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SCHACH-SPHINX/04544: Kein ins Uferlose abwandernder Geist (SB)


Ohne seinen Mentor Michail Botwinnik wäre aus Garry Kasparow wohl nie ein Weltmeister geworden. Als Zehnjähriger nahm der mehrfache Champion Kasparow unter seine Fittiche und förderte ihn nach Kräften. Kasparow war gelehrig und folgte seinem Vorbild in allem, ohne dabei jedoch zu einer hirnlosen Puppe zu werden. Sein wacher Verstand begleitete ihn fünf Jahre lang durch alle Prüfungen. Als er Botwinniks Konzept, Stellungen auf einen dynamischen Kulminationspunkt hin zu entwickeln, begriffen hatte, machte er etwas, das für seine spätere Entfaltung ungeheuer wichtig und wertvoll war. Er blieb in seinem Lernen nicht stehen. Ungeachtet der Ideen, die er von Botwinnik eingeimpft bekam und die völlig ausgereicht hätten für ein ganzes Menschenleben, suchte Kasparow die Konfrontation auch mit dem Gedankengut anderer Lehrmeister. So blieb sein Wuchs lebendig, verhärtete nicht zu diesem oder jenem Stil. Was die Partien von Kasparow auszeichnet, ist der nie erschöpfende Reichtum eines stillosen Stils. Zwar bevorzugte er bestimmte Eröffnungen, ebenso wie er andere aus seinem Katalog strich, doch wird kein Großmeister und Kenner der Materie behaupten können, dies oder jenes sei typisch für Kasparow. In seinen Partien lebt der Forschergeist weiter. Trotzdem ist sein Repertoire nicht extravagant wie beim Springinsfeld Tony Miles, der ein breites Spektrum von Eröffnungen besitzt und hin und wieder auch zu abstrus wirkenden Spielweisen greift, um seine Gegner zu überraschen. Kasparow bleibt seiner Linie treu. Er ist kein ins Uferlose abwandernder Geist. Seine Passion ist das Detail, und an diesem feilt er solange herum, bis die schärfste Logik und Zielgerichtetheit erreicht ist. Man könne sagen, daß Kasparow ein Fokussier ist, einer, der mit der Brennlupe alles vernichtet und ausschließt, was dieses Detail überwuchert. Mit demselben Fleiß schärfte Kasparow gegen die Damenindische Verteidigung die alte Petrosjan-Variante 1.d2-d4 Sg8-f6 2.c2-c4 e7-e6 3.Sg1-f3 b7- b6 4.a2-a3 immer wieder und immer wieder, bis er ein griffiges Schwert in Händen hielt und so im heutigen Rätsel der Sphinx seinem Kontrahenten Najdorf eine fürchterliche Lektion erteilen konnte. Kasparow hatte zuletzt 1.Le3-d2! gespielt und da nun 1...De5-b2 wegen 2.Sf5-h6+ Kg8-h8 3.Sh6xf7+ Kh8-g8 4.Dg4-h5 indiskutabel war, versuchte es Najdorf mit 1...De5xa1 2.Te1xa1 Lf6xa1. Leider hatte er dabei etwas Wichtiges übersehen, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/04544: Kein ins Uferlose abwandernder Geist (SB)

Kasparow - Najdorf
Bugojno 1982

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
1...h7-h5? war in hoher Zeitnot geschehen, aber was taugen Entschuldigungen in einem Kandidatenturnier? Beljawski gewann jedenfalls mit 2.Sh4-f5+ Kg7-g6 3.Sf5-e7+ Kg6-h6 4.f2-f4 eine Figur und damit die Partie.


Erstveröffentlichung am 27. Dezember 2000

26. Oktober 2012





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