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FORSCHUNG/017: Wißbegier befriedigen - Lernen im Museum (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 2/2007

Wissbegier befriedigen - Lernen im Museum
Im Rahmen des "Pakts für Forschung und Innovation" testen Tübinger, Kieler und Münchner Forscher die Wirkung von Exponaten in Museen

Von Ulrich Schmitz


Wie muss man ein Exponat darstellen, damit die Besucher eines Museums möglichst viel über das Objekt und seinen Kontext erfahren - und das Gelernte hinterher sogar behalten? Das Projekt, das Antworten auf diese Frage geben will, heißt "Lernen im Museum. Die Rolle von Medien für die Resituierung von Exponaten". Unter Federführung des Instituts für Wissensmedien (IWM), Tübingen, gehen die Psychologen, Pädagogen sowie Kommunikations- und Museumswissenschaftler dabei insbesondere der Frage nach, wie moderne Medien - vom Computer bis zur virtuellen Realität - diesen Lernprozess unterstützen können. Mit von der Partie des mit 1,4 Millionen Euro geförderten Projekts sind das Deutsche Museum, München, und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel.


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Das Museum ist ein informeller Lernort. Hier geht man freiwillig hin, bezahlt sogar Eintritt und bringt die Neugier gleich mit - ideale Bedingungen also zum Lernen, sollte man meinen. Und hier kann man nahezu alles sehen: etwa drei Fotoapparate aus unterschiedlichen Epochen der Entwicklung in einer Glasvitrine, den dicken Kasten mit Magnesiumblitz, den man aus Westernfilmen kennt, oder die Rollfilmkamera mit dem Ziehharmonikaobjektiv der fünfziger Jahre oder eine der ersten digitalen Serien-Kameras von Ende der Achtziger Jahre. Der Besucher sieht: Aha, die Dinger werden mit der Zeit immer kleiner. Doch sieht er auch den Kontext? Begreift er gar die Geschichte und die Entwicklung, wenn er vor einer solchen Vitrine steht? Weiß er, was der Schritt von analog zu digital bedeutet? Ja, kommt er überhaupt auf die Idee, sich - oder einem technischen System wie einem Touch-Screen - eine solche Frage zu stellen?

Dabei wird das Lernen schwieriger, die Themen werden komplexen. Beispiel Nanotechnologie: "Die Technik des 19. Jahrhunderts war allein durch ihre Größe beeindruckend, sichtbar und anschaulich - das macht zum Beispiel ein Besuch der Halle mit den Kraftmaschinen im Deutschen Museum unmittelbar augenfällig", erinnert Prof. Dr. Stephan Schwan, gemeinsam mit IWM-Leiter Prof. Dr. Dr. Friedrich W. Hesse einer der beiden Initiatoren des Projekts. "Heutige Technologien streben dagegen immer mehr hin zur Miniaturisierung und versuchen, sich zunehmend unsichtbar zu machen; man denke eben an die Nanotechnologie oder an Pervasive Computing." Ein Nanometer ist ein Milliardstel Meter (10-9 m). Wie winzig klein das ist, wird daran deutlich, dass der Durchmesser eines Haares im Vergleich dazu etwa 50.000-mal größer ist. Die vielfältigen und weit reichenden Möglichkeiten dieser neuartigen Technologie wecken Hoffnungen, rufen aber auch Unsicherheiten und Ängste hervor. Am Deutschen Museum beispielsweise, im neu gegründeten "Zentrum Neue Technologien", bildet "Nano" ein Schwerpunktthema für die kommenden Jahre. Teil dieses Schwerpunkts ist eine sogenannte Medien- oder Dialogstation, die versucht, dem Museumsbesucher und Betrachter möglichst viele kontextuelle Informationen zum Thema zu vermitteln, damit er Nanotechnologie nicht nur versteht, sondern sich auch dazu eine Meinung bilden kann. Unter dem Stichwort "Nanovisionen" werden divergente Meinungen von Betroffenen, Fachexperten und Laien zu diesen Themen wiedergegeben, die Besucher zur Auseinandersetzung anregen sollen.

"Zum Thema Lernen im Museum arbeiten wir empirisch sowohl im Feld als auch experimentell", erläutert Dr. Carmen Zahn, Co-Projektleiterin im Institut für Wissensmedien. "Außer den Datenerhebungen in realen Ausstellungssettings haben wir am IWM dazu ein 'Labormuseum' eingerichtet, um Variablen genau kontrollieren und detaillierte Beobachtungen bei den Besuchern machen zu können." Dazu wurde dem IWM die Ausstellung Nanodialog des Deutschen Museums zur Verfügung gestellt, zu der am IWM bereits für eine Voruntersuchung eine korrespondierende, virtuelle Ausstellung entwickelt wurde. In dieser Testumgebung am IWM ging es sowohl um die Erfassung von Daten, über welche die Besucher selbst Auskunft geben können - zum Beispiel Fragebogenerhebungen sowie Wissenstests -, aber auch genauere Prozessdaten, die über das hinausgehen, was die Besucher selbst reflektieren können oder was ein menschlicher Beobachter erfassen könnte: "Wir testen etwa 'User-tracking-Methoden' zum Beispiel mit kontext-sensitiven persönlichen digitalen Assistenten (PDAs), denken aber auch an Audio- und Videoaufnahmen, an Mobile-eye-tracking-Daten, also die Blickbewegungsmessung, und Biofeed-back-Daten, zum Beispiel Hautwiderstands- und Pulsfrequenzmessungen."

