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BERICHT/026: Kindergärtner - Rare Exemplare (welt der frau)


welt der frau 6/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Rare Exemplare

Von Michaela Herzog


Obwohl Studien belegen, wie wichtig Frauen und Männer als Rollenvorbilder für die Entwicklung von Kindern sind, sind Kindergärtner Exoten in einem nach wie vor klassischen Frauenberuf. Stehen tief verwurzelte Rollenklischees, niedriges Lohnniveau und fehlendes soziales Ansehen der Wahl des Berufs als Kindergartenpädagoge im Wege?


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"Wie ist dieser ständige Lärm auszuhalten?" ist eine der häufigsten Fragen, mit denen Franz Rosenthaler konfrontiert wird, wenn er sich als Kindergartenpädagoge vorstellt. "Ich hin erfüllt von meinem Beruf", lautet dann seine Antwort. "Kinderlachen und Schreien lassen sich steuern." 18 Jahre war Franz Rosenthaler bei der Post angestellt, und weil er nicht mehr zufrieden war mit seiner Arbeit als Beamter, machte er sich gedanklich auf die Suche nach einer neuen beruflichen Herausforderung. Im unbezahlten Karenzjahr anlässlich der Geburt seines zweiten Sohnes begann der Hausmann, Handpuppen herzustellen und mit ihnen Theater zu spielen. "Nachbarskinder und Freunde meiner Söhne versammelten sich bei uns im Kinderzimmer und verfolgten gebannt mein Spiel."

Da ihm der Umgang mit Kindern so viel Freude und Spaß machte, war er auch bereit, die Matura nachzuholen mit dem Ziel, das Kindergartenkolleg zu besuchen. Ohne die tatkräftige Unterstützung seiner Frau hätte er sich seinen neuen Berufswunsch aber nicht erfüllen können, "da ich in diesen zwei Jahren neben Ausbildung, Arbeit in einem Jugendzentrum und Lernen kaum Zeit für die Familie hatte". Mit seinem ehemaligen Schulkollegen Alexander Hinterleitner leitet der erfahrene Pädagoge seit Jahren die beiden Nachmittagsgruppen des Linzer Übungskindergartens. Mit je 24 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren.


Hubschrauberpilot statt Kindergärtner?

Am ersten Schultag wurde Alexander Hinterleitner an der Bushaltestelle von einem Unbekannten nach seinen Berufswünschen gefragt. "Was, Kindergärtner wollen Sie werden? Das ist doch nichts für einen Mann. Machen Sie doch etwas G'scheites." Doch für Alexander Hinterleitner stand bereits als Kind fest: "Ich will Pädagoge werden." Seine Eltern waren hocherfreut über den klaren Berufswunsch des Sohnes. Die Freunde waren beeindruckt.

Seit acht Jahren arbeitet der engagierte Kindergärtner in einem Beruf, der viel "Kraft, Energie und Verantwortung erfordert". Doch den gefühlvollen und fürsorglichen Zugang zu Kindern, die Bereitschaft, sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder sie zu trösten, als typisch weibliche Fähigkeiten anzusehen, lässt Alexander Hinterleitner nicht gelten. "Mit meiner Arbeit kratze ich gerne an tief verwurzelten Rollenklischees."

Gemeinsam mit seinem Kollegen hat er im Kindergarten eine Werkbank eingerichtet. "Mädchen arbeiten genauso gerne mit Hammer, Säge und Bohrmaschine wie die Buben in der Puppenecke." Der einzige Wermutstropfen bei "meinem Beruf, der für mich Berufung ist", ist der schlechte Verdienst, "der mich manchmal richtig ärgert". Doch ein Berufswechsel aus finanziellen Erwägungen kommt für ihn nicht infrage.


Nach drei Jahren ausgestiegen

Da sich das Studium der Technischen Physik als "spannend, aber sehr schwer" herausstellte, besann sich Harald Marx auf seinen ursprünglichen Berufswunsch, "mit kleinen Menschen zu arbeiten". Aber nicht in den festgefahrenen Strukturen der Schule, sondern im seiner Meinung nach offeneren Kindergartenbereich.

Im ersten geschlechtersensiblen Kindergarten Österreichs in Wien begann er nach der Ausbildung, "sehr gleichberechtigt" in einem Team mit neun Kindergartenpädagoginnen zu arbeiten. Der einzige Mann unter lauter Frauen zu sein, war er von seiner Ausbildungszeit her gewohnt, "in der nur das Lehrpersonal mehrheitlich männlich war". Was Männer oder Frauen besser können, hängt seiner Meinung nach nicht vom Geschlecht, sondern von der Persönlichkeit und Begabung eines Menschen ab.

Harald Marx wurde binnen Kurzem zum Liebling der Kindergartenkinder. Doch nach drei Jahren "Schwerarbeit" fühlte er sich ausgebrannt, sah für sich in diesem Beruf keine Weiterentwicklung und keine Zukunftsperspektiven. "Zu wenig Personal, zu wenig Raum, zu große Gruppen haben die Konzentration auf einzelne Kinder nicht zugelassen", sagt der heute 31-Jährige. Abgesehen davon fehlten Harald Marx die Reflexion und der Austausch mit Männern. "Zumindest ein Kollege hätte mir sehr gutgetan."


Männer vor

In Österreich liegt der Anteil von Männern am Kindergartenpersonal weit unter dem EU-Durchschnitt, nämlich bei unter einem Prozent. In Norwegen hingegen bei neun Prozent, bei Natur- und Outdoor-Kindergärten bereits bei 19 Prozent.

In Zahlen ausgedrückt, ist die Rede von rund 250 Männern, die derzeit in österreichischen Kindergärten tätig sind. Diese Zahl stagniert seit fast dreißig Jahren, während sich das weibliche Kindergartenpersonal im selben Zeitraum von 13.000 auf rund 26.000 verdoppelt hat.

Von den 250 Kindergartenpädagogen arbeitet fast die Hälfte in Wien. "Dieser überproportional hohe Anteil könnte einerseits im Zusammenhang mit der zunehmenden Auflösung der traditionellen Geschlechterrollen in der Großstadt stehen und andererseits mit dem relativ hohen Anteil von selbstverwalteten Kindergruppen", vermutet Mag. Bernhard Koch vom Institut für Erziehungswissenschaften in Innsbruck. "Vereine sind meist weniger hierarchisiert und versuchen häufiger reformpädagogische Konzepte umzusetzen."

Am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck läuft bis zum Jahr 2010 das Forschungsprojekt "elementar - Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern" mit dem Ziel, konkrete Antworten auf Fragen zu finden wie: Welche Männer lassen sich zu Kindergärtnern ausbilden? Gibt es eine spezifisch "männliche" Art der pädagogischen Arbeit mit Kindern? Was muss getan werden, um den Anteil männlicher Fachkräfte in der Betreuung, Erziehung und Bildung kleiner Kinder zu erhöhen?


Andere Angebote in Sachen Ausbildung

"Männer in Betreuungseinrichtungen brauchen ein erweitertes Berufsprofil", ist Tim Rothmann, Mitarbeiter des Forschungsprojektes und profilierter Kenner des Bereichs "Männer im Kindergarten" im deutschsprachigen Raum, überzeugt. "Wie Erfahrungen aus Dänemark, Norwegen und Schottland zeigen, lässt sich der Anteil männlicher Pädagogen steigern, wenn Ausbildungsgänge geöffnet und die Kindergartenpädagogik mehr an Interessen und Bedürfnissen von Burschen und Männern ausgerichtet werden." Vermehrte Angebote in der Ausbildung aus den Bereichen Sport/Körper/Bewegung und Natur haben in Dänemark, Norwegen und Schottland erfolgreich mehr Männer angesprochen.

"Mit der Anhebung der Ausbildung auf Hochschulniveau ist die Hoffnung verknüpft. dass mehr Männer ihrem beruflichen Interesse, mit Kindern zu arbeiten, nachgehen können und eine entsprechende Ausbildung beginnen", führt Mag. Bernhard Koch weiter aus. Diese Aufwertung der Ausbildung ist bereits von allen österreichischen Parlamentsparteien beschlossen worden. Die Realisierung soll in dieser Legislaturperiode erfolgen.


Echte "Weicheier" oder "richtige" Männer?

Im Rahmen des Innsbrucker Forschungsprojektes wurden im Dezember 2008 über 500 österreichische Schülerinnen und Schüler aus Hauptschulen und Gymnasien zum Thema "Männer im Kindergarten" befragt. "Fast ein Viertel der befragten Burschen zeigte sich grundsätzlich sehr interessiert bis interessiert an einer Arbeit in einem Kindergarten oder Hort." Bernhard Koch betont die Meinung von zwei Dritteln der Burschen und 81 Prozent der Mädchen, "dass männliche Pädagogen wichtig für Kinder sind". Für immerhin 45 Prozent der Burschen sind Männer im Kindergarten "richtige Männer, die sich was trauen".

Woran liegt es dann, dass nur 250 Kindergartenpädagogen übrig bleiben, obwohl Männer in diesem Beruf bei Kindergartenpädagoginnen und Eltern weitgehend willkommen sind? "Es hat zum einen mit der Ausbildung und dem niedrigen Profil der Tätigkeit, zum anderen mit dem niedrigen Gehalt und den geringen Aufstiegsmöglichkeiten zu tun", erklärt der Erziehungswissenschaftler Koch.


Im beruflichen Alltag

"Wir haben gehört, bei Ihnen arbeiten zwei Männer im Kindergarten." An dieses neugierige Interesse von Eltern ist Katharina Bauer, Leiterin des Linzer Übungskindergartens, gewöhnt. Doch das war nicht immer so. Im Jahr 2000, als Franz Rosenthaler seine Arbeit mit den Kindern begonnen hatte, überwogen zuerst Skepsis und Ressentiments unter den Eltern. "'Ich will nicht, dass ein Mann mein Kind angreift', erklärte mir die eine oder andere Mutter als Reaktion darauf, dass Franz die Kinder beim Mittagessen und in die anschließende Ruhephase begleiten sollte." Doch diese Ängste erwiesen sich als völlig unbegründet. "Die Kinder sind den beiden Kollegen Franz und Alexander sehr zugetan und genießen ihre Anwesenheit." Ob beim Reparieren eines Fahrzeuges am Bauplatz oder beim Vorlesen, die Kinder wollen überall dabei sein. Katharina Bauer bezeichnet beide Männer als "natürliche Autoritäten", ruhig und klar und - wenn es sein muss - auch sehr bestimmt. "Sie haben andere Spielideen eingebracht, haben vielleicht mehr Risikobereitschaft und trauen Kindern manchmal mehr zu."

Als Bereicherung empfinden auch die sechs Kindergartenpädagoginnen die Kollegen. Katharina Bauer verweist auf eine veränderte Gesprächskultur im Team: "Probleme werden jetzt schneller und direkter angesprochen", und fügt hinzu, dass mehr Humor im beruflichen Alltag Platz bekommen hat.

Franz Rosenthaler und Alexander Hinterleitner erinnern sich noch gut an die ersten Arbeitswochen im Frauenteam. "Da sind wir unter sehr genauer Beobachtung gestanden." Doch selbstbewusst haben sie gezeigt, dass Männer genauso wie Frauen einen Besen in die Hand nehmen, Kindern den Mund abwischen, fürsorglich sein oder Trost spenden können.

Dass Franz Rosenthaler als Mann in einem klassischen Frauenberuf erfolgreiches Vorbild ist, beweist sein jüngerer Sohn Christoph. Der hat nach Schnuppertagen bei seinem Vater mit der Ausbildung zum Kindergartenpädagogen begonnen. Als einer von vier Burschen unter 90 Mädchen.


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Höchste Zeit für mehr Kindergärtner

In Österreich liegt der Anteil von Männern am Kindergartenpersonal weit unter dem EU-Durchschnitt, nämlich bei unter einem Prozent. In Norwegen hingegen bei neun Prozent, bei Natur- und Outdoor-Kindergärten bereits bei 19 Prozent. In Zahlen ausgedrückt, ist die Rede von rund 250 Männern, die derzeit in österreichischen Kindergärten tätig sind. Diese Zahl stagniert seit fast dreißig Jahren, während sich das weibliche Kindergartenpersonal im selben Zeitraum von 13.000 auf rund 26.000 verdoppelt hat. Wo liegen die Gründe dafür?

Die Teilung des österreichischen Arbeitsmarktes in typische "Frauenberufe" und "Männerberufe" ist nahezu unverändert. Gekoppelt mit den gängigen Bildern in den Köpfen von Männern und Frauen: "Männer können das nicht!" "Frauen haben das immer schon gemacht!" Weder die soziale Anerkennung des Berufs noch die Bezahlung stimmen. Umstände, die letztlich als gesellschaftlich "normal" hingenommen werden.

Die Forderung nach besseren Ausbildungschancen gibt es seit Jahren. Eine Aufwertung der Ausbildung wurde bereits von allen österreichischen Parlamentsparteien beschlossen. Die Realisierung soll in dieser Legislaturperiode erfolgen.


Magnete auf zwei Beinen
Welche Erfahrungen haben Eltern mit Kindergärtnern?

Heidi Vitéz, Mutter von zwei Kindern:

Was mich ganz besonders freut, ist, dass der Unterschied zwischen Mädchen und Buben nicht gelebt wird. Ich habe den Eindruck, dass die Kinder die Möglichkeit haben, chancengleich in das Leben zu starten. "Das kann ein Mädchen nicht", gibt es hier nicht. - "Das ist nichts für Buben" ebenso wenig. Mein Sohn Florian hat durch die gemischte Betreuung - durch weibliche und männliche Pädagogen - profitiert. Schade finde ich, dass nur sehr, sehr wenige Männer diesen Beruf ergreifen. Ich habe nie bereut, diesen Kindergarten gewählt zu haben. Was mich für eine geschlechtergerechte Betreuung und Erziehung zuversichtlich stimmt: Ich sehe immer wieder junge Männer in Ausbildung in "unserem" Kindergarten Praxis machen.


Marianne Gattringer, Mutter von Zwillingen:

Gerade als Alleinerzieherin kann ich von Glück sprechen, dass meinen Kindern die Freude zuteil wurde, in der, wie es oft heißt, prägenden Zeit bis sechs Jahre die liebevolle Begleitung durch Männer - in einem leider frauendominierten Beruf - zu erleben. Schade, dass nicht mehr Männer den Beruf des Kindergärtners, Horterziehers, Volksschullehrers ergreifen. Ich glaube, dass Männer in Frauenberufen genauso wie Frauen in Männerberufen mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Da wäre es an der Zeit, gesellschaftspolitisch etwas zu tun und das Image des Kindergärtners, Horterziehers, Lehrers etc. aufzubessern und die Vorzüge für die Kinder und die Gesellschaft durch entsprechendes Lobbying zu unterstützen.


Details zum Forschungsprojekt "elementar - Männer in der pädagogischen Arbeit mit Kindern" an der Universität Innsbruck sind unter www.uibk.ac.at/ezwi/elementar zu finden.


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 6/2009, Seite 4-9
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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Die "welt der frau" erscheint monatlich.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2009