Das moderne Schach ist bekanntlich eine Erfindung der Europäer. Das Spiel der Araber verlangte einem sehr viel Geduld ab, es war kurzschrittig und ein Matt so gut wie unmöglich. In Europa erhielten die Dame und das Läuferpaar dann ihre heute übliche Langschrittigkeit, was viele Partien tatsächlich in einem Mattangriff enden läßt. Von allen Figuren haben der Springer und der Turm ihre alte arabische Gangart indes beibehalten, sie passten zum neuen Konzept. Nur bei der figürlichen Darstellung des Turms gab es über eine lange Zeit in Europa Mißstimmigkeiten. Im Orient war der Turm nur als quadratischer Klotz mit einem Dreieck obenauf bekannt. Für europäische Gemüter war dies wenig ansehnlich, doch wie diese Figur darstellen? Im Persischen hieß der Turm rukh oder ruch, aber eine etymologische Interpretation des Namens lieferte keine eindeutigen Ergebnisse. Rukh bedeutet eigentlich Kriegsheld, meint also einen Krieger oder Ritter. Je nach Kultur und Zeitepoche hat der Turm in Europa aufgrund der unsicheren Quellenlage verschiedene Formen angenommen. Mal wurde er als Festung mit Zinnen konzipiert, mal als Kriegselefant, Schiff oder Boot. Die Araber hingegen sahen in dem Turm einen Wundervogel aus ihrer Sagenwelt oder, was naheliegender scheint, schlicht ein Kamel. Im internationalen Schach einigte man sich bei dieser Figur schließlich, wie der Name schon ausdrückt, eben auf einen Turm. Im heutigen Rätsel der Sphinx kam es ebenfalls zu Ungereimtheiten. Der junge schwedische Amateur Aspström musste sich gegen den sowjetischen Großmeister Salo M. Flohr bewähren. Keine leichte Aufgabe, zumal der Schwede in eine schlechtere Stellung geriet. Daher spielte er forsch auf gegen den weißen König, was bei Flohr ein gewisses Unbehagen auslöste. Statt mit 1.Tf1-c1! Tf3xf2 2.Tc1-c8+ Kh8-h7 3.De2-c4 in ein siegreiches Abspiel einzulenken, wählte er 1.Kh1-g1, um vorweg seinen f-Bauern zu sichern. Im Grunde ein Tempoverlust, der es dem Schweden erlaubte, einen Gegenangriff zu forcieren, der ihm zumindest ein Remis einbrachte, Wanderer.
Flohr - Aspström
Göteborg 1958
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Hansen hatte bei seinem fehlerhaften Zug 1.h2-h3? zu früh gesehen, was er zu spät erkannt. Gut möglich, dass er den starken Zug des Nachziehenden 1...Tg8xg2! vorausgesehen hatte, nach 2.Td2xg2 schien die Welt für ihn noch in Ordnung zu sein, doch 2...f3-f2!! riß ihn dann schlagartig aus allen Träumen.
30. Oktober 2023
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