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SCHACH-SPHINX/05589: Waggonladungen voller Gedanken (SB)


Wochen-, manchmal monatelang bereiten sich die Schachspieler auf ein Turnier vor. Sie tun dies in aller Gewissenhaftigkeit, und man kann mit Recht davon ausgehen, daß sie ihr mentales Training, wie es heutzutage so gern heißt, akribisch absolvieren. Das Gehirn ist also bestens geölt, geradezu vorbildlich aufgeräumt, doch dann kommt es zu den sonderbarsten Merkwürdigkeiten. Erinnern wir uns an den Weltmeisterschaftskampf in Andalusien zwischen Anatoli Karpow und Garry Kasparow. Letzterer vergrub sich in der zweiten Partie nach dem neunten Zug von Karpow achtzig Minuten lang in die noch kaum berührte Stellung. Offenbar hatte Kasparow den Faden verloren. Solches geschieht häufiger, als man glaubt. Was in dieser Zeit in den Köpfen der Nachgrübelnden alles an Möglichkeiten hin und her geschoben wird, könnte wohl ganze Waggonladungen füllen. Der Zuschauer indes ist irritiert. Zu wenig versteht er von den bohrenden Zweifeln, die einen Meister dazu bringen, kostbare Bedenkzeit für einen einzigen Zug zu opfern, und nicht einmal in bedrohter Lage, sondern nur, um die weitere strategische Ausgestaltung zu überdenken. Die Zeit um ihn herum verdichtet sich zu einem einzigen Tautropfen. Fast hat es den Eindruck, als würde er mit dem Brett verschmelzen, so durchdringend ist sein Blick. Kaum einer hat je verraten, was mit ihm in diesen Augenblicken vor sich geht. Nicht jeder Gedanke kreist um das Schachspiel, aber der magnetische Sog zwingt ihn immer wieder auf den Brennpunkt der Konfrontation zurück, bis er emportaucht aus den Wirrnissen, die ihn umfangen hielten, gereinigt, von Unsicherheit befreit. Da hatte es unser Schachfreund Wahls nicht so gut getroffen. Bei der Jugendweltmeisterschaft hatte er sich von seinem Kontrahenten Howell regelrecht in ein Limbo lenken lassen. Was Wahls im heutigen Rätsel der Sphinx noch nicht ahnte, war das heransausende Schwert einer vierzügigen Mattkombination, das über dem Haupte der schwarzen Majestät hing. Nun, Wanderer, wie schneidet man den Faden durch?



SCHACH-SPHINX/05589: Waggonladungen voller Gedanken (SB)

Howell - Wahls
Norwegen 1987

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der weiße Freibauer auf d6 erwachte zum Riesen, nachdem sein Blockeur außer Kraft gesetzt wurde, was wiederum durch 1.De2-e8+! zu bewerkstelligen war, denn darauf ließ sich mit 1...Ld7xe8 2.d6-d7+ Sd5- c7 3.d7xe8D+ die Dame zurückholen samt eines Läuferzugewinns. Für Meister Geller war es an der Zeit, die Waffen zu strecken.


Erstveröffentlichung am 26. September 2002

06. September 2015


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