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INTERNATIONAL/269: Shrinking Spaces - Schrumpfende Handlungsräume der Zivilgesellschaft (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2017

Jobs, Jobs, Jobs
Gute Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Zukunft?

Shrinking Spaces - Schrumpfende Handlungsräume der Zivilgesellschaft
Über Ursachen, Auswirkungen und Lösungswege

von Josephine Koch


Nur 3 Prozent der Weltbevölkerung leben heute in Ländern, in denen sich die Zivilgesellschaft frei äußern, organisieren und agieren kann. Zu diesem alarmierenden Ergebnis kommt das Netzwerk Civicus in seinem Report vom April 2017. Was bedeutet das für die alltägliche Arbeit von Betroffenen immer enger werdender zivilgesellschaftlicher Handlungsräume, vor allem im Globalen Süden? Und inwiefern müssen die Bundesregierung ebenso wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ihre Rolle dabei kritisch prüfen?


Diese und weitere Fragen standen im Zentrum einer Fachtagung vom 16. bis 18. Mai, die u. a. vom Forum Umwelt und Entwicklung in Berlin ausgerichtet wurde. Beteiligt haben sich VertreterInnen von Hilfs-, Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen aus 9 Ländern in Afrika, Asien, Europa und Lateinamerika.


Altes Phänomen, neue Qualität

Einschüchterung, Repressionen, Verbote und physische Gewalt gegenüber zivilgesellschaftlichen AkteurInnen sind keine neuen Phänomene. Seit einiger Zeit erleben wir jedoch eine neue Qualität. Massiver denn je werden AktivistInnen, JournalistInnen, NGOs und soziale Bewegungen nicht nur in autoritären Systemen, sondern auch in formal demokratischen Staaten bedroht, wenn sie sich in politischen, wirtschaftlichen oder umweltpolitischen Angelegenheiten zu Wort melden. Laut Civicus lebt heute jeder 10. Mensch in einem Land, in dem zivilgesellschaftliches Engagement nahezu unmöglich ist und jeder 3. in Ländern, in denen dieser Handlungsraum zumindest stark eingeschränkt ist. Wo früher einzelne NGOs gegängelt wurden, ist heute die Zivilgesellschaft systematischen Angriffen ausgesetzt.


Schikanen per Gesetz

Die Berichte der KonferenzteilnehmerInnen bestätigten einen weiteren Trend: Immer mehr Länder erlassen Gesetze und administrative Schranken, die die Rechte und Handlungsräume der Zivilgesellschaft einschränken, so übrigens auch in 8 der G20-Staaten. Die Palette reicht von Versammlungs-, Demonstrations-, Presse- und Zutrittsverboten - beispielsweise zu Konfliktregionen, Minenabbaugebieten oder besetzten Zonen - über das Verbot von Sprachen oder der Ausübung kultureller bzw. religiöser Traditionen bis hin zu Gesetzen, die die Einforderung von Menschenrechten unter Strafe stellen. Bekannt ist dies aus autoritären Systemen. In sogenannten partiellen Demokratien werden dagegen statt offiziellen Gesetzen scheinbar unverfängliche Regularien erlassen, deren Interpretationsspielraum staatlichen Autoritäten jedoch erlaubt, zu intervenieren, wenn sie sich von NGOs kritisiert oder in ihren Kerninteressen berührt sehen. Viele der anwesenden NGO-VertreterInnen der Konferenz berichteten z. B. von langwierigen Registrierungsprozessen für NGOs und immer neue, komplizierte Berichtspflichten über ihre Finanzen, MitarbeiterInnen und UnterstützerInnen. Die Folge: NGOs verlieren ihre Lizenzen, müssen Bußgelder zahlen, können sich gar nicht erst gründen oder müssen die Verhaftung ihrer MitarbeiterInnen hinnehmen. Ein weiteres typisches Repressionsmittel ist der reglementierte Zugang zu den Finanzen von NGOs. Sie müssen Konten bei staatlich kontrollierten Banken führen, die ihre Einzahlungen überwachen. Andernfalls werden ihre Konten eingefroren. In den letzten Jahren wurden diese Schikanen im Namen der nationalen Sicherheit häufig als Präventionsmaßnahmen gegen Terrorismus gerechtfertigt.


Stigmatisierung und Kriminalisierung

Darüber hinaus berichteten KonferenzteilnehmerInnen, dass NGOs, die mit Nord-PartnerInnen zusammenarbeiten, als "subversiv", "antinationalistisch" oder HelferInnen ausländischer AgentInnen gebrandmarkt und für eine instabile politische oder wirtschaftliche Lage verantwortlich gemacht werden. Die Verbreitung von Gerüchten, Korruptionsvorwürfen und Denunziationen gegenüber zivilgesellschaftlichen AkteurInnen spaltet so die Zivilgesellschaft eines Landes. Mehrere, gegeneinander arbeitende Zivilgesellschaften entstehen. Angeheizt werden die Spannungen von den Erdogans, Putins, Le Pens oder Trumps, die mit ihren nationalistischen, rechtspopulistischen Hetzkampagnen Stimmung gegen ihre KritikerInnen machen. Das Beispiel Philippinen zeigt zudem, dass restriktive NGO-Gesetze oder Diffamierungen nicht immer nötig sind, um unliebsame Teile der Zivilgesellschaft mundtot zu machen. Das Land hat sowohl eine der größten NGO-Dichten der Welt als auch eine der höchsten Mordraten von NGO-Mitgliedern, bei quasi inexistenter Strafverfolgung.


