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SCHACH-SPHINX/05525: Begrifflose Reflexion (SB)


Über Ästhetik ist als Teilhabe am gesellschaftlichen Wertekarussell schon viel gesprochen worden. Jede Zeit hat da ihren eigenen Bezug. Galoppiert der Wandel wie etwa in der Weimarer Republik, so tauchen in Kunst und Sozietät die mannigfaltigsten Formen auf. Kriegerische Auseinandersetzungen bringen immer ein neues Denken hervor, und so war nach dem menschenverachtenden Hinmorden hunderttausender Soldaten, man erinnere sich der Greuel gegenseitiger Vernichtung auf den Schlachtfeldern von Sedan, in allen Bereichen menschlichen Selbstverständnisses ein Kurswechsel zu beobachten. Auch im Schachspiel brach eine neue Ära an. Der klassische Stil Steinitzscher Prägung war überholt. Neue Stilrichtungen drängten vor und eroberten das verwaiste Terrain. Im selben Atemzug änderte sich natürlich auch die ästhetische Meinung über das Schachspiel. Daß Schönsinn immer nur von zweitrangiger Bedeutung sein kann und im Schach wurzelhaft befestigt eine andere Prämisse am Werke ist, hat kein anderer als der deutsche Meister Alfred Brinckmann treffend formuliert: "Denn der jeweilige Zug ist Ausdruck logischer Erwägungen, hat also selbst logischen Charakter und kann schon deswegen keine recht ästhetische Wirkung hervorbringen. Im Schachkampfe gelten im allgemeinen nicht die Prädikate schön und häßlich, sondern richtig und falsch, planvoll und planwidrig, zweckmäßig und unzweckmäßig. Nur in Ausnahmefällen, bei überraschenden Kombinationen, reden wir von Schönheit. Bei ihnen, z.B. bei Opferangriffen, zuaberhaften Linienöffnungen, lustigen Treibjagden ist dann aber auch das Auge des Genießenden beteiligt, mithin ein unmittelbarer sinnfälliger Eindruck gegeben. In der Regel aber wird sich die Bedeutung eines Zuges oder der Gehalt einer Partie erst in der Analyse erschließen. Und dazu gehört Fachkenntnis, derer wir beim Anschauen eines Rembrandtschen Gemäldes nicht bedürfen. Dem Schach fehlt also gerade das, was nach Kant das Wesen des Schönen ausmacht, daß es nämlich gefällt, ohne Begriff, d.h. ohne Reflexion". Auch im heutigen Rätsel der Sphinx sinne jeder für sich nach, was Schönheit ausmacht. Jedenfalls hatte Meister Perez, mit Weiß am Zuge, einen logischen Rat bitternötig. Erhielt er ihn, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05525: Begrifflose Reflexion (SB)

Perez - Lopez
Havanna 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Alt war er ja, der ehemalige Weltmeister Wassili Smyslow, aber nicht greise im Kopf und so konnte er taktisch galant nach dem letzten Zug 1...Ta8-d8 mit der kleinen Opferwendung 2.Tc1xc6! b7xc6 3.La3xe7 Td8- b8 4.Le7xf8 Lg7xf8 5.Te1-e4 Lf8-c5 6.Dd1-c1 Kg8-g7 7.Dc1-c4 Kg7-f7 8.Te4-f4+ Kf7-e7 9.Tf4-f6 die Partie und ein Lächeln seiner reizenden Gegnerin Zsusza Polgar gewinnen.


Erstveröffentlichung am 25. Juli 2002

04. Juli 2015


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