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SCHACH-SPHINX/04586: Gefesselte Freiheit (SB)


Große Geister hat die Schachkunst wenige hervorgebracht, auch wenn die Literatur das Gegenteil behauptet und auf vielerlei Partien von Meistern verweist, die wundervoll durchdacht und von scharfen Pointen begleitet sind. Allein, beim näheren Betrachten dieser Partien fällt unangenehm ins Auge, daß sie einander fürchterlich ähnlich sind. Wüßte man es nicht besser, so müßte man annehmen, sie hätten voneinander abgekupfert. Jeder spielte die Partie zwar für sich, ganz unstrittig, aber ihre Gedanken wurzelten doch in derselbe Erde. Wie ein Sämann streuten sie ihre Saat auf die Fruchtbarkeit des Bodens und erntete die reifen Früchte ihrer Mühen, und doch war ihre Hand nur Werkzeug eines ganz anderen Willens. Nicht religiös darf man diese Worte verstehen. Einen edlen Geist und Übervater hatte vielleicht Schiller nötig, als er seine Feder ins Tintenfaß stieß, und auch Kant war davon überzeugt, daß ein Prinzip - Vernunft genannt - die Handlungen der Menschen durchziehen müßte. Wird Freiheit errungen, hinterläßt sie keine Spuren, der Bruch ist ohne Vergleich, keiner Nachahmung zugänglich. Was große Meister groß sein läßt, ist nicht das Allgemeinverständliche der Theorie, die sich jeden Gedanken einverleibt und paßförmig macht. Es ist auch nicht die Partie selbst, die ja durch den Willen des Kontrahenten stets eine Trübung erfährt. Der Augenblick des Aufbegehrens, wo Freiheit ungefesselt zur vollen Wirkung kommt, läßt sich bestenfalls mit dem Wort Unumkehrbarkeit umschreiben. Die Wiederholung, dieser Zwang, den Erfolg zu kopieren, ist dagegen vergewaltigte Freiheit. Einstweilen soll uns das heutige Rätsel der Sphinx, wo Meister Capablanca, mit Schwarz am Zuge, den Knoten des Endspiels echt alexandrisch zerschlug, erfreuen, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/04586: Gefesselte Freiheit (SB)

N.N. - Capablanca

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Nach 1.Sc3-d5! c6xd5 2.Dd3xd5+ Sd6-f7 3.Dd5xa8 Le8-c6 glaubte Meister Wisozki, Tals Dame gefangen zu haben, allein 4.Lc5-b6!! a7xb6 5.Td1-c1 belehrte ihn eines Besseren und nach 5...Lc6xa8 6.Tc1xc7 Tf6-c6 7.Th1- c1 Tc6xc7 8.Tc1xc7 Sc8-d6 9.Sb3-d2! Lg7-f8 10.Le2-c4 war der weiße Stellungsvorteil so unanfechtbar, daß Tal nach einer unersprießlichen Gegenwehr schließlich gewann.


Erstveröffentlichung am 11. Januar 2001

07. Dezember 2012





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