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BERICHT/087: Haarige Ko-Therapeuten (GEHIRN&GEIST)


GEHIRN&GEIST 12/2011
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Mensch-Tier-Beziehung
Haarige Ko-Therapeuten

Von Kurt Kotrschal


Hunde sind treue Gefährten des Menschen - und immer häufiger assistieren sie auch in der Psychotherapie. Ein Team um den Verhaltensforscher Kurt Kotrschal von der Universität Wien fand heraus: In Gegenwart der Vierbeiner gewinnen vor allem verschlossene Kinder leichter Vertrauen.


Eines Tages kam es in der Praxis des Kinderpsychologen Boris Levinson zu einer überraschenden Begegnung: Einer seiner Patienten - ein neunjähriger, extrem verschlossener Junge, der mit niemandem sprach - war zu früh zum Termin erschienen und traf in Levinsons Praxis dessen Hund Jingles. Sofort begann der Junge enthusiastisch mit dem Tier zu reden und zeigte sich auch im Verlauf der folgenden Sitzung ungewohnt offen und vertrauensvoll. Der Therapeut nahm den Golden Retriever von da an häufiger mit zur Arbeit. In seiner Publikation »Pet-oriented child psychology« von 1969 berichtet er von der verblüffenden Wirkung des Tiers auf seine jungen Klienten.

Ähnliche Berichte gab es schon vor Levinson. So soll Sigmund Freud seine Chow-Chow-Dame Jofie regelmäßig in Therapiesitzungen mitgenommen haben. Wie er feststellte, wirkte die Anwesenheit des Hundes beruhigend auf seine Patienten.

Dass Menschen emotionale Beziehungen zu Tieren aufnehmen, ist der Evolution geschuldet: Weil unsere Stammesgeschichte kontinuierlich und nicht etwa sprunghaft verlief, teilen wir nicht nur physiologische und kognitive Mechanismen mit Hund und Katz, sondern auch Hirnstrukturen für soziales Verhalten. Außerdem sind Menschen auf Grund ihres langen Jäger-und-Sammler-Daseins »biophil«. Mit diesem Begriff bezeichnete der US-amerikanische Biologe Edward Osborne Wilson bereits in den 1980er Jahren die Neigung des Homo sapiens, mit Tieren zusammenzuleben und ein beinahe instinktives Interesse an der Natur zu zeigen. Wie der Zoologe James Serpell etwa zur selben Zeit vermutete, können Tiere als »Türöffner« zum Unbewussten des Menschen und seinen Emotionen dienen.

Heute existieren viele Therapieformen, die auf die Hilfe von tierischen Kotherapeuten setzen - trotz anfänglicher Spötteleien: Als Levinson 1961 auf einem Kongress von seinen Erkenntnissen berichtete, reagierten die anwesenden Psychologen skeptisch. Doch mit den Jahren kam die »Animal-Assisted Therapy« (tiergestützte Therapie) auch in Österreich und Deutschland immer häufiger zum Einsatz: in psychischen Einrichtungen, in Seniorenheimen, Krankenhäusern und Gefängnissen.

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit der Methode, sind aber noch verhältnismäßig rar. Janelle Nimer und Brad Lundahl von der University of Utah fassten im Jahr 2007 für eine Metaanalyse mehrere Studien zusammen und stellten fest, dass Tiere die Behandlung traumatisierter Patienten unterstützen können.

Würden sich insbesondere Menschen mit Bindungsstörungen (siehe Kasten unten), denen der Umgang mit anderen Personen schwerfällt, Tieren gegenüber leichter öffnen könnten? Auf dieser Überlegung aufbauend, entwickelten Andrea Beetz, Henri Julius und ich eine kürzlich durchgeführte Studie. Wir untersuchten rund 80 Jungen mit unsicherem oder desorganisiertem Bindungsmuster in einer Situation, die mäßigen sozialen Stress hervorruft. Die Kinder waren zwischen sieben und zwölf Jahre alt und hatten größtenteils familiäre Gewalt, Verlust oder Vernachlässigung erfahren.


Streicheln gegen Stress

Nach einer Eingewöhnungsphase baten wir unsere Teilnehmer, in Gegenwart von zwei fremden Erwachsenen eine Geschichte zu Ende zu erzählen und Kopfrechenaufgaben zu lösen. Ein Drittel der Probanden erhielt Unterstützung durch einen freundlichen Erwachsenen. Die anderen Kinder bekamen dagegen Gesellschaft von einem Hund oder einem Stoffhund. Nach dieser Aufgabe durften sich die Teilnehmer eine Weile entspannen. Der Versuch dauerte knapp eine Stunde, und wir nahmen in dieser Zeit jeweils fünf Speichelproben von den Jungen, um die Konzentration des Stresshormons Cortisol zu bestimmen. Wir filmten zudem das gesamte Prozedere und werteten die Aufnahmen später detailliert aus.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Hund, kaum aber der Erwachsene oder der Stoffhund eine Stress mindernde Wirkung hatte. In Anwesenheit des echten Hundes hatten die Jungen abgesehen von einer anfänglichen Aufregung keine erhöhten Cortisolwerte. Auch in der anschließenden Entspannungsphase fanden wir bei dieser Gruppe wesentlich geringere Konzentrationen des Botenstoffs als bei den anderen Kindern.

