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STANDPUNKT/122: 28. September 1978, Todestag von Papst Paul I. - Gerüchten zufolge wurde er ermordet (Gerhard Feldbauer)


Am 28. September 1978 starb nach nur 33 Tagen Amtszeit überraschend Papst Paul I.

Bis heute sind die Gerüchte nicht verstummt, er sei ermordet worden

von Gerhard Feldbauer, 24. Juli 2023


Gewalttätigkeiten sind aus der Vatikangeschichte mehr als genug bekannt. Mehrfach wurden Päpste vergiftet. Klemens II. starb 1047 nach einem Jahr Amtszeit erwiesenermaßen diesen Tod. Lucius II. (Papst seit 1144) kam auf gewaltsame Weise 1145 ums Leben. Von Leo X. (1513-1521) wird berichtet, dass er einem Mordanschlag entging und danach zwei Kardinäle hinrichten ließ. [1]

Die Gerüchte darüber, dass Paul I., der am 26. August 1978 überraschend durch das Kardinalskollegium als Nachfolger Paul VI. (Papst von 1963-1978) gewählt wurde, eines unnatürlichen Todes starb, sind bis heute nicht verstummt. Den Ausschlag für die Wahl des als Sohn eines Arbeiters geborenen Albino Luciani sollen die Stimmen der Kardinäle der Dritten Welt, die offensichtlich sein einfaches und bescheidenes Auftreten beeindruckte, gegeben haben. Das Votum für ihn sahen Insider als einen Regiefehler an. Denn der reaktionäre Klerus, vor allem in den USA, hatte damit gerechnet, dass der polnische Kardinal Karol Wojtyla (dann Papst von 1978-2005) gewählt wird. Wie später bekannt wurde, hatte der verstorbene Paul VI. heimlich Lucianis Wahl eingefädelt, um der USA-Vatikan-Connection, die mit ihm meist unzufrieden gewesen war, einen Streich zu spielen. In die Wege geleitet hatte das Manöver dann der Florenzer Kardinal Giovanni Benelli, die rechte Hand von Paul VI.

Den ersten Namen Johannes nahm Luciani zur Erinnerung an Angelo Giuseppe Roncalli, Papst Johannes XXIII., an. [2] Wie dieser kam auch er vom Lande, predigte Bescheidenheit und suchte die Nähe der einfachen Menschen. Als erstes schaffte er den altertümlichen Tragethron ab, in dem sich die Stellvertreter Christi seit Jahrhunderten von Menschen befördern ließen. In den Straßen jubelten die Menschen und tauften ihn "Papa Luciani". Zunächst herrschte im Vatikan die Meinung vor, Luciani, der keinerlei Erfahrungen in der Kurienleitung besaß, da er nie im Vatikan gearbeitet hatte, werde nicht in der Lage sein, persönlich Einfluss auf die Geschäfte in Rom zu nehmen. Doch bald zeigte sich, dass der neue Papst es ernst meinte, wenn er mit der Namenswahl Johannes (des XXIII.) die Ideen des Reformpapstes wieder aufgreifen wollte. Ganz offiziell erklärte er, sein Pontifikat den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils zu widmen. Er plante, mit der Korruption aufzuräumen, darin verwickelte Würdenträger abzulösen, worunter zweifelsohne der Chef der Vatikanbank IOR [3], Erzbischof Paul Marcinkus, gefallen wäre. Als er sich dann noch einem besonderen Heiligtum, dem Geheimarchiv, widmete, weckte das unter dem reaktionären Klerus ernsthafte Befürchtungen. Zumal er am 29. September eine Reihe wichtiger Entscheidungen bekannt geben wollte. Kardinalstaatssekretär Villot, der am Abend zuvor bei ihm weilte, hatte eine Liste der vorgesehenen Pensionierungen und Versetzungen gesehen.

Als die betreuende Schwester den Papst am 28. September tot auffand, wurde frühzeitig der Verdacht geäußert, er sei umgebracht worden. Vor seinen starren Augen habe die Brille gesessen, in den Händen habe er Papiere gehalten, sagte die Schwester. Die Brille sowie die Papiere verschwanden spurlos. Es wurde bekannt gegeben, der Heilige Vater habe einen Herzinfarkt erlitten. Kardinalstaatssekretär Villot sagte, er habe den Papst am Vorabend bei bester Gesundheit gesehen. Auch Verwandte widersprachen der angegebenen Todesursache. Sein Bruder erklärte, Luciani sei nicht ernsthaft krank gewesen. Trotz dieser Hinweise verweigerte das Kardinalskollegium eine Obduktion. Die These vom Mordkomplott erhielt Auftrieb, als der britische Autor David Yallop sie 1984 in seinem Buch "Im Namen Gottes" mit handfesten politischen Fakten belegte. Danach soll Johannes Paul I. dem Geflecht des Vatikans mit der faschistischen Putschloge P2, Geheimdiensten und Mafia-Kreisen auf der Spur gewesen sein. [4] Bei den verschwundenen Papieren habe es sich um eine Liste höchster kirchlicher Würdenträger in der P2 gehandelt, darunter Kardinal Marcinkus und Personen, die an der Ermordung des P2-Bankiers Calvi [5] beteiligt waren. [6] Dass auch Albini Luciani Kontakte zu Opus Dei nachgesagt werden [7], muss seinen Absichten, den schlimmsten Auswüchsen in Verstrickungen mit der Mafia und der P2 ein Ende zu bereiten, nicht zuwiderlaufen. Als fraglich kann auch angesehen werden, ob ein Artikel, der am 6. September 1978 in der "Würzburger Tagespost", in der Balaguer [8] mit dem Gründer der Salesianer, Franz von Sales, verglichen wurde, tatsächlich von ihm stammte. Selbst wenn, kann auch das als ein taktischer Schachzug in seinen weitreichend angelegten Zielen gewesen sein. Jedenfalls zerstörte sein überraschend früher Tod am 28. September 1978 nach nur dreiunddreißigtägiger Amtszeit die Hoffnung aller, die eine Fortsetzung der Tradition im Sinne Johannes XXIII. erwartet hatten, und machte den Weg für Wojtyla frei.


