpreis importieren. Bei größeren Mengen ließe sich sogar ein Preisnachlass erzielen, den man auf einem wettbewerbsfähigen Markt an die Verbraucher weiterreichen könnte", erklärte er.

Nach Mansours Ansicht gibt es bei der Preisgestaltung von Lebensmitteln ein zweifaches Problem. Der Import von Lebensmitteln werde von wenigen Regierungsbeamten und mächtigen Geschäftsleuten kontrolliert, die als "eine Art Kartell" arbeiteten. "Sie treffen Preisabsprachen und versprechen, sich untereinander keine Konkurrenz zu machen", stellte er fest. "Am anderen Ende der Marktkette treten die Kleinhändler im Viertel als lokale Monopolisten auf, die von ihren Kunden Preisaufschläge verlangen", ergänzte der Wirtschaftsexperte.

Arabische Regierungen versuchen seit Jahren, mit Marktkontrollen und Überwachungsmaßnahmen die im Ramadan drohende inflationäre Entwicklung der Lebensmittelpreise zu neutralisieren. Staatliche Lebensmittelunternehmen wurden aufgefordert, Kooperativen und Supermärkte rechtzeitig mit Vorräten zu beliefern und im Fastenmonat für bestimmte Produkte Höchstpreise festzusetzen.

In diesem Jahr werden in Katar während des Ramadan die Preise für 160 Grundnahrungsmittel eingefroren. In Jordanien hat das Kabinett Höchstpreise für einige Grundnahrungsmittel festgesetzt, für die bislang m Ramadan höhere Preise gefordert werden. Auch Ägypten hat staatlich verordnete Preise für Grundnahrungsmittel angekündigt.


Vorschriften umgangen

Analysten halten diese Maßnahmen für wenig effizient. Einerseits hätten die Großhändler schon vor Monaten ihre Lebensmittelpreise erhöht, andererseits brauchten Händler, die gegen Vorschriften verstoßen, in Ländern ohne wirksamen Verbraucherschutz keine Strafen zu befürchten.

"Weil unsere Lieferanten in dieser Zeit seit jeher ihre Preise anheben, kommen auch wir nicht um eine Preiserhöhung herum", berichtet Ali Ibrahim, Lebensmittelhändler in Kairo. Er hat für den Ramadan große Mengen Reis, Nudeln und Milch gelagert.

Den Regierungen der Nahostländer fehlten der politische Wille und Mittel, gegen die monopolistischen Machenschaften im Lebensmittelhandel vorzugehen, kritisiert Mansour. "Am oberen Ende der Versorgungskette stehen Importeure, die aus alten, reinen Familien stammen. Mit ihnen wollen sich subalterne Verwaltungsbeamte nicht anlegen, und das letzte Glied in der Kette bilden schlecht bezahlte Staatsangestellte, die leicht zu bestechen sind."

Resignierend stellt er fest: "Die Händler haben also freie Hand, die Verbraucher über den Tisch zu ziehen. So wird es wohl bis zum Ende des Ramadan, dem festlichen Fastenbrechen ('Eid al-Firtr') bleiben. "Ich weiß nicht, was ich dann tun soll", klagt der Friseur Refaat Abdel Moneim. Seit Beginn des Ramadan ist gerade mal eine Woche vergangen, doch ich habe schon jetzt Schulden." (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010