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BERICHT/012: Gmeiners starke Frauen (welt der frau)


welt der frau 4/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Gmeiners starke Frauen

Von Julia Sparber


Die Entstehungsgeschichte der 1949 gegründeten SOS-Kinderdörfer hat ein Mann geprägt: Hermann Gmeiner. Über die Frauen an der Seite des Gründervaters war bislang wenig bekannt. Eine Suche nach den vergessenen Frauen des Kinderdorfes.


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"Ein Jahr vor ihrem Tod war Hermann Gmeiner am Karfreitag bei Hertha Troger. Sie haben Frieden geschlossen. Das hat ihr irrsinnig viel bedeutet", erzählt eine Zeitzeugin aus dem Leben Hertha Trogers, die heute als bemerkenswerte Imster Gründermutter gilt. Jahrelang hegte sie einen großen Wunsch: ein Heim für Kinder von berufstätigen, alleinstehenden Müttern. Erst im Alter von 51 Jahren kam sie diesem Traum näher: Sie lernte Hermann Gmeiner kennen, der ein Kinderdorf erbauen wollte. Hertha Troger engagierte sich mit ganzer Kraft, suchte im Alleingang ein passendes Grundstück und erledigte Behördengänge. Das war für Hermann Gmeiner zu viel, sie hatte ihre Kompetenzen überschritten. Es kam zum Bruch zwischen ihr und dem Gründervater, der mit einer "Powerfrau", die zudem 22 Jahre älter war als er und dementsprechende Lebens- und Arbeitserfahrung mitbrachte, nicht gut umgehen konnte. Troger arbeitete in weiterer Folge für die Kinder-Hilfsorganisation "Goldenes Kreuz", doch sie fühlte sich lange Zeit verletzt und schlecht behandelt. Die Zeitzeugin erzählt: "Es war, als hätte man ihr Lebenswerk gestohlen." Der Streit wurde erst 25 Jahre später beigelegt, als ihr Gmeiner das Ehrenzeichen der SOS-Kinderdörfer verliehen hat. Wirklich Frieden geschlossen haben sie aber erst zehn Jahre später, beim Besuch am besagten Karfreitag.


Geächtet und geehrt

Aus eigenen Erlebnissen hatte Troger die Bitternis der Entfremdung zwischen Mutter und Kind erfahren. 1897 in eine gutbürgerliche Familie geboren, absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und ihre Verlobung mit einem anerkannten Banker wies in eine ebenso bürgerliche Zukunft. 1918 jedoch änderte sich das Leben der damals 21-Jährigen gravierend. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ihres Vaters verließ sie ihr Verlobter, weil sie keine gute Partie mehr war. Zum Zeitpunkt der Entlobung war sie aber bereits schwanger. Hertha Troger "brachte Schande über die Familie" und musste ihr Elternhaus verlassen. Weil sie arbeiten musste, konnte sie ihren Sohn nicht selbst großziehen. Erst nach einer Heirat wurde sie wieder in die Gesellschaft integriert. Dieser Mann brachte aber kaum Geld nach Hause. So musste Hertha Troger weiter als Krankenschwester arbeiten. Im benachbarten Ausland, denn zu Hause galt eine verheiratete, arbeitende Frau als nicht standesgemäß.


Ungewöhnliche Frauen

Jenseits des Klischees vom charismatischen Gründervater Hermann Gmeiner wurde die weibliche Pionierarbeit beim Aufbau der SOS-Kinderdörfer kaum erwähnt. Dabei haben Frauen die Gründungsgeschichte der weltweiten Einrichtung entscheidend mitgeschrieben. Unter ihnen kam auch Maria Hofer herausragende Bedeutung zu. Als ausgebildete Fürsorgerin war sie damals die einzige Fachkraft. Sie ließ sich ihr Erbe auszahlen und investierte es in das erste Kinderdorf in Imst. Knapp zehn Jahre blieb sie in leitenden Funktionen, ehe sie dem Kinderdorf den Rücken kehrte. Von ihr selbst wurde nie eine Stellungnahme bekannt. Vermutet wird jedoch, dass Hermann Gmeiner die Führung für sich alleine beanspruchte und sie das nicht akzeptieren wollte. Nachdem von Frauen damals Unterwürfigkeit erwartet wurde, war die Entscheidung Maria Hofers ein selbstbewusstes Zeichen. Die Vorstellungen der Gründermütter deckten sich nicht immer mit denen Hermann Gmeiners, der die Kinderdörfer traditionell umsetzen wollte. Er sah die bürgerliche Familie als Ideal und den Weltfrieden in den Frauen begründet: "Ist Friede machbar? Ja, wenn die Mütter ihn machen", lautet ein Zitat von ihm. Deshalb waren die Kinderdorf-Mütter für häusliche Pflege und Kindererziehung zuständig. Die Rolle der bestimmenden Kräfte in der Kinderdorf-Familie wurde den Männern übertragen. Bis heute gibt es in Österreich acht Dorfleiter, aber nur eine Dorfleiterin.


Nur einmal Mutter sein

Für Frauen bei SOS-Kinderdorf gab es nur bei Kinderdorf-Müttern eine Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die bis 1997 galt. Frauen konnten entweder "sozial" oder "biologisch", aber auf jeden Fall nur einmal Mutter sein. Das Lebensziel einer Frau sollte die Mutterschaft bleiben, war das nicht möglich, wurden "wesensgemäße" Arbeitsfelder für Frauen geschaffen. Die Tätigkeit als Lehrerin, Krankenschwester oder Fürsorgerin wurde als "angewandte, auf die Welt übertragene Mütterlichkeit" betrachtet. Familie und Beruf zu vereinen war zu Beginn nicht erwünscht.

Die schillernde Figur Hermann Gmeiner, im Buch sogar als "absoluter Herrscher" beschrieben, überstrahlte die Gründermütter lange Zeit. Er lebte engagiert für seine Idee - zweifellos mit weltweitem Erfolg -, gab seine Macht jedoch nicht an Frauen ab. Heute öffnet sich SOS-Kinderdorf auch für Gender-Fragen. Die Aufzeichnung der weiblichen Pioniergeschichte ist ein wichtiger Schritt für die Frauen in der großen Organisation.


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MARIA AUF KRUMMEN WEGEN

Maria Heissenberger gründete das erste SOS-Kinderdorf in Korea.

Maria Heissenberger war studierte Katechistin und sah die Mission als Lebensaufgabe. Damals waren allerdings in erster Linie geistliche Schwestern in der Mission tätig, sie aber wollte niemals in einen Orden eintreten. Voll unbändigem Willen bat sie ihre damalige Direktorin um Rat. Diese lachte und sagte: "Maria, weißt du noch immer nicht, dass der liebe Gott auf krummen Wegen gerade schreibt? Ich kenne persönlich drei Missionare in verschiedenen Ländern. Ich frag dort an, ob sie jemanden wie dich brauchen können." Und man brauchte eine wie sie. Ihr "krummer Weg" führte sie nach Daegu, in die drittgrößte Stadt Südkoreas. Daegu war zehn Jahre nach Ende des Koreakrieges noch durch Hunger und Verarmung gezeichnet. Besonders fielen Maria Heissenberger die verwaisten und obdachlosen Buben auf, die sich als Schuhputzer auf den Straßen einen kargen Lebensunterhalt verdienten. Sie wollte diesen "Schuhputzerbuben" helfen. 1960 konnte sie mit Unterstützung der Katholischen Frauenbewegung Österreich ein kleines Haus kaufen, in dem sie den Straßenkindern ein Zuhause geben konnte. 1962 flog Maria Heissenberger zur Primiz ihres Bruders nach Österreich. Sie gab ein Interview über ihre Arbeit in Südkorea. Auf die Frage, was sie machen würde, wenn sie mehr Geld hätte, antwortete Heissenberger: "Ein SOS-Kinderdorf bauen!" Durch dieses Interview wurde Hermann Gmeiner auf sie aufmerksam und betraute sie mit der Gründung eines Kinderdorfes in Südkorea.


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BUCHTIPP
Christina Lienhart/Bettina Hofer:
"Idealistisch und wagemutig", Pionierinnen im SOS-Kinderdorf,
Studien Verlag, 208 Seiten, Euro 29,90


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 4/2007, Seite 18-19
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2007