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FORSCHUNG/091: Bindungen sind ungeheuer wichtig (welt der frau)


welt der frau 2/2007 - Die österreichische Frauenzeitschrift

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Bindungen sind für die Entwicklung eines Menschen ungeheuer wichtig.
Die Forscherin Karin Grossmann plädiert vor allem für verlässliche Bindungen für Kinder.

Von Christina Gastager-Repolust


Wie Bindung entsteht

"Die Wurzeln der Fähigkeit, liebevolle Bindungen aufzubauen, liegen zum einen im 'vorprogrammierten' Bindungsbedürfnis des Säuglings an eine fürsorgliche Mutter, zweitens in der Bereitschaft des Vaters, seinem Kleinkind Unterstützung und angemessene Herausforderungen zu gewähren, und drittens in der Fähigkeit des Menschen, über Beziehungen zu reflektieren, zu sprechen und die Sichtweise des anderen einzunehmen."


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"Bindungen gehören zur Natur des Menschen. Sie sind ein grundlegendes Organisationsprinzip seiner emotionalen, kognitiven und sozialen Entwicklung", gelassen spricht Karin Grossmann eine große Wahrheit aus. Dieser Wahrheit war sie mit ihrem Mann über 30 Jahre lang in unterschiedlichen Kulturen auf der Spur. Karin Grossmann und Klaus Grossmann haben in dieser Zeit über 100 Kinder von der Geburt bis heute begleitet. "Ob es gelingt, eine sichere Bindung zu entwickeln, hängt zunächst von der Qualität der Erfahrungen mit Mutter und Vater ab. Wer hier positive Erfahrungen gemacht hat, ist bereit, selbst vertrauensvolle, liebevolle und verlässliche Bindungen einzugehen", erläutert Karin Grossmann, Dr.in phil. und Diplom-Psychologin, die Bedeutung positiver Bindungserfahrungen in den ersten Lebensjahren. Gut für alle, die eine fürsorgliche Bezugsperson hatten, hoffnungslos für alle, deren Nöte nicht mit Liebe beantwortet wurden? Karin Grossmann beschreibt die Idealsituation: "Die körperliche Hilflosigkeit eines Babys erfordert eine umsichtige Fürsorge. Es schreit, verliert seine innere Ausgeglichenheit. - Hat es Hunger, ist es nass, hat es Schmerzen? Wenn hier Eltern prompt und angemessen reagieren, hat das Baby seine erste Lektion in Sicherheit und Liebe gelernt."

Selbstwahrnehmung durch Erfahrung

Wenn die Bezugspersonen hingegen kühl auf ihr Kind reagieren - korrekte Versorgung ersetzt hier die liebevolle Zuwendung -, bindet sich das Kind zwar trotzdem, aber seine Lektion heißt: "Liebe ist kalt." "Wenn das Kind später in der Schule eine einfühlsame Lehrkraft hat, die ihm liebevoll und aufmerksam begegnet, dann kann es aufgrund dieser neuen Erfahrung noch ein anderes Gleis entwickeln. Vielleicht erfährt es von Freunden, dass man einander in der Schwäche beisteht. Das ist wieder eine neue Erfahrung, die zu Veränderungen in der Selbstwahrnehmung führen kann", erläutert Karin Grossmann weitere Wege zu gelingenden Bindungen. Wohl bahnen frühe Einflüsse den Weg in positiver, d. h. seelisch gesunder, sowie in seelisch beeinträchtigender Richtung, "aber sie legen noch nichts fest". Sie will keine Schwarz-Weiß-Skizzen erstellen, sondern spricht von einem Mehr oder Weniger an Sicherheit und Unsicherheit über viele Situationen des Lebens hinweg.

Gemischtaltrige Kindergruppen

"Die Bindungsforschung untersucht, wie Kinder ihre frühen Bindungserfahrungen verinnerlichen, welche Auswirkungen sie in der Folge auf die Organisation der Gefühle, der Ziele und des Verhaltens haben", beschreibt sie ihr Forschungsgebiet. Die Frage nach Kinderbetreuungsmodellen stellt sich automatisch, Grossmann antwortet mit einem Lächeln: "Kinder wissen sehr wohl, dass sie von ihren Eltern am Nachmittag, am Abend wieder geholt werden: Sie wissen auch, wo sie ihren Abend, das Wochenende verbringen. Das sind ja keine verlassenen Kinder. Ich bedaure aber, dass zahlreiche Kindergruppen nicht altersgemischt sind. Kinder lernen gerne von Älteren, auch im Bereich der behutsamen Fürsorge für Kleinere und Schwächere."


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 2/2007, Seite 10
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2007