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BERICHT/034: Konferenz - Lehrer sollen Menschenrechtsbildung lernen (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 16 vom 15. Oktober 2013

Lehrer sollen Menschenrechtsbildung lernen
Internationale Konferenz über Kinderrechte

Von Dagmar Möbius



An der Universität Potsdam fand Anfang Oktober eine internationale Konferenz über Kinderrechte und die Qualität pädagogischer Beziehungen statt. Auf der mit 400 Teilnehmern ausgebuchten Veranstaltung wurden aktuelle Forschungsergebnisse diskutiert und Konzepte zum Abbau psychischer Verletzungen vorgestellt.

Die Spannbreite zwischen wertschätzendem Lob und "Du bist so dumm" ist groß. Wissenschaftlich spricht man von "inkludierend-anerkennenden und exkludierend-verletzenden professionellen Handlungsmustern". Aber wie können Pädagogen in Schulen, Kindertageseinrichtungen und außerschulischen Bildungsbereichen professionell handeln? Die Universität Potsdam, das Deutsche Institut für Menschenrechte, das Deutsche Jugendinstitut, das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung und weitere Akteure organisierten die in dieser Form erste Konferenz.

"Nicht das Vermitteln von Wissen steht im Vordergrund, sondern das Herausfinden, was ein Kind im Leben möchte", umriss Professorin Beate Rudolf vom Deutschen Institut für Menschenrechte. "Der kognitive Lernprozess hängt auch vom emotionalen Lernprozess ab", ergänzte Annedore Prengel, emeritierte Professorin und Gründerin des Projektnetzes INTAKT (Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern). "Die Forschung hat gezeigt, dass die Beschämung von Kindern zu schlechten Lernergebnissen führt." Professor Bernhard Kalicki vom Deutschen Jugendinstitut München begründet: "Säuglinge und Kleinkinder lernen im Dialog. Ein verängstigtes Kind lernt nicht, es öffnet sich nicht." Er plädiert für Autonomieförderung.

Die Qualität von Bildung hänge entscheidend von der fachlichen und der sozialen Qualität der Lehrer ab. Letztere bliebe häufig im Dunkeln. Das heißt, Erwachsene merken häufig nicht, wenn sie verletzen. Nach einer Erhebung im Rahmen des anerkennungstheoretisch fundierten Potsdamer INTAKT-Projektes mit über 15.000 Interaktionsszenen waren bei etwa einem Viertel der Lehrer verletzende Interaktionen zu beobachten, bei sechs Prozent sogar schwer verletzende. "Wir müssen Erwachsene dazu bringen, dass sie das erkennen", fordert die Potsdamer Soziologin Dr. Antje Zapf. "Es kann nicht sein, dass ein Kind mehrmals am Tag missachtet wird." Auch wenn die Beziehungsforschung in den Bildungswissenschaften momentan keine Konjunktur habe, kämen bei der Suche hochaktuelle Erkenntnisse ans Licht. "Wir wissen, dass funktionale Analphabeten tief gekränkte Menschen sind, die keinen Zugang mehr zum Lernen finden", so Annedore Prengel. Allerdings beginnen Betroffene im späteren Leben wieder zu lernen, wenn sie gesellschaftliche Teilhabe fühlen. "Wenn sie gebraucht werden wie jemand, der pflegt und vorlesen will", veranschaulichte Joachim Ludwig, Professor für Erwachsenenbildung/Weiterbildung und Medienpädagogik an der Universität Potsdam.

Im Fokus der Konferenz standen Bildungsinstitutionen. "Tür an Tür kommen anerkennende und verletzende Interaktionen vor", wissen die Experten. Um die Situation zu verbessern, müssten gesellschaftliche Normen auf Basis der Kinderrechte formuliert und Verfahren wie Beschwerdestellen oder Ombudspersonen institutionalisiert werden. Doch Kinderrechte wie Schützen, Fördern, Beteiligen sind in Deutschland immer noch viel zu unbekannt. Nur ein Drittel der Eltern hat davon gehört. "Wir stehen schlechter da als Rumänien", monierte Ursula Winkelhofer vom Münchener Jugendinstitut. In Lehrplänen sei das Thema nicht vorhanden. "Die Lehrerbildung gehört reformiert", forderte Joachim Ludwig und regt eine obligatorische Lehrerweiterbildung, ähnlich wie für Mediziner, an. "Menschenrechtsbildung für Lehrer muss Inhalt des Lehrplans sein", unterstreicht Beate Rudolf. Am aktuellen Burkini-Beispiel erläuterte sie, was ein Lehrer in so einem Fall tun soll, auch wenn er es selbst nicht verstehen kann. Studien gehen davon aus, dass etwa 20 Prozent aller Kinder unter benachteiligten Bedingungen aufwachsen. Doch Pädagogen reagieren besser auf aufgeschlossene und kommunikative Kinder. Das bedeute: "Das gleiche Recht auf Bildung ist in Deutschland nicht gesichert."

Einen bemerkenswerten Ansatz stellte Yvonne Bezerra de Mello aus Rio de Janeiro vor. Die von ihr entwickelte und anerkannte Methode der Uerê-Mello-Pädagogik wird bereits in über 200 Schulen Brasiliens angewendet. Mit ihr erfahren Kinder, bei denen Gewalt, Ausgrenzung und wiederholte Traumata zu Lernbehinderungen geführt haben, Lernerfolge und üben den Umgang mit schmerzhaften Gefühlen.

Weitere Informationen:
http://paed-beziehung-2013.com

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 24. Jg., Nr. 16 vom 15.10.2013, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2013