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SCHACH-SPHINX/06050: Am Bettelstab der Zeit (SB)


Bedenkzeit ist kostbar. Man sollte mit ihr also nicht hausieren gehen. Verschlingt die Kopfarbeit zuviel Zeit, so wird aus dem Spiel zuletzt eine Blitzpartie, eingerechnet aller Flüchtigkeitsfehler und anderer Mesalliancen. In alten Tagen gab es für die Schachspieler eine Alternative zur Zeitnotmisere. Beim Turnier in Paris 1867, das von der Aristokratie unter der Schirmherrschaft Napoleons III. veranstaltet worden war, konnten die Meister der 64 Felder zu ihren zehn Zügen, die innerhalb einer Stunde vorgeschrieben waren, weitere Bedenkzeit hinzukaufen, wenn sie ein Stellungsproblem besonders intensiv durchleuchten wollten. Sie mußten dafür allerdings tief in die Tasche greifen. Pro Viertelstunde zahlten sie 20 Francs. Nun hatte der Franzosenkaiser jedoch eine Majolikaschüssel mit einem Wert von 5000 Francs gestiftet und zuzüglich eine Barschaft von 500 Francs ausgelobt. Eine Investition in die Zeit konnte sich demnach auszahlen. Man denke sich, wie viele Partien seitdem hätten gerettet werden können. So jedoch fielen sie dem Zeitfraß zum Opfer. Beim Zeittarif hätten sich die Meister und die Veranstalter allerdings in die Haare bekommen. Eine Schachgewerkschaft wäre die zwingende Konsequenz gewesen. Spinnt man den Gedanken weiter, so tauchen vor dem inneren Auge Aufstände, Barrikadenstürme und Spielstreiks auf. Nicht auszudenken, was aus der noblen Schachkunst geworden wäre, hätte die französische Intrige Schule gemacht. Und nicht zuletzt hätte die Geschichte der Schachturniere sicherlich eine Menge mehr Bankrotteure gekannt, reich an Bedenkzeit, doch, weil verjubelt, arm an Vermögen. Im heutigen Rätsel der Sphinx hätte auch alle Zeiterschleichnis der Welt Meister Szilagyi nicht vor dem Partieruin bewahren können, denn sein Kontrahent Rejfir mit den weißen Steinen zwang ihn bereits mit dem nächsten Zug zur Kapitulation. Also, Wanderer, wie bewahrte Weiß den Schwarzen vor dem Bettelstab?



SCHACH-SPHINX/06050: Am Bettelstab der Zeit (SB)

Rejfir - Szilagyi
Prag 1955

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Tarrasch übersah eklatanterweise das Hineinziehungsopfer 1.Lc4xf7+! Kg8xf7 2.Sd4-e6! Nun hätte 2...Kf7xe6 3.Dd1-d5+ Ke6-f6 4.Dd5-f5# geradewegs zum Matt gefüht, weswegen der große deutsche Lehrmeister lieber nach 2...Sd7-e5 3.Dd1-h5+ Kf7-g8 4.Se6xd8 Te8xd8 5.Sc3-d5 aufgab.


Erstveröffentlichung am 24. Dezember 2003

15. Dezember 2016


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