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DAS TURNIER/005: Vom Start zum Ziel in einem Flug - Rapidweltmeisterschaft der Frauen in Doha (SB)


Konkurrenz weit abgehängt


Das Hauptaugenmerk in Doha richtete sich zwar auf den Männerwettbewerb, aber auch die Frauenliste las sich bemerkenswert, waren doch mit Zhu Chen (2001-2004), Antoaneta Stefanova (2004-2006), Alexandra Kosteniuk (2008-2010) und Anna Ushenina (2012-2013) vier ehemalige Weltmeisterinnen im klassischen Schach, als auch Kateryna Lagno als Rapidweltmeisterin von 2014 und Blitzweltmeisterin von 2010 sowie Anna Muzychuk, die 2014 das Championat im Blitz gewonnen hatte, Valentina Gunina als weltbeste Blitzspielerin des Jahres 2012 und zuguterletzt die Siegerin der FIDE-Grand-Prix-Serie Ju Wenjun unter den insgesamt 34 Teilnehmerinnen aus 13 Nationen in der Rapid-Disziplin vertreten. Über die Spanne von drei Tagen wurden pro Durchlauf vier Partien ausgetragen. Wie schon bei der letzten Blitz- und Rapidmeisterschaft in Chanty-Mansijsk war in Doha auch die deutsche Spitzenspielerin Elisabeth Pähtz als 11. der Startliste mit von der Partie.

Die topgesetzte Russin ukrainischer Herkunft Kateryna Lagno, die zudem als Titelverteidigerin fungierte, galt vielen im Vorwege als klare Favoritin. Doch auch Alexandra Kosteniuk, die in Chanty-Mansijsk 2014 punktgleich, aber mit schlechterer Wertung hinter Lagno Silber errang, wurden gute Chancen eingeräumt. Wider Erwarten startete Lagno keineswegs souverän in die Meisterschaft, sondern mußte sich zunächst mit zwei Remisen gegen Inna Gaponenko und Dinara Saduakassova begnügen, ehe sie gegen Daria Charochkina und Anna Ushenina zwei Siege einfuhr. Mit 2/4 fiel ihr Auftakt alles in allem bescheiden aus.

Ihre Hauptrivalin Kosteniuk machte es deutlich besser und gewann ihre ersten drei Partien gegen Meri Arabidze, Harika Dronavalli und Nino Batsiashvili, mußte sich dann jedoch Anna Muzychuk geschlagen geben. Für die amtierende russische Landesmeisterin, die im Oktober im sibirischen Nowosibirsk zu brillieren wußte, ein tiefer Schlag ins Kontor. Dennoch war die Verlustpartie gegen Muzychuk ihre einzige im ganzen Wettkampf.

Überhaupt war Muzychuk die treibende Kraft des ersten Spieltages gewesen, hatte sie doch vor der Russin auch der zweifachen Europameisterin Natalia Zhukova, Lela Javakhishvili und Aleksandra Goryachkina das Nachsehen gegeben. So führte sie die Tabelle mit einer hundertprozentigen Bilanz an, gefolgt von Inna Gaponenko mit 3.5/4 und dem russichen Trio Lagno, Kosteniuk und Alexandra Goryachkina mit je 3/3.

Elisabeth Pähtz dagegen schien unter Ladehemmung zu leiden. Nach dem Auftaktremis über Saduakassova kassierte sie zwei Niederlagen gegen Ju Wenjun und Mahri Geldiyeva und schloß den ersten Spieltag lediglich mit einem Sieg über Arabidze und 1.5/4 recht mager und im wahrsten Sinne des Wortes ermattet ab, litt sie doch unter einer schleichenden Fieberattacke, die es ihr kaum erlaubte, die Gedanken zusammenzuhalten.

Zum engeren Favoritenkreis zählte auch die Russin Valentina Gunina. Freilich wurde sie den Vorschlußlorbeeren zumindest in ihrer Auftaktpartie gegen Sofio Gvetadze nicht gerecht, die sie regelrecht vergeigte. Nachdem sie im April 2016 den FIDE-Grand-Prix in Batumi überzeugend gewonnen hatte, schien sie in Doha stellenweise zu schwächeln, was sich auch an der hohen Zahl ihrer Remisen abzeichnete. Ihr gelangen nach der Auftaktpleite zwar noch zwei Siege über Vlada Sviridova und der stark aufspielenden Iranerin Sarasadat Khademalsharieh - dazwischen lag ein Remis gegen Saduakassova -, aber in den Titelkampf sollte sie nicht mehr eingreifen können.

Nun sind längere Siegesserien bei Frauenturnieren so ungewöhnlich nicht, für Anna Muzychuk, die im Verlauf des Jahres zwar gute, aber keineswegs berauschende Turnierresultate eingefahren hatte - geteilter dritter Platz beim FIDE-Grand-Prix in Chengdu und die Bronzemedaille auf der Schacholympiade in Baku mit dem ukrainischen Nationalteam - aber schon, galt sie doch als weit abgeschlagen von ihrer Bestform, die sie einst über die 2600er-Elo-Grenze getragen hatte.

