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MELDUNG/828: Hurtig von Brett zu Brett (SB)


Alexei Shirov beim Uhrensimultan in Fredrikstad


Fredrikstad im äußersten Südosten Norwegens, unweit der Grenze zu Schweden, hat knapp 80.000 Einwohner und liegt an der Mündung der Glomma in den Oslofjord. Historisch war Fredrikstad von hoher militärstrategischer Bedeutung als Festungsanlage gegen schwedische Invasionspläne und als Kriegshafen für die norwegische Flotte. In Friedenszeiten erlebte die kleine Handels- und Seefahrtsstadt zum Ende des 19. und Übergang zum 20. Jahrhundert dank der Holz- und Ziegelindustrie einen wirtschaftlichen Aufschwung, der Fredrikstad den Beinamen "Plankenstadt" einbrachte. Außer dem Exportgut Holz belieferte Fredrikstad in den Wintermonaten unter anderem Brauereien in Deutschland mit größeren Mengen von Eis, ein Wirtschaftszweig, der allerdings ein jähes Ende mit der Erfindung der Kältemaschinen fand. Heutzutage spielen weder die Holzwirtschaft noch die in den 1970er Jahren aufgegebene Schiffswerft eine tragende Rolle in der städtischen Wirtschaftsstruktur, die inzwischen von Handels- und Dienstleistungsunternehmen sowie einigen Industriebetrieben wie der Norwegischen Technischen Porzellanfabrik (NTP) geprägt ist.

Auch schachlich gesehen hat das idyllische Fredrikstad einiges zu bieten. Die 1903 gegründete Schachgesellschaft Fredriksstad Schakselskap pflegt eine lange Tradition, die 1919 ihren Anfang an und mit zeitlichen Unterbrechungen bis auf den heutigen Tag immer wieder für Aufsehen und Interesse sorgt. Fast schon zum Brauchtum der Stadt gehört es seit diesem historischen Datum, von Zeit zu Zeit namhafte Großmeister hinter die Tore der Stadt zu einem Simultanmatch einzuladen.

Als erster nahm der "letzte Ritter des Königsgambits" Rudolf Spielmann die Einladung aus Fredrikstad an und absolvierte 1919 an drei aufeinanderfolgenden Abenden jeweils ein Simultan an 20 Brettern. In den 1920er Jahren waren Aaron Nimzowitsch und Richard Reti aus selbigem Anlaß zu Gast in der Stadt, denen ein Jahrzehnt später Efim Bogoljubow und erneut Spielmann folgten. Nach einer längeren Zeit der Reorganisation nahm man in Fredrikstad diese Tradition mit den Weltklassespielern David Bronstein und Simen Agdestein wieder auf. Im letzten Jahr gab sich der norwegische Großmeister Ringdal Hansen die Ehre zu einem Uhrensimultan an 20 Brettern. Und zuletzt am 9. Februar dieses Jahres sah man den lettischen Großmeister Alexei Shirov in den Klubräumen, gegen insgesamt 31 Kontrahenten ein Uhrensimultan mit je 45 Minuten Bedenkzeit plus drei Sekunden für jeden ausgeführten Zug austragen.

Für Shirov ein wahrer Marathon. Nicht nur mußte er einen gewaltigen Fußmarsch hinter sich bringen, von Brett zu Brett und Zug um Zug, auch saß ihm die Zeitnot gehörig im Nacken. Da wurde schnell klar, daß die Bedenkzeit für den Großmeister zu knapp bemessen war, was zur Folge hatte, daß der sympathische Lette russischer Abstammung, der für seine gewagten Kombinationen berüchtigt ist und im Jahre 2000 nach einer Niederlage in Teheran gegen Viswanathan Anand Vizeweltmeister der FIDE wurde, neben 22 Siegen und vier Remisen auch fünf Partien wegen Zeitüberschreitung verlor, obgleich er teilweise eine Gewinnstellung hatte. Daß ihm die Füße mehr weh taten als sein grübelnder Kopf, kann angesichts der Wegstrecke, die er in der dreiviertel Stunde zu meistern hatte, nicht verwundern. Dennoch war der Abend in vollem Umfang gelungen und erfreute neben den Simultangegnern auch die zahlreichen Zaungäste, die gekommen waren, um der Fortsetzung einer jahrzehntelangen Tradition der Simultankämpfe gegen illustre Größen der Schachkunst beizuwohnen. Shirov ist nicht nur ein beim Publikum beliebter Streiter am Brett, sondern wirkt auch als Organisator von Schachturnieren. Als nächstes auf seinem Terminkalender stehen einige Wettkämpfe in Jurmala in Lettland Anfang März.


16. Februar 2017


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