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SCHACH-SPHINX/05771: Ein Herz, das den Aufruhr liebt (SB)


Architekten sind eine sonderbar-exzentrische Art von Mensch. Kahle Wände sind ihnen ein Greuel, und auch stehen sie mit den Baumeistern auf Kriegsfuß. Sie lieben den eleganten Stil. Gibt sich der Bauherr zufrieden, wenn das Haus ein Dach übergestülpt bekommt, so hadert der Architekt mit dem Gleichmaß der Wände, Fenster und Zimmerfluchten. Quadratisch im Kopf, das geht ihm ab und spottet seinem Künstlergeschmack. So verlangt sein Metier, ja sein Eigensinn, daß er wieder rückgängig macht, was Winkel und Wasserwaage an geraden Linien schufen. Architekten haben mit Schachmeistern den verqueren Sinn gemein. Nur daß es statt der Häuser die Eröffnungen sind, die einem Meister zur Verzweiflung treiben. Alles scheint ihnen wie geleckt zu sein, was die Herren Theoretiker da verzapfen. 'Stellung mit gleichen Chancen' - welche Obszönität und Beleidigung für den rebellierenden Geist. Unordnung muß in die Stellung hinein, und so kommen die Meister der Praxis mit dem Feuer, zünden an und fackeln ab, was die Theorie an soliden Gerüsten in die Welt gesetzt hat. Kein Gedanke wird an dem schnöden Wörtchen 'gleich' verschwendet. Nur Bequemdenker und Stubenhocker und vielleicht noch die Salonkönige atembeklemmend langweiliger Remispartien können sich mit einem solchen Urteil zufriedengeben, nicht jedoch ein Herz, das den Aufruhr liebt. Ein Aufrührer eigener Gnaden war gewiß auch Rudolf Spielmann. Kämpfen statt im Remisgeplänkel zu krepieren, wäre wohl seine Losung gewesen, und so setzte er im heutigen Rätsel der Sphinx das Brett auch sogleich in Brand mit 1.Lc1-a3!, worauf sein Kontrahent Vidmar, ordnungsliebend, wie er war, mit 1...Sg5xf3+ 2.De2xf3 Tf8-f7 blind ergeben glaubte, die Balance halten zu können. Ein fataler Irrtum, Wanderer, denn Spielmann würgte der schwarzen Stellung rasch den Lebensnerv ab.



SCHACH-SPHINX/05771: Ein Herz, das den Aufruhr liebt (SB)

Spielmann - Vidmar
Semmering 1926

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die schwarze Stellung ächzte aus allen Fugen, nur daß es Meister Ehlvest nicht hörte. Erst, als sein Kontrahent Nigel Short zu 1.Lg4- h5! griff, dämmerte dem Unglückseligen, daß seine Partie nicht mehr zu retten war. 1...g6xh5 war erzwungen und mehr oder weniger zur Niederlage führend auch die folgenden Züge: 2.Dh7xh5+ Kf7-g8 3.Td1-g1! Lc8-b7 4.Dh5-h7+ Kg8-f8 5.Tg1xg5 Dc7-f7 6.Th1-h4 Td8-d4 7.Th4-g4 g7-g6 8.Dh7-h8+ Df7-g8 9.Dh8-h4 b4-b3 - Verzweiflung, doch was sonst? - 10.Tg5xg6 b3xc2+ 11.Kb1-c1 und Schwarz ließ sich nicht mehr qualvoll vorführen und gab auf.


Erstveröffentlichung am 25. März 2003

10. März 2016


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