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MELDUNG/276: Mehr haben, weniger geben? Ober- und Mittelschicht nicht weniger hilfsbereit (idw)


Universität Leipzig - 03.08.2015

Mehr haben, weniger geben? Studie zeigt: Ober- und Mittelschicht nicht weniger hilfsbereit


Zeigen Menschen der oberen sozialen Schichten weniger soziales Verhalten als Menschen der unteren? Spenden sie beispielsweise einen geringeren Teil ihres Einkommens für wohltätige Zwecke? Bisherige psychologische Studien kamen tatsächlich zu dem Ergebnis, dass sich Menschen aus den unteren sozialen Schichten bedingt durch ihre eigene schwierige Lebenssituation stärker um das Wohlergehen Anderer kümmern als Menschen aus höheren sozialen Schichten. Psychologen der Universitäten Leipzig und Mainz konnten dies in einer aktuellen Studie nicht bestätigen.


Sie fanden sogar überwiegend gegenteilige Befunde. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler soeben in der Fachzeitschrift "PLOS ONE" veröffentlicht. Die Studie von Dr. Martin Korndörfer, Prof. Dr. Stefan Schmukle (Universität Leipzig) und Prof. Dr. Boris Egloff (Johannes Gutenberg-Universität Mainz) basiert auf großen, repräsentativen Datensätzen mit bis zu 37.0000 Personen. Es handelt sich um internationale Daten groß angelegter Erhebungen, beispielsweise dem deutschen sozio-ökonomischen Panel (SOEP). Die Teilnehmer dieser Befragungen berichteten regelmäßig über ihr Einkommen, ihre Bildung und ihr Berufsprestige und gaben Auskunft zu verschiedenen prosozialen Verhaltensweisen wie Spenden, ehrenamtlicher Tätigkeit oder der Unterstützung in alltäglichen Situationen, zum Beispiel einem Unbekannten in der Supermarktschlange den vorderen Platz anzubieten.

Die Analysen der Wissenschaftler ergaben ein unerwartetes Bild: Verglichen mit Angehörigen aus unteren sozialen Schichten waren Angehörige oberer Schichten zumeist gemeinnütziger, vertrauensvoller, hilfsbereiter und freigiebiger. So gaben sie in einem digitalen ökonomischen Spiel, bei dem um reales Geld gespielt wurde, mehr an einen ihnen zugeteilten Unbekannten weiter. Dabei war dieser Befund weitestgehend unabhängig davon, welches Land untersucht wurde (Deutschland, USA oder eines von 28 weiteren Ländern) und welches Maß für die soziale Schicht benutzt wurde (Einkommen, Bildung, Jobprestige oder eine subjektive Einschätzung des eigenen sozialen Ranges).

"Die Ergebnisse sind gerade im Hinblick auf die aktuell immer größer werdenden sozialen Ungleichheiten wichtig", sagt Martin Korndörfer. "Sie zeigen, dass Angehörige der mittleren und oberen sozialen Schichten den sozialen Anforderungen, die an sie gestellt werden, in größerem Maße gerecht werden, als man dies aus den Ergebnissen bisheriger psychologischer Studien erwarten konnte."

Den Widerspruch zu früheren Studien, denen zufolge Menschen aus unteren sozialen Schichten sozialer eingestellt seien, erklären sich die Autoren durch die bisher verbreitete Verwendung von überwiegend kleinen Stichproben, "häufig bestehend aus amerikanischen Studierenden, die sich schlichtweg kaum in ihrer sozialen Klasse unterscheiden", so Korndörfer. "Letztlich handeln besser Gestellte wohl weder immer sozialer als weniger gut Gestellte, noch ist es anders herum", resümiert der Leipziger Wissenschaftler. "Es gibt sicher Unterschiede abhängig davon, welches konkrete Verhalten betrachtet wird und wichtige Begleiterscheinungen, die wir noch nicht genau kennen. Was wir jedoch sagen können: Die von Psychologen gern aufgestellte Behauptung, die Oberschicht sei generell weniger hilfsbereit, ist so vermutlich nicht richtig."

Fachveröffentlichung:
A Large Scale Test of the Effect of Social Class on Prosocial Behavior
Martin Korndörfer, Boris Egloff, Stefan C. Schmukle
Veröffentlicht am 20. Juli 2015
DOI: 10.1371/journal.pone.0133193


Weitere Informationen unter:
http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0133193

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution232

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Susann Huster, 03.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2015

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