Business First

Hinter den Repressionen gegenüber der Zivilgesellschaft - das wurde während der Konferenz immer wieder deutlich - stehen meist knallharte wirtschaftliche Interessen. Regierungen billigen das Vorgehen transnationaler und lokaler Unternehmen oder agieren selbst als deren KomplizInnen. Die Rolle des "Big Business" ist dabei nicht zu unterschätzen. Mittlerweile sind Dreiviertel der 100 größten Ökonomien weltweit Kapitalgesellschaften, nicht Nationalstaaten. Vor allem die öffentlich-privaten-Partnerschaften bilden Einfallstore für Korruption. Staaten neigen daher immer mehr dazu, ökonomische statt zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume zu sichern. Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung haben Priorität, kritische AkteurInnen der Zivilgesellschaft werden häufig als störende Bremser empfunden. Auch Deutschland folgt diesem Business-First-Prinzip. Daran ändern auch halbherzige Versuche (Stichwort Nationaler Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte), deutsche Unternehmen im In- und Ausland in ihre sozio-ökologische Verantwortung zu nehmen, kaum etwas. Rüstungsexporte in und Rohstoffimporte aus Ländern, in denen die Zivilgesellschaft drangsaliert wird, werden so sicher nicht unterbunden. Eine unfaire Handelspolitik und die Kooperation mit undemokratischen Regierungen fördert zudem die Ungleichheit und Polarisierung in den betroffenen Ländern.


Mögliche Gegenstrategien

An einem der 3 Konferenztage wurde diese Kritik direkt an teils hochrangige MitarbeiterInnen des Bundeskanzleramts, des Auswärtigen Amts und des Entwicklungsministeriums herangetragen und gemeinsam Gegenstrategien der zivilgesellschaftlichen VertreterInnen diskutiert. Eine davon war die Einführung verbindlicher Prüfmechanismen, die gewährleisten, dass politische und wirtschaftliche Entscheidungen keinen negativen Einfluss auf Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Handlungsräume in anderen Ländern zur Folge haben. Ein weiterer Vorschlag bestand in der Einrichtung regelmäßiger, institutionalisierter runder Tische zum Austausch der Zivilgesellschaft mit VertreterInnen der verschiedenen Ministerien zum Thema. Daneben plädierten die zivilgesellschaftlichen TeilnehmerInnen für eine verbesserte interministerielle und ressortübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Regierung, die Auswahl von Fokusländern, anhand derer Geberorganisationen und NGOs gemeinsam mit lokalen PartnerInnen prüfen, wie sich durch diese Kooperation ein zivilgesellschaftlicher Handlungsspielraum erweitern lässt, oder auch eine stärkere Einbindung der deutschen Botschaften in den jeweiligen Ländern in die Thematik.(1)


NGOs und das Establishment

Als NGOs und Geberorganisationen in Deutschland müssen aber auch wir selbstkritisch fragen, ob wir bedrohten Zivilgesellschaften wirklich die Unterstützung geben, die sie brauchen. Die unterschiedlichen Alltagsrealitäten haben zu Entfremdungen und Abhängigkeiten zwischen den Nordund Süd-NGOs geführt. Das Projektdesign von Entwicklungsorganisationen des Nordens beispielsweise passt zuweilen nicht zu den Bedürfnissen vor Ort. Auch werden staatliche Vorgaben für allzu starre Monitoringund Evaluierungsvorschriften von Projekten mit SüdpartnerInnen meist einfach hingenommen und weitergeleitet, was den lokalen Aktionsradius vieler SüdpartnerInnen zusätzlich einschränkt. Angesicht der wachsenden Anzahl regierungsnaher NGOs z. B. in Russland, China oder der Türkei ist zudem fraglich, ob wir überhaupt mit den richtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten. Und: Sind wir nicht auch selbst schon "Establishment"? Vor allem die stark forcierten Multi-Akteurs-Partnerschaften, bei der zivilgesellschaftliche Akteure mit VertreterInnen aus Politik und Privatwirtschaft konsensorientiert zu einer bestimmten Thematik zusammenarbeiten, bergen die Gefahr einer Scheineinbindung der Zivilgesellschaft. Daneben verhindert auch hierzulande ein Wettbewerb um Fördertöpfe, Jobs und Sichtbarkeit, dass die organisierte Zivilgesellschaft solidarisch an einem Strang zieht. Gleichzeitig verliert sie damit den Kontakt zu ihrer Basis. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir einen ehrlichen Selbstreflektionsprozess. Das hat die Konferenz einmal mehr klargemacht.

Deutlich geworden ist auch: Man braucht das Rad in Sachen Gegenstrategien nicht neu zu erfinden, aber man muss sie gezielt und mit Nachdruck angehen. Die Aufgabe der NGOs ist es hier vor allem, gute Lobby-Arbeit zu leisten. Die Bundesregierung wiederum sollte neben Absichtserklärungen echten politischen Willen zeigen und Menschenrechte klar vor Profitinteressen stellen. Dafür sollte auch das Wirtschaftsministerium mit von der Partie sein. Bei dieser Konferenz glänzte es zumindest noch durch Abwesenheit.



Die Autorin arbeitet beim Forum Umwelt und Entwicklung.

Anmerkung:
(1) Mehr dazu im Diskussionspapier des Forum Umwelt und Entwicklung u. a.: Zivilgesellschaftliches Engagement weltweit in Gefahr.
http://www.forumue.de/wp-content/uploads/2017/01/Zivilgesellschaftliches-Engagementweltweit-in-Gefahr.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 2/2017, Seite 32-33
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2017

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