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DAS TURNIER/008: Indische Übermacht - Hastings International Chess Congress (SB)


Fünf Inder in den Top-Ten


Als Wilhelm der Eroberer im September 1066 mit seiner normannischen Streitmacht in der Nähe von Hastings an Land ging und wenig später den letzten angelsächsischen König Harald II. dank seiner überlegenen Kriegstaktik vernichtend schlug, änderte dies den Lauf der englischen Geschichte. Hastings 1066 - dieses Datum brennt sich in den Kopf jedes Geschichtsschülers ein. Weniger bekannt ist, daß Jahrhunderte später in Hastings eine Schachtradition ins Leben gerufen wurde, die als die längste Europas gilt und noch bis heute fortbesteht. Die großen Tage des Hastings International Chess Congress gehören zwar der Vergangenheit an. Nichtsdestotrotz genießt der Name auch heutzutage über den nostalgischen Klang hinaus Beachtung.

Die Turniertradition in Hastings reicht bis ins letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zurück. Nach einer Reihe von kleineren Wettkämpfen wurde in Hastings 1895 das erste große Internationale Schachturnier ausgetragen, an dem neben Wilhelm Steinitz auch der damals amtierende Weltmeister Emanuel Lasker und viele weitere Granden der Schachkunst teilnahmen. Anders als erwartet ging der Turniersieg an keinen der Favoriten, sondern an den 23jährigen US-Amerikaner Harry Nelson Pillsbury, gefolgt von Michail Tschigorin, Tarrasch und Steinitz. Ein weiterer Höhepunkt in Hastings war das "Turnier der sechs Meister" von 1922, das Alexander Aljechin vor Akiba Rubinstein gewann. Von da an bis zum Zweiten Weltkrieg wurden im englischen Seebad nahezu ohne Unterbrechung Schachturniere ausgerichtet.

Dem Ruf folgte alles, was Rang und Namen hatte, um an den Rundenturnieren zum Jahreswechsel teilzunehmen. Hastings vereint in seiner Turniergeschichte die ersten zehn Schachweltmeister: Willhelm Steinitz, Emanuel Lasker, José Raul Capablanca, Alexander Aljechin, Max Euwe, Michail Botvinnik, Vassili Smyslov, Michail Tal, Tigran Petrosjan und Boris Spassky sowie Anatoli Karpov als zwölften Weltmeister. Hastings leistete auch einen frühen Beitrag zur Emanzipation. Erstmals beteiligte sich 1929/30 mit der Schachweltmeisterin Vera Menchik auch eine Frau an den Spielen und sorgte mit ihrem scharfen Verstand bis 1936/37 für einiges Kopfzerbrechen unter ihren männlichen Kontrahenten. 1964/65 folgte ihr Nona Gaprindaschwili als Schachweltmeisterin nach.

Die Tradition der Rundenturniere mit eingeladenen Gästen endete 2003, sie setzte sich aber in den Offenen Turnieren im Schweizer System über neun Runden fort und wurde nach und nach zur beliebten Anlaufstelle für viele indische Schachspieler, um dort Erfahrungen zu sammeln und Hastings gewissermaßen als Tür in den internationalen Schachbetrieb zu nutzen.

Vom 28. Dezember 2016 bis zum 5. Januar 2017 tagte der Hastings International Chess Congress im Horntye Sports Centre bereits in der 92. Auflage. Das Hauptturnier neben vielen anderen war natürlich das Masters mit 96 Teilnehmern aus 23 Nationen, darunter elf Großmeister, eine Großmeisterin sowie etliche Internationale und FIDE-Meister.

Aus Indien kam auch in diesem Jahr ein vielköpfiges Kontingent. Außer dem Preisgeld von 2.000 Pfund lockte auch auf die Golombek-Trophäe. Englische Schachspieler ärgern sich oft darüber, von der aufstrebenden indischen Avantgarde im eigenen Land um die Preisgelder gebracht zu werden. Dieses Gefühl, ja die Gewißheit, daß die Anand-Generation in Indien nicht nur den Spuren des Ex-Weltmeisters folgt, sondern kaum minder stark aufspielen kann, beschlich sie abermals. Wie schon 2010/11 sorgte der indische Großmeister Deep Sengupta für lange Gesichter unter Englands Elite. Damals hatte sich Sengupta noch im Tiebreak gegen seinen Landsmann, den Internationalen Meister Arghyadip Das, durchsetzen müssen. Nunmehr schaffte er den Sprung in die Hastings-Annalen aus eigener Kraft, indem er den Wettkampf als einziger Spieler mit 7,0 Punkten aus 9 Runden für sich entschied.

