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INTERNATIONAL/145: Palästinensische Kinder in israelischer Haft häufig misshandelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. April 2013

Nahost: 'Erzähl' uns vom Gefängnis, für alle Fälle' - Palästinensische Kinder in israelischer Haft häufig misshandelt

von Pierre Klochendler


Bild: Pierre Klochendler/IPS

Der neun Monate in Israel gefangengehaltene 17-jährige Zein Abu-Marya mit seinen Eltern
Bild: Pierre Klochendler/IPS

Hebron, Westjordanland, 26. April (IPS) - "Drei Stunden lang wurde ich von drei Männern verhört. Ich trug Handschellen. Sie schlugen, ohrfeigten, traten, boxten und beschuldigten mich, Steine geworfen zu haben. Sie zeigten mir ein Video von einer Demonstration. Ich sagte ihnen, dass ich nicht dabei gewesen sei. Sie schlugen mich erneut." So schildert der 17-jährige Palästinenser Zein Abu-Marya aus dem Westjordanland ein Verhör in israelischem Militärgewahrsam.

"Sie zwangen meinen Sohn dazu, ein Geständnis abzulegen", berichtet sein Vater Hisham. "'Wenn du nicht unterschreibst, wirst du wie ein Tier behandelt', drohten sie ihm." Zein war im März vergangenen Jahres mitten in der Nacht von israelischen Soldaten festgenommen worden. 36 Stunden später wurde er einem Richter vorgeführt und musste danach 35 Mal vor Gericht erscheinen. Neun Monate saß er in der Jugendabteilung des 'HaSharon'-Gefängnisses, ohne überhaupt verurteilt worden zu sein.

Im Januar gelang es dem Vater, den Jungen gegen Kaution aus der Haftanstalt zu holen. Nun wartet Zein auf die nächste Verhandlung. "Ich will zwar nicht wieder ins Gefängnis, aber ich habe keine Angst mehr", gibt er sich offensiv. Der Teenager geht zwar inzwischen wieder zur Schule, muss aber ein Jahr wiederholen. "Meine Freunde fragen mich, wie es sich hinter Gittern so lebt - für alle Fälle."

Zeins Schilderungen zeigen eine von vielen schlimmen Seiten der israelischen Besatzung, die vielen Kindern und Jugendlichen nicht erspart bleiben. Der gleichaltrige Smain Najjar, der im jüdisch kontrollierten Teil von Hebron lebt, wurde sogar schon vier Mal als mutmaßlicher Steinewerfer in Gewahrsam genommen. "Zum ersten Mal passierte mir das im Alter von neun Jahren, als ich mit Freunden Fußball spielte. Sechs Stunden lang sperrten sie mich in eine Kühlvorrichtung, dann durfte ich gehen", erinnert er sich.

"Versetzt euch mal in ihre Lage", sagte US-Präsident Barack Obama kürzlich jungen Israelis. Die Tatsache, dass sogar palästinensische Kinder in israelische Militärhaft kommen, zeigt im Grunde, wie gering die Chancen sind, dass Obama mit seinem Appell durchkommt.


Jeden Tag durchschnittlich zwei Palästinenser-Kinder festgenommen

Allein im Februar dieses Jahres wurden 236 minderjährige Palästinenser verhaftet. 39 von ihnen waren zwischen zwölf und 15 Jahren alt, wie die Menschenrechtsgruppe 'Defence for Children International' berichtete. Das Weltkinderhilfswerk UNICEF schätzte in einem im Februar veröffentlichten Bericht, dass in jedem der vergangenen zehn Jahre etwa 700 zwölf- bis 17-jährige Palästinenser von Israel festgenommen wurden - durchschnittlich zwei am Tag. Die meisten von ihnen waren Jungen.

UNICEF kommt zu dem Schluss, dass die schlechte Behandlung gefangener Kinder im Verlauf des Verfahrens - von der Festnahme und dem Verhör bis zum Prozess und der möglichen Verurteilung - weit verbreitet ist, systematisiert und institutionalisiert wurde.

In dem Report werden Praktiken beschrieben, die "gemäß der Kinderrechtskonvention und der Anti-Folterkonvention, die auch von Israel ratifiziert wurden, auf eine grausame, inhumane und herabwürdigende Behandlung oder Bestrafung hinauslaufen".

Eltern werden nicht immer über die Festnahme ihrer Kinder informiert. Während der Verhöre wird den Minderjährigen kein Kontakt zu einem Rechtsanwalt gestattet. Auch Verwandte werden nicht zugelassen. Die meisten Festgenommenen werden beschuldigt, Steine gegen israelische Soldaten und Fahrzeuge geschleudert zu haben.

"Diese Steine können töten", sagte die stellvertretende Sprecherin des israelischen Außenministeriums, Ilana Stein. "Wir bringen allerdings nur ungern Kinder ins Gefängnis." Die 38 Empfehlungen des UNICEF-Berichts zur Stärkung des Schutzes palästinensischer Kinder werden laut Stein sorgfältig geprüft. "Wir wollen den Umgang mit gefangenen palästinensischen Kindern verbessern", versprach sie.

Adli Da'ana vom UNICEF-Büro in Hebron im Westjordanland begrüßte zwar die Reaktion Israels auf den Report. Zugleich kritisierte er jedoch, dass noch am 20. März 27 Kinder in der Altstadt von Hebron "einfach so" aufgegriffen worden seien.


Israelisches Recht legt zweierlei Maß an

Nach dem israelischen Militärrecht wird mit Kindern sehr streng verfahren. Auf der alternativen israelischen Website '972.com' wurde kürzlich eine fiktive Fallstudie über die juristischen Folgen eines Streits zwischen einem zwölfjährigen israelischen Siedler und einem gleichaltrigen Palästinenser vorgestellt, die zeigt, wie sehr mit zweierlei Maß gemessen wird.

Ein israelischer Minderjähriger wird binnen zwölf Stunden dem Richter vorgeführt, während ein palästinensisches Kind bis zu vier Tage warten muss. Ein junger Israeli muss nach spätestens zwei Tagen Zugang zu einem Anwalt erhalten. Bei einem palästinensischen Heranwachsenden ist dies dagegen erst nach 90 Tagen Pflicht. Ein israelisches Kind kann höchstens 40 Tage ohne Anklage festgehalten werden, ein Palästinenser 60 Tage.

Die Chancen, gegen Kaution freizukommen, stehen bei einem jungen Israeli bei 80 und bei einem Palästinenser bei 13 Prozent. Während das israelische Zivilrecht keine Freiheitsstrafe für unter 14-Jährige vorsieht, kann bereits ein zwölfjähriger Palästinenser nach dem israelischen Militärrecht weggesperrt werden.

"Es muss unbedingt gewährleistet werden, dass Kinder so wenig Zeit wie möglich im Gefängnis verbringen und schneller vor einen Richter kommen", fordert Na'ama Baumgarten-Sharon von der israelischen Menschenrechtsorganisation 'B'tselem'. Dabei gilt seit dem 2. April bereits eine Militärorder, die diese Abläufe beschleunigen soll. Demnach müssen palästinensische Kinder unter 14 Jahren binnen 24 Stunden nach der Festnahme dem Richter vorgeführt werden. Bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren verlängert sich die Frist auf bis zu 48 Stunden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=44296#.UXlBOErI8Sk
http://www.defenceforchildren.org/
http://www.ipsnews.net/2013/04/tell-us-about-jail-just-in-case

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2013