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SCHACH-SPHINX/05909: Forschergeist in alten Fesseln (SB)


Daß marode Denkansätze ganze Generationen von Schachspielern in ihrem Entfaltungsdrang lahmlegen können, beweist die Eröffnungstheorie. In den Anfängen war sie gedacht und konzipiert worden, um bestimmte Spielsysteme ins Leben zu rufen und analytisch zu erforschen. Nach ihrer Etablierung jedoch wechselte das Motiv. Nicht mehr die Entdeckung von Neuem stand im Mittelpunkt, sondern die Durchforstung des vorhandenen Eröffnungswaldes. Ihr Ziel war fortan, Wege aufzuzeichnen, in denen Weiß seinen Anzugsvorteil zu erhalten suchte und Schwarz nach Ausgleich fahndete. Die Balance der Kräfte wurde so zum Leitmotiv der Analytiker. "Das Spiel steht gleich" oder "mit ausgeglichenen Chancen", wer kennt sie nicht, diese Bemerkungen hinter langen Analyseketten und wie giftlähmend wirkten sie sich aus. Es dauerte lange, bis die Krankheit dieser Zielsetzung endlich erkannt und durch eine vitalisierende Medizin kuriert wurde. Im Zenit der neueren Forschung standen nicht mehr ausgeglichene, sondern interaktive Systeme, in denen der Nachziehende um ein vollwertiges Gegenspiel bemüht war. Nicht Starre, sondern Dynamik, nicht Ausgleich im alten Sinne, sondern bewegliche Auffangstellungen wurden zum Prinzip erhoben. Doch Krankheiten kehren immer wieder zurück, lassen sich kaum ausrotten, und so sei der Novize davor gewarnt, seinen Forschergeist in alte Fesseln zu legen. So ist das heutige Rätsel der Sphinx auch der dynamischen Opferpartie zwischen den Meistern Gligoric und Bidew gewidmet, wobei Ersterer die Zügel der Initiative in Händen hielt. Also, Wanderer, wie riß Gligoric mit Weiß den Sieg an sich?



SCHACH-SPHINX/05909: Forschergeist in alten Fesseln (SB)

Gligoric - Bilek
Belgrad 1946

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Der neuralgische Punkt in der schwarzen Stellung war der Bauer f6. Nachdem Tal dies erkannt hatte, war das Finden der gewinnbringenden Kombination ein Kinderspiel für den geborenen Taktiker: 1.Tf1xf6! Tf8xf6 2.Dg3xe5 a4xb3 3.a2xb3 b7-b6. Bileks letzter Zug in dieser Partie, der auf 4.Td1-f1 wenigstens noch 4...Ta6-a5 erwiderbar machte. Völlig chancenlos war natürlich 3...Kg7-f7 4.Se4xf6 De7xf6 5.De5-c7+. Tal spielte jedoch auf 4...b7-b6 5.b2-b4!, worauf gegen das drohende 6.Td1-f1 nichts Vernünftiges mehr in Sicht war.


Erstveröffentlichung am 08. August 2003

26. Juli 2016


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