"Die wirklichen Opfer sind der wissenschaftlichen Erfassung viel schwerer zugänglich zu machen als die scheinbaren. Nur dem Begabten, Mutigen, dem Spieler mit starkem und zugleich maßvollem Selbstvertrauen wird sich ihr Geheimnis offenbaren", schrieb der für seine Opferpartien berüchtigte Wiener Kombinationskünstler Rudolf Spielmann. Er hatte dabei weniger die Abwicklungen vor Augen, die sich auch einem geübten Spieler geradezu aufdrängen, bei denen eine Abtauschoperation zu Gewinn eines Bauern oder auch mehrerer führte. Auch das Erobern einer ganzen Figur am Ende einer ideenreichen stürmischen Opferkombination befriedigte Spielmann nicht unbedingt. Dies waren Geschicklichkeiten, die kein großes Geheimnis bargen. Routine und ein geschärftes Auge konnten dergleichen mit der Zeit leicht aus jeder Stellung herauslesen. Die eigentliche Opferkunst bestand seiner Meinung nach vielmehr darin, in verwickelten, unübersichtlichen Stellungen ein Opfer zu bringen, dessen Konsequenzen mit den Mitteln der Vernunft und der Berechnung eben nicht so einfach nachvollziehbar waren. Ein gerüttelt Maß an Intuition und auch Risikobereitschaft waren die Voraussetzungen für die wahren Opferzüge. Spielmann legte die Meßlatte hoch, denn als Künstler, als solcher er sich verstand, strebte er nach einer über das Gewohnheitsmäßige hinaus operierenden Angriffsleidenschaft. Ob das heutigen Rätsel der Sphinx den Wiener Meister zufriedengestellt hätte, Wanderer? Weiß griff an und Schwarz kapitulierte in drei Zügen.
Woltschok - Nikkanen
Fernpartie 1981
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Rohe Gewalt und Räuberei werden durch schärfer betonte Sitten
überwunden. Im Schachspiel tritt dies in glänzender Widerspiegelung
immer wieder zutage: 1...Dd7xb5!! 2.Sb4xd5+ Lb7xd5 3.c4xb5 Lf8-b4
4.Dd2xb4 - Weiß opfert die Dame zurück, da er ansonsten dem Angriff
der schwarzen Figuren erliegt - 4...Te4xb4 5.Te1xe5 Tb4xb5 und Weiß
gab auf. Zuviel Material war verlorengegangen.
Erstveröffentlichung am 2. Januar 2007
22. Januar 2020
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang