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INTERNATIONAL/076: Mexiko - Auf der Suche nach den verschwundenen Söhnen, Mütter fordern Aufklärung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2012

Mexiko: Auf der Suche nach den verschwundenen Söhnen - Mütter fordern Aufklärung

von Daniela Pastrana



Mexiko-Stadt, 15. Mai (IPS) - Emma Veleta aus der Ortschaft Anáhuac im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua ist seit 40 Jahren verheiratet. Doch vor einem Jahr - am Vatertag des 19. Juni - wurden ihr Mann, ihre vier Söhne, ein Neffe, ein Schwiegersohn und ein Enkel von bewaffneten Männern in Polizeiuniformen abgeführt. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur.

"Ich bin nach Mexiko-Stadt gekommen, weil ich hoffte, etwas über den Verbleib meiner Familie herausfinden zu können", sagte Veleta. "Ich wurde zwar nicht fündig, traf dafür aber viele Menschen, die Ähnliches wie ich erlebt haben." Wie sie gegenüber IPS berichtete, wurde sie nach dem Verschwinden ihrer Angehörigen mehrfach telefonisch bedroht, was sie veranlasste, aus ihrem Heimatdorf wegzuziehen.

Auch die ehemalige Krankenschwester Guadalupe Aguilar weiß nicht, wo sich ihr Sohn José Luís befindet. Zum letzten Mal sah sie den 34-Jährigen im Januar 2011, als er seinen Bruder in der Stadt Guadalajara im Bundesstaat Jalisco besuchen wollte.

"Er musste nur zwölf Minuten mit dem Auto fahren, kam aber nie an. Der Wagen tauchte später im Nachbarstaat Colima auf", erzählt Aguilar. Im vergangenen September bat sie den mexikanischen Staatspräsidenten Felipe Calderón um Hilfe. Calderón habe sie an eine Behörde verwiesen, die sich um die Angehörigen von Vermissten kümmere, berichtete sie. Bisher habe sich aber keine Spur zu ihrem Sohn ergeben.

Am 9. Mai fanden sich Mütter aus dem Norden Mexikos in der Hauptstadt zu einem 'Marsch für nationale Würde' zusammen. Sie kamen aus den von Gewalt besonders schwer getroffenen Städten wie Cuauhtémoc, Anáhuac, Bocoyna, Gran Morelos und Ciudad Juárez, wurden aber auch von Frauen aus anderen Landesteilen und dem Komitee der Angehörigen von Migranten und Verschwundenen in El Salvador (Cofamide) unterstützt. Cofamide hat 319‍ ‍Fälle von in Mexiko verschwundenen Salvadorianern zusammengetragen.


Nationale Datenbank zu Verschwundenen gefordert

Die Mütter forderten die mexikanische Generalstaatsanwältin Marisela Morales auf, eine landesweite Untersuchung in die Wege zu leiten, mit einer Suche nach den Vermissten sofort zu beginnen und eine nationale Datenbank anzulegen. Mit den Verschwundenen soll sich zudem eine Sonderstaatsanwaltschaft beschäftigen. Die Frauen verlangten außerdem ein Programm zur Versorgung der betroffenen Familien im gesamten Land und die Anwendung von Empfehlungen der Vereinten Nationen zum Umgang mit Verschleppungsfällen.

"Wo sind sie?" riefen die Frauen, als sie während ihres Marsches an Türen klopften. Gemeinsam mit ihnen waren Mitglieder der Organisation HIJOS unterwegs, in der sich Angehörige von in den sechziger und siebziger Jahren verschwundenen Menschen zusammengeschlossen haben.

"Ich kämpfe bereits seit 1975 und ich bin schon sehr alt", sagte die Senatorin Rosario Ibarra de Piedra, die das Komitee 'Eureka' gegründet hat und die andere Mütter in ihrem Zeltlager am Denkmal 'Angel de la Independencia' im Zentrum von Mexiko-Stadt besuchte.


Opfer des Kriegs gegen die Kriminalität

Die meisten dieser Frauen sind indirekte Opfer des Kriegs, den Calderón seit seinem Amtsantritt 2006 gegen die Drogenkriminalität im Lande führt. Seitdem haben Menschenrechtsorganisationen mehr als 800 Fälle von Verschwundenen dokumentiert. Offizielle Zahlen liegen nicht vor. Die Nationale Menschenrechtskommission gab jedoch im April 2010 bekannt, dass ihr 5.397 Vermisstenanzeigen vorlägen und fast 9.000 Leichen bislang nicht identifiziert werden konnten.

Die Gewalt setzt sich offensichtlich unvermindert fort. Die Organisation LUPA (Kampf für Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit) im Bundesstaat Nueva León schickte den in Mexiko-Stadt versammelten Müttern eine Solidaritätsbotschaft. Erst vor kurzem wurden in Nueva León die Leichen von 49 Personen gefunden, die man enthauptet hatte.

Doch staatliche Hilfe können die Mütter der Verschwundenen offenbar nicht erwarten. Vielmehr sagte Innenminister Alejandro Poiré ein vereinbartes Treffen ab. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.cofamide.blogspot.de/
http://www.hijosmexico.org/
http://www.comiteeureka.org.mx/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100725

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012