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SCHACH-SPHINX/05481: Die Zeit mag vergehen, .... (SB)


Monarchien wurden gestürzt, ganze Zeitalter gingen in Bausch und Bogen unter und hinterließen kaum mehr als verwitterte Ruinen, der Mond wurde betreten und wieder verlassen, man hat dem Atom seine gutbehüteten Geheimnisse entrissen, es gespalten oder zusammengeschweißt mit seinesgleichen, und das alles in nur wenigen Jahrzehnten. Bedenkt man, daß das europäische Schach im großen und ganzen bis auf unsere Tage so erhalten geblieben ist, wie es die Renaissance schuf, so kommt man um den leisen Vorwurf nicht umhin, daß das Schachspiel von seiner inneren Verfassung her durch und durch konservativ ist. Mehr noch: Es hat seine royalistischen Züge nie verleugnet, weswegen es infolge der zahlreichen Menschheitsrevolutionen nicht weniger als angefeindet wurde. Über das christliche Zufeldeziehen ist schon mehrfach berichtet worden, auch daß im Nationalkonvent nach der Erstürmung der Bastille tatsächlich darüber diskutiert worden ist, die Figur des Königs auch auf dem Brett zu degradieren. Heftige Kontroversen gab es nach der Russischen Revolution. Aus ideologischen Gründen erwog Lenin nicht nur, den König zu proletarisieren, auch die Königin geriet ins Speerfeuer des antizaristischen Umbruchs. Viel Worte braucht man über Khomenis Versuch, das Schachspiel wegen seiner Namenswurzel Shah gänzlich zu verbieten, nicht zu verlieren. Und doch, allen Zuwiderstrebungen zum Trotz behielt das Schachspiel seine Existenzberechtigung. Es läßt sich mit geringen Abstrichen sogar die Behauptung aufstellen, daß das Schach vermutlich das letzte Relikt vordemokratischer Feudalsysteme darstellt. Die Zeit mag vergehen, unsere Leidenschaften bleiben bestehen. Denn das Schach war schlau genug gewesen, die Worte unseres Dichterkönigs Goethe fest in sein Herz zu schließen: "Mit den Irrtümern der Zeit ist schwer sich abzufinden; widerstrebt man ihnen, so steht man allein; läßt man sich davon befangen, so hat man weder Ehre noch Freude davon." Viel Freude an seiner Partie hatte jedenfalls Meister Bhend. Mit den schwarzen Steinen überraschte er im heutigen Rätsel der Sphinx sein Gegenüber mit einer wahrhaft beherzten Siegeskombination. Auf Ehre, Wanderer, kannst du sie finden?



SCHACH-SPHINX/05481: Die Zeit mag vergehen, .... (SB)

Gast - Bhend
Schweiz 1987

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Garry Kasparow ließ sich von dem plumpen Annäherungsversuch des schwarzen Turms nicht beirren, vielmehr nutzte er dessen Erscheinen nach 1...Tf8-c8, um mittels 2.Dc5xc8+! Le6xc8 3.Tb1-b8 Sh6-g8 4.Tb8xc8 De7-a7 5.Kg1-h2 Da7-e7 6.Tc8-e8 seinen Gegner Jussupow zur Kapitulation zu zwingen. Auch 3...g7-g6 wäre ein Schlag ins Wasser gewesen wegen 4.Tb8xc8+ Kh8-g7 5.Tc8-c7! De7xc7 6.Sd6-e8+#


Erstveröffentlichung am 11. Juni 2002

21. Mai 2015


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