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SCHACH-SPHINX/05829: Ästhetik und Vorliebnahmen (SB)


Eine ästhetisch-philosophische Auslegung des Schachspiels war immer nur unter gewissen Vorbehalten möglich, und längst nicht alle führenden Köpfe der Schachkunst widmeten sich diesem geisteswissenschaftlichen Terrain. Eine selbständige Schachphilosophie hat es strenggenommen und im Grunde auch formallogischerweise nie gegeben. Die Suche nach der Wahrheit und ihre Begründung durch allgemeingültige Prinzipien ist nichts Schachspezifisches und so umfassend, daß Überschneidungen mit anderen Denkdisziplinen die natürliche Folge sind. In der Frage der Ästhetik und ihrer Vorliebnahmen gingen die Meinungen freilich seit jeher auseinander. Es ist interessant, zu erfahren, wie der FIDE-Weltmeister Anatoli Karpow diesen Punkt für sich durchleutet: "Für mich bedeutet das Schachspielen in erster Linie Wettkampf, wenngleich ich dabei die ästhetische Seite sehr hoch einschätze. Sobald ich am Brett sitze, versuche ich immer nur eins: gewinnen. Risikobeladenes Spiel ist dennoch nicht nach meinem Geschmack. Auch im Berechnen komplizierter, weitreichender Zugvarianten verlasse ich, wenn möglich, den Bereich des Überschaubaren nicht. In allen Stellungen den logischen und wirkungsvollsten Plan zu finden, ist mein vorrangigstes Bemühen." Der philosophische Vordenker Emanuel Lasker spiegelt sich in diesen Worten evident wider. Ohnehin gehört die Lektüre seiner Schriften zur Grundausstattung fast jedes russischen Spielers. Es ist schon ein Kuriosum, wenn man bedenkt, daß Laskers Schriften hier bei uns unter einer dicken Staubschicht des Vergessens dahinschimmeln. Karpows hohes Durchhaltevermögen ließ ihn in seiner Karriere auch Partien, wo er auf Verlust stand, auf eine fast schon mysteriöse Weise gewinnen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hätte sein Kontrahent Speelman mit 1...Ka6- b7! gewinnen können, doch statt dessen spielte er 1...Tc2-e2? und erlaubte Karpow so ein Entkommen. Wie verwirklichte Karpow das Remis, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05829: Ästhetik und Vorliebnahmen (SB)

Karpow - Speelman
London 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der Schlüssel zum Sieg war die Eroberung der siebten Reihe mit 1.Tc1- c7!, worauf 1...Lb7-a8 2.Lb2-d4 Se4-d6 3.Sf5-e7+ Lf8xe7 4.Tc7xe7 Kg8- f8 5.Te7-a7! die Herrschaft auch über die schwarzen Feldern gewann. Der Rest verlief dann nach dem Einmaleins der Vorteilsverwertung: 5...Td8-c8 6.Ld4xb6 Tc8-c1+ 7.Lg2-f1 La8-c6 8.Ta7-c7! Sd6-e4 9.Lb6xa5 g7-g6 10.f2-f3 Se4-g5 11.Kg1-f2 d5-d4 12.e3xd4 Tc1-c2+ 13.Kf2-e3 und Schwarz verging die Lust zum Weiterspielen.


Erstveröffentlichung am 21. Mai 2003

07. Mai 2016


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