Entscheidend war dabei das Ausmaß, in dem sich die Kinder mit dem Tier beschäftigten: Besonders entspannt waren die Probanden, die intensiv mit dem Tier sprachen oder es streichelten. Diesen starken Effekt hatte der Hund aber nur auf die unsicher oder desorganisiert gebundenen Jungen. Eine Kontrollgruppe sicher gebundener Kinder zeigte die größte Stresshormondämpfung im Beisein des Erwachsenen.

Offenbar können Hunde Menschen bei Stress ähnlich emotional unterstützen wie andere Personen. Bei Kindern mit Bindungsstörungen kann der Vierbeiner sogar effektiver Vertrauen schaffen als ein Erwachsener! In dieser Erkenntnis steckt ein erhebliches therapeutisches Potenzial. So könnten Hunde den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Therapeut und Patient beschleunigen. Der Einsatz der Vierbeiner wäre sowohl aus psychologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll, da er die Dauer der Therapie verkürzen könnte.

Dies gilt zudem wohl nicht nur für Kinder. Auch vielen erwachsenen Patienten fällt es leichter, sich im Beisein eines Hundes zu öffnen, wie etwa zwei jüngere Studien von Forschern der Berliner Charité zeigen. Die Wissenschaftler um Undine Lang ließen Patienten mit schwerer Depression eine halbe Stunde lang über ihre Erfahrungen mit Tieren und ihre Beziehung zu Hunden erzählen. Bei der Hälfte der Patienten befand sich dabei tatsächlich ein Hund im Raum.

Nach den 30 Minuten hatten sich in dieser Gruppe Angst und Stress deutlich verringert, während sich bei den Probanden ohne Beisein des Tiers kaum eine Veränderung zeigte. Ein Jahr später wiederholte das Team der Charité diese Untersuchung mit Schizophreniepatienten und kam zum selben Ergebnis: Waren Tiere anwesend, so milderte das die Angst der Betroffenen und trug merklich zu deren Entspannung bei.

All das spricht dafür, dass Sigmund Freud und Boris Levinson mit ihrer Tierliebe gar nicht so falschlagen. Was sie zu ihrer Zeit bereits ahnten, scheint sich heute mehr und mehr zu bestätigen. So sollten Forscher tiergestützte Verfahren weiter intensiv untersuchen, damit sich die Methode möglicherweise als eigenständige Therapieform etablieren kann.


Typische Bindungsmuster nach John Bowlby

In den 1950er Jahren begründete der britische Kinderarzt John Bowlby (19070) seine Bindungstheorie, die sich mit engen menschlichen Beziehungen beschäftigt. In den folgenden Jahren arbeitete Bowlby mit der Psychologin Mary Ainsworth zusammen und entwickelte die Theorie mit ihr gemeinsam weiter. Durch ein verlässliches frühes Betreuungsverhältnis entwickeln Kinder gewöhnlich ein »sicheres« Bindungsmuster. Sie sind von Anfang an daran gewöhnt, Vertrauen zu anderen Menschen zu entwickeln. So fällt es ihnen relativ leicht, neue Beziehungen aufzubauen und durch Sozialkontakt und körperliche Nähe emotionale Unterstützung zu erfahren.

Ist die Betreuung durch die erste Bindungsperson dagegen unzuverlässig oder distanziert, kann das zu einem »unsicheren« beziehungsweise »desorganisierten« Bindungsmuster führen. Dieses wird anschließend auf weitere Bezugspersonen und Partner angewandt. Einen Zugang zu unsicher oder desorganisiert gebundenen Kindern zu finden, ist für Pädagogen und Therapeuten daher schwierig. Offensichtlich übertragen Kinder ihr Bindungs verhalten aber nicht in gleicher Form auf Tiere. Daher ist es ihnen möglich, beispielsweise zu Hunden eine unbelastete und vertrauensvolle Beziehung einzugehen.


Kurt Kotrschal ist Universitätsprofessor für Verhaltensbiologie an der Universität Wien.


QUELLEN

Beetz, A. et al.: The Effect of Social Support by a Dog in Insecurely Attached Children: An Exploratory Study. In: Anthrozoös 2011 (im Druck)

Kotrschal, K.: Die evolutionäre Theorie der Mensch-Tier-Beziehung. In: Otterstedt, C., Rosenberger, M. (Hg.): Gefährten - Konkurrenten - Verwandte. Die Mensch-Tier-Beziehung im wissenschaftlichen Diskurs. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009

Lang, E.et al.: Reduced Anxiety during Dog Assisted Interviews in Acute Schizophrenic Patients. In: European Journal of Integrative Medicine 2, S. 123, 2010

Weitere Quellen im Internet: www.gehirn-und-geist.de/artikel/1127054


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

FLAUSCHIGE BEZIEHUNGSHILFE
Emotional gehemmte Kinder können sich einem Hund oft leichter öffnen als einem Erwachsenen.

ABSOLUT GELASSEN
Auch auf Erwachsene kann die Nähe eines Vierbeiners beruhigend wirken - wie Redakionshund Cooper dem G&G-Team schon manches Mal bewies.


© 2011 Kurt Kotrschal, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
GEHIRN&GEIST 12/2011, Seite 24 - 26
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
Redaktion und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Dezember 2011