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BERICHT/019: Das Kind wieder in den Mittelpunkt stellen (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 6 vom 1. April 2008

Das Kind wieder in den Mittelpunkt stellen
Der 21. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft fand vom 16. bis 19. März an der TUD statt eine Nachbetrachtung

Von Andrea Rook


Mit mehr als 2000 Teilnehmern aus 25 Ländern ging der 21. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft zu Ende. Damit war die Dresdner Fachtagung die größte bisher in der Geschichte der DGfE, die alle zwei Jahre Erziehungswissenschaftler und Pädagogen zum wissenschaftlichen Austausch zusammenführt.

Der Kongress, der unter beachtlicher Medienresonanz stattfand, setzte sich in mehr als 150 Fachveranstaltungen mit dem Thema "Kulturen der Bildung" auseinander. "Wie muss man heute pädagogisch handeln", fragte Professor Rudolf Tippelt, Vorsitzender des Vorstands der DGfE, in seiner Eröffnungsrede, "angesichts weltweiter Migration, Globalisierung und deutlich ungleicher Lebenslagen im eigenen Land." Die hohen Abbrecherquoten an unseren Schulen, die Brüche in lebensgeschichtlichen Übergängen, die massive Verhinderung von Bildung aufgrund von Migration - das sind Fragen, auf die die moderne Erziehungswissenschaft Antworten finden und aus einer Gestaltungs- und Akteursperspektive heraus politisch verhandeln muss. Immer wieder kritisierten die Erziehungswissenschaftler die zu geringen Investitionen in den Bildungssektor in Deutschland. Wie der auf dem Kongress präsentierte "Datenreport der Erziehungswissenschaft 2008" belegt, ist die Zahl der Professuren seit 2002 um neun Prozent gesunken - und das bei steigenden Studentenzahlen. Wie soll "Wissen in Einstellungen und Verhalten angeeignet", wie soll "soziale und emotionale Kompetenz in der Gesellschaft herausgebildet" werden, wie Professor Rita Süssmuth in ihrer Eröffnungsrede zum Kongress formulierte, wenn künftige Lehrer nur eine Ausbildung "auf Sparflamme" erhielten. "Zwei Dinge müssen gelingen", brachte die Bundestagspräsidentin a. D. die aktuelle Debatte auf den Punkt. "Wir müssen das Kind wieder in den Mittelpunkt stellen und die Pädagogen mit der Wertschätzung versehen, die ihnen zukommt."

Politischen Sprengstoff enthielt auch der Vortrag von Professor Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld, der mit seiner Studie einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Desintegrationserfahrung und rechtsextremistischem Verhalten nachwies. Ein Forum "Gewalt und Pädagogik" nahm die öffentlichen Forderungen nach mehr Härte, Strafe und Disziplin im Zusammenhang mit jugendlichen Straftätern auf und kritisierte sie deutlich. "Das ist gleichzusetzen mit der Wiederkehr einer deutschen repressiven Erziehung und mit der Abkehr von längst errungenen Prinzipien, wie der Erziehung zur Mündigkeit", urteilte Professor Hans Thiersch als einer der Initiatoren.

Viel beachtet wurden auch die Ergebnisse einer WHO-Studie zum Gesundheitsverhalten von Schülern, die Professor Wolfgang Melzer von der TU Dresden für den sächsischen Raum zu verantworten hat. Nach dieser internationalen Studie, die in Umfang und Bedeutung mit der PISA-Studie zu vergleichen ist, leiden ältere Schüler zunehmend an psychosomatischen Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen, Einschlafstörungen oder Niedergeschlagenheit. Was daran betroffen macht, ist der Zusammenhang zwischen Krankheit und der jeweiligen "Schulkultur" mit ihrer Atmosphäre, der Einstellung zum Schüler, offenen Angeboten und mehr.

Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft bedankte sich Professor Wolfgang Tippelt ausdrücklich beim Organisationsteam um Dr. Karsten Fritz für die gelungenen vier Tage, die dem Kulturen-Thema auch mit einer Elbefahrt, einem Konzert in der Frauenkirche und einem "Glücksbankett" im Hygiene-Museum gerecht wurden. Die Kongressanmeldung, die Loungen und sogar eine Kongresszeitung wurden von SchülerInnen der Europäischen Wirtschafts- und Sprachenakademie Dresden (EWS) betreut, die hier viel praktische Erfahrung als spätere Projektoder Eventmanager sammeln konnten ein Novum bei einem Kongress von dieser Größenordnung.

Weitere Informationen unter: www.dgfe2OO8.de


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 6 vom 1. April 2008, S. 6
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Tel.: 0351/463-328 82, Fax: 0351/463-371 65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2008