Wenn demnächst Besucher des Deutschen Museums in München jemanden vor einer Vitrine stehen sehen, der laut vor sich hinmurmelt, dann haben sie es nicht mit einem vereinsamten Single, sondern mit einem besonderen Tester zu tun: Diplompädagogin Gun-Brit Thoma vom Kieler IPN oder eine ihrer Kolleginnen wird unauffällig an seiner Seite sein und sich notieren, was der Betrachter der Vitrine gerade laut denkt. Auf die Kernfrage "Wie wirken Objekte?" kann man letztlich nur Antworten finden, wenn man die Leute im Museum fragt oder beobachtet. Beides ist in dem Projekt "Lernen im Museum" geplant. Die Kieler steuern einen von ihnen entwickelten Videographen bei, mit dem sich Bewegungs- und damit auch Aufmerksamkeitsmuster von Personen aufzeichnen lassen.

Eine erste Bestandsaufnahme der Forscher hat bereits ergeben, dass es bei der musealen Präsentation wahrlich nicht an Phantasie mangelt: So untersuchen und gestalten die Forscher am Deutschen Museum in München derzeit eine Medienstation in der Nanotechnologie-Ausstellung, in der ein dreidimensionales Display zum Einsatz kommen soll. Es erlaubt, Animationen im Sinne eines Wechselbildes zu zeigen, und bietet dabei die Möglichkeit, zeitgleich zwei verschiedene Moleküldarstellungen zu präsentieren. Im Deutschen Auswandererhaus, Bremerhaven, gibt es die iCard: eine Eintrittskarte mit RFID-Chip, die Zugang zu bestimmten Informationen steuert. RFID steht für Radiofrequenz-Identifikation; das sind neuartige Funketiketten, die Daten enthalten, die sich an sogenannte Transpondern auslesen lassen. Lernen im Museum auch im benachbarten Deutschen Schifffahrtsmuseum, Bremerhaven: Hier sorgt ein Videofilm, synchronisiert mit dem mechanischem Modell einer Tauchkapsel, für ein echtes Tiefenerlebnis. Berichtet wird von einem historisch einmaligen Ereignis im Jahre 1960: dem einzigen Tauchgang von Menschen zur tiefsten Stelle der Ozeane bei mehr als 11.000 Metern. Diese spektakuläre Aktion der amerikanischen Marine war die Antwort auf den Sputnik-Erfolg der Sowjetunion von 1957. Die technologische Grundlage bildete der sogenannte Bathyskaph "Trieste", eine Entwicklung des Schweizer Professors Auguste Piccard. Sein Sohn Jacques und der amerikanische Marineleutnant Don Walsh steuerten das Gefährt. Durch den Film und die Animation fahren die Besucher quasi selbst zum Meeresboden. Sie sind über Bild und Ton hautnah dabei und erleben die Dramatik des Geschehens aus Sicht der beiden Piloten. An Technik werden Video auf DVD und Plasma-Display eingesetzt. Der Start der multimedialen Präsentation erfolgt durch die Besucher.

Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang auch gerne von Cybermedia: Die zentrale Herausforderung ist, die Gestaltungsmöglichkeiten so einzusetzen, dass die Lernenden zu einer reflektierten und elaborierten Auseinandersetzung mit den Lerninhalten angeregt werden und dadurch der Wissenserwerb verbessert wird. Eine der Kernfragen lautet: Welche Auswirkungen haben wir von der Kontextualisierung von Ausstellungen durch digitale Medien in Bezug auf die Kommunikationssituation, das Besucherverhalten und kognitive Prozesse zu erwarten? So ist denn auch die "Fahrt" mit der Trieste-Tauchkapsel ein klassischer Fall von jener "Resituierung", von der im Projekt die Rede ist: Der Besucher wird - medial - in die Situation der legendären Tauchfahrt von 1960 zurückversetzt.


Wie wirken Exponate auf Besucher?

Laut Beschluss der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) erhielt das Institut für Wissensmedien (IWM) in Tübingen rund 1,4 Millionen Euro für ein Forschungsprojekt zum Lernen im Museum. Das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren und wird vom IWM koordiniert. Mitantragsteller waren das Deutsche Museum in München und das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel, mit denen das IWM eng zusammenarbeitet. Das Projekt ist eines von bislang nur vier Großvorhaben, die in der ersten Runde des Pakts für Forschung und Innovation gefördert werden. Erstmals erhalten damit die Leibniz-Einrichtungen, zu denen auch das IWM zählt, über die Grundförderung hinaus Zuwendungen, um die sich die Institutionen im Wettbewerbsverfahren bewerben. Der Pakt wurde als Gegenstück der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern beschlossen. Während im Rahmen der Exzellenzinitiative die Spitzenuniversitäten gefördert werden, stellt der Pakt für Forschung und Innovation Gelder für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen zur Verfügung. Das Projekt beschäftigt sich mit dem informellen Lernen außerhalb von Schule und Hochschule, speziell dem Lernen im Museum.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2007, Seite 16-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2007