Arghyadip Das konnte dennoch den zweiten Platz behaupten, weil er im Verfolgerfeld mit 6.5/9 die beste Zweitwertung aufwies vor Miklos Galyas aus Ungarn, Ramesh Praggnanandhaa aus Indien sowie den beiden Engländern Bogdan Lalic, der allerdings ein gebürtiger Kroate ist, und dem 16jährigen Ravi Haria. Sethuraman war Wertungsbester der Spieler mit 6 Punkten. Karthikeyan Murali wurde Zehnter. Das heißt, nicht weniger als fünf Spieler aus Indien belegten Plätze in den Top-Ten.

Mehr noch als das Spiel der anderen verfolgte die Presse das Abschneiden von Ramesh Praggnanandhaa. Der Inder ist erst elf Jahre alt und gilt als der jüngste Internationale Meister der Schachgeschichte. Viele sehen in ihn den künftigen Nachfolger von Anand. Sein dritter Platz in Hastings war jedenfalls ein sensationeller Erfolg und vielleicht ein Vorzeichen dafür, daß er in nächster Zeit zum jüngsten Großmeister aller Zeiten avanciert.

Dazu müßte er den Russen Sergey Karjakin und den norwegischen Weltmeister Magnus Carlsen überflügeln, die mit zwölf Jahren und sieben Monaten respektive 13 Jahren den Titel des Großmeisters errangen. Seine junge Karriere liest sich beeindruckend. 2013 gewann er die U8-Weltmeisterschaft, 2015 wurde er U10-Champion und bei der U12- Weltmeisterschaft in Batumi Dritter mit 8,5 Punkten aus 11 Partien, gleichauf übrigens mit dem deutschen Wunderkind Vincent Keymer. Als er den IM-Weltrekord von Karjakin brach, war Praggnanandhaa zehn Jahre und neun Monaten alt. Der Inder war also mehr als ein Jahr schneller. Das Talent des Jungen aus Chennai steckt in seiner Familie. Auch seine ältere Schwester Vaishali ist U12- und U14- Weltmeisterin. Trainiert wird er vom Großmeister Ramachandran Ramesh seit seinem achten Lebensjahr. Und er lernt rasant und begierig. Beleg dafür ist sein Sieg in nur 18 Zügen über den Großmeister Axel Bachmann aus Paraguay aus dem letztjährigen Isle of Man Open.

Hastings bot indes noch andere Sehenswürdigkeiten. So ging der Schönheitspreis für die beste Partie des Turniers an den Dänen Jesper Sondergaard Thybo für seinen Erstrundensieg über S. P. Sethuraman, dem Elo-stärksten Spieler des Turniers. Beste Frau im Teilnehmerfeld war die Großmeisterin Nino Maisuradze aus Frankreich, die gemeinsam mit ihrem Mann Aleksandr Fier, einem Großmeister aus Brasilien, an den Start gegangen war.

Senguptas Turniersieg in Hastings war dabei keineswegs eine runde Sache gewesen. Nach einem Auftaktsieg kassierte er in Runde 2 eine furchtbare Niederlage gegen den jungen australischen Internationalen Meister Bobby Cheng in nur 35 Zügen. Nachdem er jedoch gegen Mark Hebden in Runde 5 remisiert hatte, ließ er nichts mehr anbrennen und legte eine Serie von drei Siegen in drei Partien hin, so daß er sich zuletzt sogar ein Kurzremis gegen Allan Stig Rasmussen leisten konnte.


 Endstand 
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50.
SENGUPTA, Deep
GALYAS, Miklos
PRAGGNANANDHAA, Ramesh
LALIC, Bogdan
DAS, Arghyadip
HARIA, Ravi
SETHURAMAN, S.P.
FIER, Alexandr
GLEDURA, Benjamin
KARTHIKEYAN, Murali
RASMUSSEN, Allan Stig
TAN, Justin
GORMALLY, Daniel
HEBDEN, Mark
KJARTANSSON, Gudmundur
HANSEN, Mads
CHENG, Bobby
FLEAR, Glenn
THYBO, Jesper Sondergaard
BATES, Richard
PLAYER, Edmund
MAISURADZE, Nino
MARUSENKO, Petr
LYELL, Mark
BOINO, Claudio
GARRIGA CAZORLA, Pere
LEDGER, Andrew
SIVA, Mahadevan
BELLIN, Robert
TEH, Eu Wen Aron
VAISHALI, R.
PROSVIRIAKOV, Vladimir
SCOTT, Gordon
RAMSDAL, Jens Albert
EAMES, Robert
HEALEY, Michael
FOO, William
ARKELL, Keith
BATCHELOR, Peter
DYRGAARD, Kristoffer
WEBB, Laurence
CUNNINGHAM, Robin
TAYLOR, Adam
KALAVANNAN, Koby
THOGERSEN, Rasmus
BRITTON, Richard
SPICE, Alan
WHITE, Stuart
MILLER, Dominic
HOWELL, Oliver
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16. Januar 2017


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