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SCHACH-SPHINX/05471: Immerwährende Furcht (SB)


Die Furcht ist in jeder Partie gegenwärtig und nistet sich in hunderterlei Gedanken. Nie ist man vor ihr sicher, so gut man sich auch gegen sie wappnet. Diesen Dämon bezwingt nichts, und sein Name ist Überraschung. Denn das Schachspiel, sosehr Vernunft und planerisches Vorhaben auch seine Grundfesten bilden, wird letztlich weniger durch Fehler entschieden als vielmehr durch den Umstand, daß an irgendeiner Stelle der Verknüpfung von Zug und Gegenzug eine Lücke nicht zu schließen war. Wer kann schon von sich behaupten, in seiner langen Turnierzeit mehr als eine Handvoll Partien aus einem Guß gespielt zu haben. Und oft sind Abstriche selbst bei diesen fünf vonnöten. So bleibt als höchstes Ziel bestehen, eine Partie gegen alle Unwägbarkeit hindurch an einem logischen Faden zu knüpfen. Dieses Ideal sucht ein Schachspieler zeit seines Lebens zu erreichen. Und immer steht er im Schatten der Furcht vor etwas Unvorhergesehenes. Artur Schopenhauer war zuwenig Schachspieler, sonst hätte er die Worte nicht so selbstsicher gewählt: "Uns zu beunruhigen sind bloß künftige Übel berechtigt, welche gewiß sind und deren Eintrittszeit ebenfalls gewißt ist. Dies werden aber sehr wenige sein, denn die Übel sind entweder bloß möglich, allenfalls wahrscheinlich; oder sie sind zwar gewiß, allein ihre Eintrittszeit ist völlig ungewiß. Läßt man nun auf diese beiden Arten sich ein, so hat man keinen ruhigen Atemblick mehr. Um also nicht der Ruhe unseres Lebens durch ungewisse oder unbestimmte Übel verlustig zu gehen, müssen wir uns gewöhnen, jene anzusehn, als käme sie nie, diese, als kämen sie gewiß nicht sobald." Gut möglich, daß Meister Gofstein während seiner Partie gegen Mikhalevski in die Schopenhauersche Trickkiste gegriffen hatte, um seine dunkelahnende Furcht vor einer überraschenden Wendung mit nihilistischen Phrasen zu betäuben. Als sein Kontrahent im heutigen Rätsel der Sphinx mit einem realen Schrecken in die weiße Stellung fuhr, hing an Meister Gofsteins Lippen, erblaßt, noch der letzte Rest des philosophischen Bekenntnisses. Also, Wanderer, Meister Gofstein hatte zuletzt 1.h4-h5 gezogen, der Überraschung entging er dennoch nicht.



SCHACH-SPHINX/05471: Immerwährende Furcht (SB)

Gofstein - Mikhalevski
Beer Sheva 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Siegbert Tarrasch belehrte den unbekannten Schachnovizen mit einer gelungenen Mattwendung, als er 1...Th8xh2+! 2.Kh1xh2 Ta8-h8+ 3.Lg5-h6 Df6-h4# zog.


Erstveröffentlichung am 01. Juni 2002

11. Mai 2015


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