Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05487: Modernes Geißlertum (SB)


Perfektionismus ist eine heikle Krankheit. Ein Heilmittel gibt es nicht, und die Symptome sind immer akut. Gerade in denkerischen Berufen - wie das Schachspielertum für sich durchaus in Anspruch nehmen kann -, haben von diesem Virus befallene Geister einen ganz besonders schweren Stand. Nur eitel zu gewinnen, kommt für sie niemals in Frage. Kunstwerke wollen sie schaffen, keine Toilettenlektüre kreieren. Stets drängt es sie mit schmerzhafter Wucht einen Schritt voran und weg vom konventionellen Brauchtum. 'Nachahmung' ist ihnen ein Ketzerwort, 'Gewohnheit' verhaßt. Das Neue scheint in ihrem Verständnis schon alt und affektiert zu sein, kaum daß sie es erdacht haben. Höchste Ansprüche von sich und seinem Können erhebt unter den zeitgenössischen Schachspielern beispielsweise der ukrainische Großmeister Wassili Iwantschuk. Vielleicht war das mit ein Grund dafür, daß er gegen den streng pragmatischen Verstand des Profi- Weltmeisters Garry Kasparow häufiger den kürzeren zog, als er es unbedingt verdient hätte. So sehr strebt Iwantschuk nach Vervollkommnung seiner Kunst, daß er einst eine Sonderprämie von 500 Gulden beim tarditionellen Hochofenturnier für seine Partie gegen Meister Sokolow mit höflicher Bestimmtheit ablehnte, und dies damit begründete, daß sie es nicht wert sei, wegen ihrer Unzulänglichkeit derart ausgezeichnet zu werden. Modernes Geißlertum! In Amsterdam 1994, beim Viererturnier zum Gedenken an den ehemaligen Weltmeister Dr. Max Euwe, gelang es ihm zwar wieder einmal nicht, Kasparow am Betreten des Siegertreppchens zu hindern, dafür konnte der Mann aus Lwow freilich einen künstlerischen Sieg in seiner Partie gegen den PCA- Monarchen erringen. Er selbst sieht seine Leistung zwar bescheidener, doch ist sie allemal das heutige Rätsel der Sphinx wert. Also, Wanderer, wie konnte Iwantschuk mit Weiß am Zuge den positionell schlecht geknüpften Knoten der schwarzen Stellung zerhauen?



SCHACH-SPHINX/05487: Modernes Geißlertum (SB)

Iwantschuk - Kasparow
Amsterdam 1994

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die ungarische Großmeisterin Judit Polgar neigt sehr dazu, aus Stellungen mehr herausholen zu wollen, als diese hergehen können, so auch in ihrer Partie gegen den holländischen Großmeister Joel Lautier, wo sie mit 1.g2-g4 ihrem eigenen König das Grab schaufelte, denn Lautier setzte mit 1...De6-e1+ 2.Kf2-g2 De1-h1+ 3.Kg2- g3 Tc1-g1+ 4.Kg3-f2 Lh6-e3+! 5.Sd5xe3 d4xe3+ 6.Kf2xe3 Tf8-e8+ 7.Ke3-f4 g7-g5+! fort, worauf die Ungarin enttäuscht das Brett verließ.


Erstveröffentlichung am 17. Juni 2002

27. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang