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BUCHTIP/154: Kinder mögen Zwanzigeins - zur Zahlensprechweise (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 24.04.2008

Kinder mögen Zwanzigeins: RUB-Mathematiker veröffentlicht erste Bilanz

Fakten, Argumente und Meinungen zur Zahlensprechweise


"Das ist halt so." Mit diesem Argument und dem Hinweis darauf, dass die Deutschen die Zahlen schon immer verdreht ausgesprochen haben, gibt sich der Verein "Zwanzigeins" nicht zufrieden. Mit dem soeben erschienenen gleichnamigen Buch legt Vereinsgründer und Herausgeber Prof. Lothar Gerritzen, emeritierter Mathematik-Professor der RUB, ein umfangreiches und vielschichtiges Plädoyer für die unverdrehte Zahlensprechweise vor. Die zusammengestellten Fakten, Argumente und Meinungen zeigen zum Beispiel, dass Kinder entsprechende Schulversuche "klasse" finden, dass andere Länder wie Norwegen ihre Zahlenaussprache erfolgreich reformiert haben und dass die verdrehte Sprechweise im Deutschen Fehler verursacht und wirtschaftlichen Schaden anrichtet.

Eine deutsche "Eigenheit"

Die "deutsche Eigenheit", Zahlen zwischen 13 und 99 anders zu sprechen als zu schreiben, geht auf das Indogermanische zurück und ist über 4.000 Jahre alt. Damals gab es einfache Schriftzeichen - für jeden Einer einen Strich, für jeden Zehner ein Kreuz, die Einer standen vorne. Die Zahl 13 sah so aus: IIIX. Und sie wurde folgerichtig als "drei-zehn" ausgesprochen. Mit dem Siegeszug der arabischen Ziffern in Europa setzte sich auch im indogermanischen Sprachraum die "verdrehte" Schreibweise durch, nun standen die Zehner vorne. Dem Althochdeutschen bzw. Deutschen verwandte Sprachen änderten im Laufe der Zeit ihre Zahlensprechweise, die Engländer zum Beispiel um 1600, die Norweger erst vor gut 50 Jahren.

Probleme, Dreher, Missverständnisse

Das Buch geht nicht nur auf diese Beispiele ein, sondern beleuchtet das Thema von verschiedenen Seiten. So kommen etwa ausländische Mitbürger zu Wort, die über ihre Schwierigkeiten berichten, die deutsche Zahlenschreib- und -sprechweise zu lernen; eine Dolmetscherin erläutert die Probleme beim simultanen Übersetzen von Zahlen. Andere, teils sehr persönliche Beiträge von Gastautoren erzählen z. B. von "erlebten Missverständnissen aufgrund verdrehter Zahlensprechweise" (RUB-Altrektor Prof. Knut Ipsen).

Empirische Schulversuche

Besonderes Augenmerk legt der Band auf empirische Schulversuche und Erfahrungen aus dem Unterricht. Die RUB-Absolventen Oliver Artmann und Martin Jäger fassen die Ergebnisse ihrer Diplomarbeiten zusammen: Demnach machen Grundschulkinder deutlich weniger Fehler, wenn zum Beispiel Zahlen in der unverdrehten Sprechweise diktiert werden, während bei verdrehter Sprechweise signifikant mehr "Inversionsfehler" auftreten - vor allem im zweiten Schuljahr. Auch bei einfachen Additionsaufgaben schleichen sich häufig Fehler ein, wenn die Kinder Zwischenergebnisse verdreht aufschreiben, also etwa 61 als Zwischensumme für das gedachte (gesprochene) "sechzehn", berichtet Maria Ammareller aus ihrer Zeit als Referendarin an der Bochumer Waldschule. "Die Art, wie an deutschsprachigen Schulen die Zahlensprechweise unterrichtet wird, ist antiquiert und dogmatisch", sagt Herausgeber Prof. Gerritzen. "Wenn ein Kind die Frage stellt, wieso Zahlen von hinten nach vorne gelesen werden, erhält es keine sachgerechte Antwort. Die Lehrkräfte haben in ihrer Ausbildung dazu nichts vermittelt bekommen und sind im Stich gelassen."

Eine 100 Jahre alte Diskussion

Die Diskussion um die deutsche Zahlensprechweise ist nicht neu: Bereits im Jahr 1900 hat der damalige Direktor der Sternwarte Berlin, Wilhelm Förster, eine entsprechende Reform vorgeschlagen und auf Missstände im Zählungs- und Rechnungsverkehr hingewiesen, die durch die Aussprache verursacht werden. 1953 veröffentlichte Prof. Martin Schellenberger das Buch "Zahlwort und Schriftbild" und forderte darin, die Zahlensprechweise an das Schriftbild der Zahl anzugleichen. Im Jahr 2004 gründete Prof. Dr. Lothar Gerritzen (Fakultät für Mathematik der RUB) den Verein "Zwanzigeins": Mit bisher drei öffentlichen Vortragsveranstaltungen und dem nun vorliegenden Buch hat der Bochumer Mathematiker diese alte Diskussion wieder aufgegriffen und belebt.

Lothar Gerritzen (Hg.):
Zwanzigeins. Für die unverdrehte Zahlensprechweise.
Fakten, Argumente, Meinungen.
Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum 2008, 166 S.
14,90 Euro, ISBN: 978-3-8196-0701-1

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 24.04.2008
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. April 2008