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FORSCHUNG/107: Projekt - Störfaktoren in UN-Friedensmissionen auf der Spur (uni'kon - Uni Konstanz)


uni'kon 38|10 - Universität Konstanz

Grabenkämpfe und Spielchen
An der Professur von Prof. Seibel läuft ein neues Projekt an, das internen Störfaktoren in UN-Friedensmissionen auf der Spur ist

Von Dr. Maria Schorpp


Wer denkt, Friedensmissionen seien in sich selbst friedliche Einrichtungen oder wollten gar nur das eine, nämlich Frieden, der kann sich täuschen: Unter dem Titel "Coping with Spoilers from Within - Die Obstruktion von Friedensoperationen durch politisierte Bürokratien" untersucht ein neues Projekt an der Universität Konstanz Widersprüche und Konflikte, die innerhalb des UN-Systems mit dazu beitragen können, dass Friedensoperationen im schlimmsten Fall scheitern. Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Wolfgang Seibel werden in den nächsten zwei Jahren wissenschaftliche Literatur auf den Praxisfall hin auswerten, Fragebögen an UN-Bürokraten verteilen und Interviews führen.

Dazu werden sie sich vor Ort begeben: in den Sudan und nach Liberia, deren im Land stationierten UN-Friedensmissionen als Fallstudien dienen, nach New York, Washington und Wien zu den einzelnen Standorten von UN-Organisationen. Julian Junk, der zusammen mit Wolfgang Seibel das Projekt leitet, und Projektassistent Frederik Trettin arbeiten mit dem Ziel, am Ende des wissenschaftlichen Unternehmens sowohl akademische als auch politische Empfehlungen abgeben zu können. Dazu bauen sie auf dem Vorgängerprojekt "Administrative Science meets Peacekeeping - Verwaltungswissenschaftliche Theoriebildung und die Implementierung von Friedensmissionen" auf. Darin ging es bereits darum, Erkenntnisse verwaltungswissenschaftlicher Forschung für die UN-Einrichtungen fruchtbar zu machen - und nebenbei die Friedensmissionen überhaupt als Forschungsgegenstand der Verwaltungswissenschaft zu etablieren. Die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die das Projekt finanzierte, war von den Ergebnissen so überzeugt, dass sie die Konstanzer Wissenschaftler zum Folgeantrag aufgefordert hat und diesen positiv beschied. Julian Junk war bereits bei der ersten Untersuchung dabei: "Eine der Erkenntnisse in diesem Projekt war, dass die Implementationsprozesse von Friedensmissionen hochgradig abhängig sind einerseits von Managementfähigkeiten, andererseits von politischen Prozessen." Zu letzteren zählen: Grabenkämpfe und Spielchen unter den Beteiligten. Allerdings nicht nur der Konfliktparteien im Land selbst, sondern - bislang weitgehend unbeachtet in der Forschung - innerhalb der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen. Die Beteiligten - das sind laut Junk "ganz normale UN-Diplomaten und Bürokraten", die ihr persönliches Fortkommen betreiben, einzelne Organisationen wie zum Beispiel die Unicef, die um Einfluss und damit auch um Geld kämpfen, und schließlich sogar ganze Nationen, die beteiligt sind. Oftmals wollen einzelne Akteure nur das Beste für das vom Bürgerkrieg verheerte Land, aber selbst gut gemeinte Interessen sind allzu oft nicht kompatibel miteinander, wie Junk weiter berichtet. Hinzu kämen verschiedene Organisationskulturen und Ziele - man nehme nur den militärischen und den zivilen Teil einer Friedensmission, die Hand in Hand arbeiten müssten, aber allzu häufig schon an einfachsten Koordinationsaufgaben scheitern. Aus vielen Ländern werden zudem schlecht ausgestattete, militärische Kontingente geschickt.

Westliche Länder wollen sich an solchen Missionen mit Soldaten und Ausrüstung nur selten beteiligen, manchmal können sie es auch nicht, wie im Fall von Darfur. "Wir versuchen im neuen Projekt zu systematisieren, wo solche internen Störer Ansatzpunkte finden und warum sie gerade in Friedensmissionen so erfolgreich den Verlauf einer Mission negativ beeinflussen können", umreißt Julian Junk die neue Aufgabenstellung. Solche "Spoiler" können überall sitzen, genauso vor Ort in Khartum wie in New York oder Genf. Kontakte zu einzelnen Stellen bis hin zu den höchsten Ebenen der Welt-Organisation gibt es bereits aus dem ersten Projekt. Auch in nationalen Vertretungen bei den Vereinten Nationen wird das Projektteam, allen voran Frederik Trettin, standardisierte Fragebögen verteilen und Interviews führen.

Junk weiß von seinen zurückliegenden Besuchen bei der UN, dass es sehr unterschiedliche nationale Befindlichkeiten und verschiedene Grade an Offenheit Forschern gegenüber gibt. Während Amerikaner und Briten Fragen erstaunlich offen begegneten, ist es bei Deutschen und Franzosen schon schwieriger an relevante Informationen heranzukommen, bei Russen und Chinesen fast unmöglich. Gerade kleinere Länder sind hingegen aufmerksame Beobachter der Prozesse und bringen sich in einflussreichen "Groups of Friends" ein. Hier hat das vorhergehende Projektteam gute Erfahrungen gemacht - beispielsweise mit Diplomaten aus Costa Rica, der Schweiz oder sogar Liechtenstein.

In jedem Fall geht es darum herauszufinden, wo die Probleme liegen, wer mit wem zusammenarbeitet. Auch der Umkehrschluss hat Aussagekraft: wer mit wem nicht zusammenarbeitet. Schließlich gehen die Forscher noch eine Dokumentenanalyse an: Wie wird über die Friedensmissionen in den Medien berichtet, wird eine Frage sein, aber auch interne Budgetpläne werden unter die Lupe genommen. Doch es soll nicht beim Aufzeigen der Schwachstellen bleiben. Es sollen auch Gegenstrategien aufgezeigt werden, etwa im Bereich der Organisationsstruktur: Sind flache, netzwerkartige oder ausgeprägt hierarchische Strukturen die bessere Lösung? Auch institutionelle Gegebenheiten sind zu erwägen, wie regelmäßige Feedback-Runden, mehr Kommunikation usw.

Wenn Trettin von Monrovia oder Karthum dann zurück sein wird, werden die Erfahrungen und Zwischenergebnisse nicht nur am Lehrstuhl Seibel diskutieren werden können. Ein ganzer wissenschaftlicher Pool beschäftigt sich an der Universität Konstanz in verschiedenen Fachbereichen mittlerweile mit Konfliktforschung und der Frage, wie in Konfliktfeldern mit Stress umgegangen wird.


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Quelle:
uni'kon 38|10, S. 14-15
Herausgeber: Der Rektor der Universität Konstanz
Redaktion: Claudia Leitenstorfer, Dr. Maria Schorpp
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2010