Anmerkungen:

[1] Nino Lo Bello: Vatikan im Zwielicht, Die unheiligen Geschäfte des Kirchenstaates, München 1990, S. 92.

[2] Papst von 1958-1963. Als Erzbischof und Nuntius in Istanbul machte Roncalli Pius XII. auf "die Gräuel in Auschwitz", den Massenmord an den Juden, aufmerksam, über die er von dem Emissär der Jewish Agency, Haim Barlas, informiert worden war. Er selbst rettete Zehntausende Juden während der Hitlerdiktatur vor dem Tode, wofür seiner auf der Gedenkmauer Yad Vashem gedacht wird. Als Papst wolle er mit dem II. Vatikanischen Konzil, das er im Oktober 1962 eröffnete, die Kirche gegenüber der Welt öffnen, um sie "auf realistischen Grundlagen neuen Entwicklungsbedingungen anzupassen, sie damit weniger anfällig zu machen und so stärken". Er konnte das Konzil nicht zu Ende führen. Er starb während der Versammlung am 3. Juni 1963. Seine Nachfolger, der polnische Papst Wojtyla (Paul VI.) und nach ihm der deutsche Benedikt XVI., sorgten dafür, dass die von ihm ins Auge gefassten sehr gemäßigten Reformen, wo sie nicht rückgängig gemacht wurden, stagnierten (siehe Norbert Sommer/Thomas Seiterich (Hg.): Rolle rückwärts mit Benedikt. Wie ein Papst die Zukunft der Kirche verbaut. Oberursel 2009).

[3] Istituto per le Opere di Religione, kurz IOR, Institut für die religiösen Werke.

[4] Die P2 war Führungszentrale in dem von der CIA zusammen mit den italienischen Geheimdiensten und der Mafia inszenierten Komplott, dem der christdemokratische Parteiführer Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit dem Generalsekretär der IKP, Enrico Berlinguer, geschlossen hatte, am 9. Mai 1978 zum Opfer fiel. Siehe Sergio Flamigni: La Tela del Ragno, Il delitto Moro, Mailand 1993, Il Covo di Stato. Via Gradoli 96 e il delitto Moro, Mailand 1999.

[5] Roberto Calvi war Präsident der Ambrosio-Bank, die der P2 als Zentrale für Schmiergelder, Geldwäsche und Abschöpfung der Korruptionsgelder diente. Obendrein war er Finanzmanager des Vatikans, weshalb er "Bankier Gottes" genannt wurde, und auch noch Verbindungsmann zur sizilianisch-amerikanischen Mafia (Giorgio Galli: Staatsgeschäfte Affären, Skandale, Verschwörungen, Hamburg 1994).

[6] David Yallop: Im Namen Gottes, München 1988, Lo Bello, S. 89 ff.

[7] Richard Corell/Ronald Koch, Papst ohne Heilgenschein? Joseph Ratzinger in seiner Zeit und Geschichte, Frankfurt/Main 2006, S. 195 f.

[8] Josemaría Escrivá de Balaguer gründete 1928 das Opus und war bis zu seinem Tod 1975 sein Generalpräsident. Der Gründer war ein erzkonservativer Klerikaler und ein "verständnisvoller Freund" Hitlers, zu dem er sich öffentlich bekannte und ihn verteidigte. Ihn und Franco bezeichnete er als "Retter des katholischen Glaubens gegen den kommunistischen Atheismus". Gemäß dieser Konzeption unterstützte das Werk Gottes den Putsch gegen die spanische Volksfrontregierung und den blutigen Terror des Franco-Regimes und seiner deutschen und italienischen Verbündeten. Acht Opus-Dei-Mitglieder traten in die Regierung des "Caudillo" ein. Den Mord an sechs Millionen Juden bezeichnete Balaguer als "völlig übertrieben". Opus Dei erfreute sich der besonderen Förderung durch Karol Wojtyla, der es in den Rang einer Personalprälatur erhob, womit es der Kontrolle der örtlichen Bischöfe und Kardinäle entzogen und nur dem Papst unterstellt ist. 1982 leitete er die Seligsprechung Balaguers ein, der 1992 die Heiligsprechung folgte. Nach der Aufdeckung der P2 1981 gewährte Opus Dei ihren Mitgliedern Unterschlupf vor der polizeilichen Verfolgung. In Chile waren seine Mitglieder am faschistischen Militärputsch Pinochets beteiligt und bekleideten unter dessen Diktatur Ministerämter. Opus-Dei-Mitglieder gelangten in hohe Regierungs- und öffentliche Ämter, erklommen die Chefsessel in Banken und Konzernen, kamen an die Schalthebel von Massenmedien und in einflussreiche Kirchenämter, erreichten Führungsposten in Lehre und Forschung. Selbst in der Hierarchie des Vatikans und im engsten Mitarbeiterkreis des Papstes konnte Opus Dei Mitglieder postieren (Siehe Klaus Steigleder: Das Opus Dei, München 1991).

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. August 2023

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