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SCHACH-SPHINX/05577: Stroh im Kopf (SB)


Peinlich betrübt schauten nicht wenige Meister zur Seite, betretenes Schweigen zwischen sich lassend, als Petra Leeuwerik, Lebensgefährtin des unter Schweizer Fahne spielenden Ex-Russen Viktor Kortschnoj, behauptete, daß die meisten Schachspieler dumm wie Stroh seien. Kortschnoj selbst hatte bei ihrer Äußerung herzhaft geschmunzelt. Offenbar waren sich beide in diesem Punkte einig. Warum? Sind Schachspieler nicht belesen genug? Oder wissen sie ihren Verstand nicht einzusetzen? Mangelt es ihnen an den nötigen Denkvoraussetzungen? Mitnichten! Wir wollen weitergrübeln. Liegt es vielleicht daran, daß sie zwar Grips in Mengen, aber kaum menschliche Qualitäten besitzen? Hier scheint die Milch überzukochen. Stroh, das heißt doch, teilnahmslos sein, gefühllos, stumpf, gleichgültig. Nun, gnädige Frau, niemand braucht seine Haut zu Markte zu tragen und zu jedermann charmant zu sein, tut man es doch, so klingt es immer falschzüngig. Jovial, sagt der Volksmund dazu. Kaum ein Schachspieler würde unterdessen Einwände erheben, wenn man ihm ins Gesicht sagte, daß das Schachspiel eine Einschränkung sei, die aber nicht zwangsläufig zur Borniertheit führt, wie Sie unterstellen. Denn ist nicht das Wesen aller Kunst, daß man seinen Horizont beengt aus gutem Grund. Universalgenies wissen alles, aber nichts richtig. Also, Frau Leeuwerik, was macht "ihren" Hochmut aus? Denn von Dummheit reden können nur diejenigen, die sich im Glanz des Gegenteils wähnen. Um so mehr, als da Sie nicht einer Einzelperson auf die Zehen traten, sondern gleich ein ganzes Geschlecht von Geistesgenossen schmähten. Leicht läßt sich gegen ihre Behauptung ein Matt in fünf Zügen anführen, werte Dame, aber so dumm wollte kein Schachspieler sein, sich verteidigen zu müssen! Nur eines sei noch nachgeschoben: Nicht jeder möchte Gesellschafter für langweilige Partys sein! Vom Angreifen verstand auch Meister Gulko etwas, wie im heutigen Rätsel der Sphinx ersichtlich. Als sein deutscher Kontrahent Lobron zuletzt 1...b5xc4 zog, kam es zu einer netten Überraschung. Kannst du es erraten, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05577: Stroh im Kopf (SB)

Gulko - Lobron
Biel 1987

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Nichts leichter als ein Matt in zwei Zügen, sagte und dachte sich unser juristischer Schachfreund Gass und machte seinen Gedanken wahr: 1.Df3xc6+! b7xc6 2.Lc4-a6#


Erstveröffentlichung am 14. September 2002

25. August 2015


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