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SCHACH-SPHINX/04560: Nadelöhr der vielen Unwägbarkeiten (SB)


Der Beruf des Schachlehrers gehört der Vergangenheit an. Heutzutage nimmt kaum noch jemand Privatunterricht bei einem namhaften Meister, um sich unter kundiger Führung durchs Nadelöhr der vielen Unwägbarkeiten führen zu lassen. Manchem alten Herrn hat diese Tätigkeit zum harten Brot des Daseins die Butter beschert. Für den Novizen allerdings, der partout nicht begreifen wollte, daß die Abenteuer von Robinson Crusoe und Freitag weniger spannend sein sollten als das Einpauken von Varianten und Spielsystemen, bedeutete es oft eine Tortur. Mit strengem Blick saß der Lehrer am Brette, schweigend, wie es die Art solcher Menschen war, und so, als blickte er tief hinein ins Gehirn seines Schützlings, wanderten seine Augen von den Figuren zum Gesicht des jungen Schachkadetten. Dann ertönte im gelehrigen Ton: "Schärfe deinen Verstand an der Zweckmäßigkeit der Züge." Stille wieder und tiefes Brüten. Kaum hatte der Knabe einen Zug gefunden, von dem er annahm, er sei der zweckdienlichste überhaupt, da grunzte der alte Herr nur, wischte sich über seinen ehrwürdigen Bart und zerstörte den ach so stolz errichteten Gedankenbau. "Berauschend war das nicht gerade, aber aller Anfang ist schwer." Wenige Züge später war die Stellung des Knaben aufgerissen, die gegnerischen Figuren drangen durch die Lücken und entthronten seine Majestät. So ging das von Woche zu Woche. Keine Atempause dazwischen, kein Wort des Trostes, immer nur dieser kalte, mit Vernichtungskraft aufs Brett geworfene Blick des Alten. Wie beschränkt und dumm kam sich der Eleve vor. Viel später sollte er erfahren, daß keine Geste des Meisters, keine Mahnung verschwendet war. Nichts wird so sehr mißverstanden wie das Lernen. Auch Alexander Aljechin mußte erst durchs Dornengestrüpp der Kritik gehen, ehe er, wie im heutigen Rätsel der Sphinx, scheinbar wie aus dem Ärmel geschüttelt, Kombinationen von zweckreiner Schärfe aufs Brett zauberte. Die schwarze Stellung schien gefestigt und robust genug zu sein, doch das entscheidende Tor war nicht verriegelt worden, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/04560: Nadelöhr der vielen Unwägbarkeiten (SB)

Aljechin - Grünfeld
Semmering 1926

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Der Vogel mochte flattern, wie er wollte, der Leim hielt ihn zurück. So erging es auch Meister Kupreitschik, nachdem Jusupow 1...Sf6-d5! gespielt hatte. Annehmen durfte er das Opfer nicht. Nach 2.e4xd5 Dd8xd5 wäre die weiße Stellung rasch in sich zusammengestürzt. Also Gegenangriff, sagte sich Kupreitschik, mit 2.Dd1-h5. Doch der Vogel machte bloß Wind. Für Jusupow ein leichtes, ihn in den Käfig zu stecken: 2...Sd5-e3 3.Ke1-e2 g7-g6 4.Dh5-h6 - 4.Dh5-h4 Lb4-e7 5.Dh4-h6 Se3-g4 und die Dame ist gefangen - 4...Dd8-d7 5.Dh6-h4 Lb4xd2 6.Ke2xd2 Sc6-e5 7.Sh3-g5 Tf8-f2+ 8.Kd2-c1 Se5xd3+! 9.Kc1-b1 Sd3xb2 und Weiß gab auf.


Erstveröffentlichung am 01. Januar 2001

11. November 2012





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