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MELDUNG/047: Erdogans neue "Anti-Terror-Strategie" - Operationsgebiete entvölkern und zerbomben (Civaka Azad)


Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Pressemitteilung vom 7. April 2016

Erdogans neue "Anti-Terror-Strategie": Operationsgebiete entvölkern und zerbomben


Der türkische Staatspräsident Erdogan scheint gewillt, im Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung radikalere Wege einzuschlagen. Nachdem bereits sein Vorschlag, "PKK-Anhängern" die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen [1], breite Wellen geschlagen hatte, erläutert Erdogan bei einem Treffen, zu dem er die Gemeindevorsteher aus verschiedenen Provinzen der Türkei nach Ankara geladen hatte, seine neue Idee. Der türkische Staatspräsident erklärt, dass es durch Sprengfallen in den Reihen der türkischen Sicherheitskräfte zu großen Verlusten komme und man diese Verluste nur hinnehmen müsse, weil man in besonderer Weise auf das Wohlbefinden der Zivilbevölkerung achte. Die Lösung aus diesem scheinbaren Dilemma erläutert er mit folgenden Worten: "Wenn nötig, sollten wir die Gebiete, in denen die Operationen stattfinden, vollständig räumen und die unbewohnbaren Wohnungen von der Ferne sprengen."


Angriffe des türkischen Staates in Nisêbîn, Gever und Silopî

Bereits bei der Belagerung der Stadt Cizîr (Cizre) hat der türkische Staat die Strategie des "Entvölkerns und Wegbombens" geprobt. So wurde die Bevölkerung der belagerten Stadtteile zunächst durch wochenlang anhaltende Ausgangssperren aufgerieben und zur Flucht gedrängt, bevor diejenigen, die sich weigerten zu gehen, grausam massakriert wurden. Rund 150 Menschen kamen bei den Angriffen des türkischen Staates allein in Cizîr ums Leben, hunderte Häuser sind unbewohnbar. Die Bilder aus der Stadt gleichen denjenigen der zerstörten Städte in Syrien. Ähnlich schlimm ist der Zustand auch in Sur, der historischen Altstadt von Amed (Diyarbakir). Eine ausführliche Darstellung der HDP, in welcher das Zerstörungsausmaß in Sur dokumentiert wird, finden Sie unter [2].

Diese Strategie will nun der türkische Staatspräsident auch in den Städten Nisêbîn (Nusaybin), Gever (Yüksekova) und Silopî (Silopi) umsetzen. In allen drei Städten halten die Angriffe der staatlichen Sicherheitskräfte an. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Zivilen Verteidigungseinheiten (YPS - Yekîneyên Parastina Sivîl), die ihre Stadtteile gegen die Angriffe des türkischen Staates zu schützen versuchen. Laut Angaben der YPS werden die türkischen Sicherheitskräfte bei ihren Angriffen auch von Dschihadisten, die entweder dem IS oder der Al-Nusra Front zuzuordnen sind, unterstützt. Mehrere Dschihadisten seinen bereits bei den Kämpfen getötet worden.


Sieben Tote in Silopî an einem Tag - Einwohner fliehen vor den Angriffen

In der Stadt Silopî sind bei den Angriffen des türkischen Staates alleine am 6. April mindestens sechs Zivilisten ermordet worden. Die türkischen Sicherheitskräfte setzten am Vormittag zwei Stadtteile unter Raketenbeschuss. Mehrere Wohnungen, in denen sich zum Zeitpunkt des Beschusses Zivilisten aufhielten, wurden dabei getroffen. Nach dem Tod der sieben Personen begannen die Einwohner der Stadt ihre Häuser zu verlassen und zu fliehen. Rund 50 Einwohner aus Silopî, darunter auch Mitglieder der Demokratischen Partei der Regionen (DBP), wurden zudem durch die Polizei festgenommen.


1.000 Türkische Spezialeinsatzkräfte möchten versetzt werden

Unterdessen wurde bekannt, dass rund 1.000 Mitglieder der Spezialeinsatzkräfte der Polizei einen Antrag auf Versetzung in eine andere Abteilung gestellt haben. Dabei handelt es sich um Polizeikräfte, die seit Anbeginn der Ausgangssperren im Kampf gegen die kurdische Bevölkerung eingesetzt werden. Die Betroffenen beklagen Probleme in der Verwaltung, zu geringe Ausruhzeiten und mangelhafte Verpflegung. Zum Teil werde man zu 48 Stunden anhaltenden Operationen gezwungen. Insgesamt mache sich das Gefühl breit, dass sie nun für die Fehler, die im Lösungsprozess gemacht wurden, büßen müssen. Ercan Taştekin, Vorsitzender des türkischen Think-Tanks für die Untersuchung von Sicherheitsstrategien (GÜSAM), erklärt vor dem Hintergrund dieser Meldung, dass die Spezialeinsatzkräfte das Gefühl haben, dass ihr Leben für wertlos gehalten werde und man sie als menschliche Minensuchgeräte missbrauche.


Anmerkungen:
[1] http://www.heise.de/tp/artikel/47/47874/1.html
[2] http://civaka-azad.org/wp-content/uploads/2016/04/SUR_Report_April6.pdf

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Quelle:
Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Bornheimer Landstraße 48, 60316 Frankfurt
Telefon: 069/84772084
E-Mail: info@civaka-azad.org
Internet: www.civaka-azad.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2016

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