Während bei den Herren ein reger Verkehr auf dem Verschiebebahnhof herrschte und die Tabellenspitze häufig wechselte, gab die 26jährige ihre Spitzenposition nicht mehr her. Nach einer Atempause von zwei Remisen über ihre ukrainische Teamkollegin Gaponenko und die topgesetzte Russin Lagno fielen ihrer Beutelust auch die beiden Top-Spielerinnen Nana Dzagnidze und Alina Kashlinskaya zum Opfer, und plötzlich schien die in Lwow geborene Großmeisterin fast schon am Ziel ihrer Träume zu sein, führte sie das Klassement am Ende des zweiten Spieltages doch mit sage und schreibe anderthalb Punkten Vorsprung vor dem Verfolgerfeld aus Lagno, Khademalsharieh und Kosteniuk an. Da sie gegen die beiden Schwerkaliber Lagno und Kosteniuk bereits die Klingen gekreuzt hatte, war zu diesem Zeitpunkt weit und breit praktisch keine Konkurrenz mehr zu fürchten, die ihr den angestrebten Titel noch hätte entreißen können. Kosteniuk kam in der zweiten Etappe gegen Ju Wenjun, Lagno und Ushenina auf drei Remisen und einen Sieg über Gaponenko und peilte längst nicht mehr den Titel, sondern die Silbermedaille an. Der Abstand zur Tabellenspitze war einfach zu groß und trübte zu sehr die Motivation.

Pähtz, die im Juni noch hocherfreut war, weil sie in der Elo-Liste den Durchbruch der 2500er-Schallgrenze geschafft hatte, in den folgenden Monaten jedoch ins Trudeln kam, zeigte am zweiten Spieltag, offenbar ihrer Malaise geschuldet, durchwachsene Leistungen: einem Sieg über Zhukova, die in Doha maßlos enttäuschte, folgte eine Niederlage gegen Kashlinskaya, dann wieder ein aufbäumender Sieg gegen Bahar Hallaeva und ein Absturz gegen die chinesische Großmeisterin Zhao Xue. Damit war das Turnier für sie gelaufen. Am nächsten Tag mußte sie das Bett hüten und ihre Erkrankung erst einmal auskurieren. Die bis dahin erzielten 3,5 Punkten reichten nur für den 32. Platz.

Als Lagno am Schlußtag zwei Niederlagen gegen Dzagnidze und Humpy Koneru schlucken und damit die Titelverteidigung endgültig begraben mußte, und Khademalsharieh mit zwei Remisen - darunter gegen die Tabellenführerin -, einer Niederlage und einem Sieg der große Wurf nicht mehr gelang, konnte sich Muzychuk nach einem Sieg in Runde 10 gegen Gunina zum Ausklang ihres großartigen Erfolgs in Doha sogar zwei Remisen leisten. Mit 9.5/12 lag sie in der Schlußtabelle immer noch einen vollen Punkt vor der Vize-Weltmeisterin Kosteniuk und Dzagnidze auf dem Bronzerang, die dank eines starken Endspurts mit 8/12 an Khademalsharieh vorbeigezogen war. Alexandra Kosteniuk verbreitete via Twitter noch rasch die Meldung, daß sie nunmehr zum dritten Mal Zweite bei der Rapidweltmeisterschaft geworden war.

Mit Vassily Ivanchuk bei den Herren gingen so beide Rapid-Titel an die Ukraine. Anna Muzychuk war in Doha - ohne eine einzige Niederlage - auf jeden Fall eine Klasse für sich.


 Endstand 
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34.
GM Muzychuk, Anna
GM Kosteniuk, Alexandra
GM Dzagnidze, Nana
IM Khademalsharieh, Sarasadat
GM Ju, Wenjun
WGM Abdumalik, Zhansaya
GM Lagno, Kateryna
GM Stefanova, Antoaneta
WGM Saduakassova, Dinara
GM Koneru, Humpy
GM Zhao, Xue
IM Kashlinskaya, Alina
IM Pham Le Thao, Nguyen
GM Gunina, Valentina
GM Ushenina, Anna
GM Harika, Dronavalli
WGM Goryachkina, Aleksandra
IM Batsiashvili, Nino
WGM Tan, Zhongyi
IM Arabidze, Meri
GM Zhu, Chen
WFM Sviridova, Vlada
IM Javakhishvili, Lela
WGM Geldiyeva, Mahri
WFM Hallaeva, Bahar
IM Gvetadze, Sofio
IM Purtseladze, Maka
WGM Krivec, Jana
IM Charochkina, Daria
IM Gaponenko, Inna
GM Zhukova, Natalia
IM Paehtz, Elisabeth
WFM Ovezdurdiyeva, Jemal
CM Sloan Julia, Elizabeth
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6.5
6.5
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4.5
4.0
3.5
3.0
1.0
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7. Januar 2017


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