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SCHACH-SPHINX/05369: Auf seinem eigenen Hochmut ausgerutscht (SB)


Jedes Kandidatenturnier hat seine Anekdote, und stets nimmt sie ihr Sujet aus den Reihen der Verlierer. Das ist so Tradition und nicht einmal bös gemeint, denn was könnte tröstlicher sein, als trotz der Niederlage nicht vergessen zu werden. Jede Anekdote zeigt den Protagonisten von seiner menschlichen Seite, wodurch er an Charme gewinnt. Das gilt selbst für den verknöchertesten Dogmatiker, und solche soll es im Lande der Caissa bekanntlich nicht einmal wenige geben. Jedenfalls geschah es beim Kandidatenturner 1959, daß der spätere Weltmeister Bobby Fischer gegen seinen Uraltrivalen Michail Tal eine gewonnene Stellung erspielte. Bevor Tal seinen vermutlich letzten Zug ausführen konnte, schrieb Fischer mit dem Hochgefühl, bereits als Sieger festzustehen, seinen nächsten Zug auf das Partieformular und legte das Papier so an die Brettseite, daß Tal einwandfrei lesen konnte, wie Fischer zu gewinnen gedachte. Solche kleinen moralischen Stöße zwischen Schachspielern sind die Würze jeder geistigen Konkurrenz. Jedenfalls erkannte Tal, daß er in der Tat aussichtslos stand. Nun verfiel der Rigaer Meister jedoch auf eine tückische List. Völlig gelangweilt - fast so, als strenge ihn die Fortführung einer Partie, in der es nichts mehr zu gewinnen, aber auch nichts zu verlieren gäbe, maßlos an - erhob er sich, nachdem er seinen Zug gemacht hatte, und schlenderte gelassen zu den anderen Brettern hinüber, tauschte hier und da einen Scherz mit den anderen Großmeistern aus, tat jedenfalls alles, was ein von der Niederlage bedrohter Spieler nie machen würde: Er ließ es sich gutgehen! Fischer, der Tal argwöhnisch mit den Augen verfolgt hatte, kam ins Grübeln. Ob sein Zug, den er Tal ja zu lesen gegeben hatte, der Grund für dessen Sorglosigkeit war? Hatte er eine entscheidende Finte übersehen? Derart beunruhigt, strich Fischer jedenfalls seinen notierten Zug aus und wählte in seiner Verwirrung einen anderen, der natürlich prompt zur Niederlage führte. Immer schon hat man vermutet, daß Tal ein Hexenmeister sei, der seine Gegenspieler zu hypnotisieren wisse. Die Partie trug jedenfalls dazu bei, dies Gerücht um eine weitere Nuance zu erweitern. Aber nun zurück zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zur Partie zwischen zwei unbekannten belgischen Schachfreunden. Kaum glaublich, aber Weiß stand neben der lediglich zum Remis führenden Abfolge 1.Dh1-h3 Ka8-b8 2.Dh3xb3 b7-b5 eine in der Tat verblüffende Siegeskombination zur Verfügung, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05369: Auf seinem eigenen Hochmut ausgerutscht (SB)

N.N. - N.N.
Belgien 1967

Auflösung letztes Sphinx-Rätsel:
Karpow, gewitzt, fand den Siegeszug auch unangespitzt, will sagen, mit einem müden Lächeln, denn dergleichen Verteidigungs-Angriffs- Positionen zu lösen, gehört zu seinem Tagespensum. Er zog also 1...Le4- d5! mit Angriff auf den weißen Turm. Mit Schrecken erkannte Lautier, daß der Turm die dritte Reihe nicht verlassen durfte. So wäre beispielsweise auf 2.Tb3-b6 Sd1xe3 3.Ke2xe3 Ta8-a3+ mit Figurengewinn gefolgt. Blieb also 2.Tb3-d3, was nach Karpows Antwort 2...Ld5-c4 jedoch nur die Kapitulation zwingend machte.


Erstveröffentlichung am 23. Februar 2002

29. Januar 2015





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