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JUGEND/081: Streßprävention schon in der Schule (Uni Bielefeld)


BI.research 33.2008
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld

Stressprävention schon in der Schule
Entwicklungspsychologisch fundierte Trainingsprogramme

Von Dr. Hans-Martin Kruckis


"Entspannung", sagt der Entwicklungspsychologe Prof. Dr. Arnold Lohaus, "ist nur ein Faktor unter vielen zur Stressbewältigung und wird daher oft überschätzt. Und wenn Ursache von Stress Zeitmangel ist, können zeitaufwändigere Entspannungsübungen den Stress natürlich sogar noch erhöhen. Speziell bei Kindern sind Entspannungsverfahren ziemlich ineffektiv." Stress definiert er als "Ungleichgewicht zwischen Anforderungen, die an ein Individuum gestellt werden, und seinen Fähigkeiten, diese Anforderungen zu bewältigen". Seit Jahren forscht Lohaus über Stress und Stressbewältigung bei Schülerinnen und Schülern und arbeitet dabei intensiv mit Schulen und Krankenkassen zusammen. Aber ist Stress im Jugendalter wirklich schon ein flächendeckendes Problem? Die Erhebungen der Bielefelder Wissenschaftler zeigen, dass schon in der 5. bis 10. Klasse Phänomene wie Erschöpfungszustände, Einschlafstörungen, Kopfschmerzen und Übelkeit weit verbreitet sind. "Jeder fünfte Schüler gab zum Beispiel an, mehrmals in der Woche Kopfschmerzen zu haben, wobei die Verbreitung von Stresssymptomen übrigens weitgehend unabhängig von der Schulform ist", erläutert Arnold Lohaus. Die Stressfaktoren sind nicht überraschend: Am häufigsten nennen die Betroffenen selbst den Druck durch Klassenarbeiten und ein Übermaß an Hausaufgaben. Ein weiterer wichtiger Faktor sind Probleme in der Familie. Weniger häufig spielt dagegen Stress mit Freunden und Gleichaltrigen eine Rolle. "Ein grundsätzliches Problem ist auch, dass die Schülerinnen und Schüler heute kaum noch unverplante Freizeit haben. Dazu kommt ein mediales Überangebot." Auch wenn Jugendliche Videospiele "toll" und damit subjektiv als Entspannung empfinden, sprechen, so Lohaus, die physiologischen Befunde eine andere Sprache: "Es gibt bei Spielen wie 'Kingkong', die wir untersucht haben, einen signifikanten Anstieg von Kortisol und anderen Stresshormonen im Blut."

Bei seinen Forschungen geht es ihm nicht nur um die Erhebung des Ist-Zustandes, sondern auch um die Entwicklung praktischer Programme zur Stressbewältigung, deren Wirksamkeit dann wiederum wissenschaftlich analysiert wird. Besonders erfolgreich und in Schulen schon weit verbreitet ist das Programm "SNAKE". "SNAKE" steht für "Stress Nicht Als Katastrophe Erleben" und setzt auf Prävention. "Schülerinnen und Schüler sollen rechtzeitig lernen, statt panisch zu reagieren, Probleme durch Nachdenken und Abwägen in den Griff zu bekommen, und das heißt auch, positives Denken zu lernen. Außerdem geht es darum, ein sinnvolles Zeitmanagement zu entwickeln und sich bewusst Ruhepausen zu suchen. Ein wichtiger Faktor ist auch das Abreagieren durch Aktivitäten wie Sport oder Musik. Und schließlich geht es um die Suche nach sozialer Unterstützung, sowohl durch die eigenen sozialen Netzwerke wie durch professionelle Hilfe." SNAKE wird auf unterschiedlichen Wegen vermittelt. Als am erfolgreichsten hat sich die Kombination zwischen klassischem Gruppentraining und Internetbegleitung erwiesen, wobei Letzteres durch die Unabhängigkeit bei der Wahl des Zeitpunktes und die Anonymität und einfache Erreichbarkeit für Jugendliche besonders attraktiv ist. Allerdings gibt es einen deutlichen geschlechtsspezifischen Unterschied: Für Jungen ist es offensichtlich weniger "cool", sich mit Gesundheitsfragen und Prävention auseinander zu setzen.

Arnold Lohaus freut sich über die gute Kooperation mit zahlreichen Schulen. "Es gibt immer wieder Anfragen von Schulen, bei ihnen das SNAKE-Programm durchzuführen. Aber das können wir selbst natürlich nicht leisten." Über die Techniker-Krankenkasse lief das Programm jedoch inzwischen bundesweit in etwa 350 Klassen. Dazu wurden nicht weniger als 250 Trainer ausgebildet. Angefangen hatte alles schon in den 90er Jahren mit einer Interviewstudie, in deren Folge das Training "Bleib locker!" für Grundschulkinder entwickelt wurde.


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Quelle:
BI.research 33.2008, Seite 24-25
Forschungsmagazin der Universität Bielefeld
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BI.research erscheint zweimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009