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SOZIALES/115: Alkohol und Gewalt - Eine fatale Verbindung (GEHIRN&GEIST)


GEHIRN&GEIST 4/2009
Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung

Eine fatale Verbindung

Von Laurent Bègue


Rund jedes vierte Gewaltverbrechen wird unter Alkoholeinfluss verübt. Warum das so ist, untersucht der französische Sozialpsychologe Laurent Bègue in einem umfangreichen Forschungsprogramm. Eines seiner Ergebnisse: Schon der Gedanke an Bier oder Schnaps kann Menschen aggressiv machen



AUF EINEN BLICK

Wie Alkohol aggressiv macht

1. Die meisten Forscher stimmen darin überein, dass Alkohol die Gewaltbereitschaft von Menschen fördert.

2. Ursache ist offenbar nicht allein die körperliche Wirkung der Substanz, sondern auch die an den Konsum geknüpfte Erwartung.

3. Alkohol und Gewalt sind im Gedächtnis semantisch verknüpft. Deshalb erhöht schon eine unbewusste Assoziation mit Alkohol das Aggressionsrisiko.


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Nahezu alle Formen von Gewalt treten häufig in Verbindung mit Alkoholkonsum auf: ob Schlägereien in der Kneipe oder zwischen rivalisierenden Fangruppen, ob sexuelle Gewalt, Kindesmisshandlung oder Handgreiflichkeiten zwischen Eheleuten. Die kanadischen Psychologen Douglas Murdoch und seine Kollegen von der McGill University in Montreal analysierten 1990 über 9300 Gerichtsakten von Gewaltverbrechen aus insgesamt elf Ländern. Unter dem Strich stand eine erstaunliche Zahl: 62 Prozent der Täter hatten demnach kurz vor oder während ihrer Tat Alkohol getrunken.

Die fatale Verbindung zwischen Alkohol und Gewalt offenbart sich dabei nicht nur im Verhalten der Täter. Auch Opfer, die beispielsweise durch Beleidigungen einen Angriff provozieren, haben oft getrunken. Wie eine umfangreiche britische Untersuchung belegte, stand in einem von zwei Mordfällen im Vereinigten Königreich entweder der Mörder oder sein Opfer unter Alkoholeinfluss. Meine Arbeitsgruppe zeigte 2008 im Rahmen einer epidemiologischen Studie mit mehr als 2000 französischen Probanden, dass das Problem längst nicht nur Männer betrifft: Die Ehefrauen von gewohnheitsmäßigen Trinkern werden 15-mal häufiger Opfer von häuslicher Gewalt als jene, deren Männer nüchtern bleiben. Mehr noch: Frauen, die geschlagen oder verletzt wurden, hatten bei mindestens einer dieser Gelegenheiten selbst über den Durst getrunken.

Doch diese Zahlen sagen nichts darüber aus, ob Alkohol die Gewalttaten tatsächlich verursacht oder nur »beflügelt«. Um diese Beziehung aufzuklären, gilt es, zunächst einmal zwischen der Tat einerseits sowie der Anzeige oder gar Verurteilung andererseits zu unterscheiden. Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass ein Täter einfach eher von der Polizei geschnappt wird, wenn er vor dem Delikt Alkohol getrunken hat oder ohnehin regelmäßig trinkt (und dabei seine Vergehen ausplaudert). Außerdem lässt sich der zur Tatzeit vorliegende Blutalkoholspiegel nicht mehr bestimmen, wenn ein Gewaltverbrecher erst Tage später verhaftet wird. In diesem Fall könnte er sogar nachträglich Trunkenheit vorgeben, um mildernde Umstände geltend zu machen.

Um all diese Effekte auszuschalten, untersuchten wir kürzlich den Hergang von ausschließlich freiwillig gestandenen Straftaten. Ergebnis: Bei 40 Prozent aller Schlägereien in der Öffentlichkeit hatten die Beteiligten zuvor Alkohol konsumiert. 35 Prozent waren es bei Übergriffen innerhalb der Familie, aber »nur« 20 Prozent bei Diebstählen. Statistisch gesehen steht zwar nicht allein der Rausch selbst, sondern auch die Trinkgewohnheit mit Gewalt in Verbindung; falsche Ernährung und Schlafmangel verstärken dabei zusätzlich die Folgen des regelmäßigen Konsums. Doch epidemiologische Studien zeigen, dass hauptsächlich der akute Rauschzustand Gewalt nach sich zieht.

Trunkenheit und Gewalt könnten allerdings auch beide auf eine gemeinsame Ursache zurückgehen. Beispielsweise wird häufig an Orten getrunken, wo viele weitere Faktoren Aggressionen begünstigen - etwa in überfüllten, lauten Gaststätten, wo weniger Benimmregeln gelten als anderswo. Des Weiteren fördern bestimmte Bedingungen sowohl Alkoholismus als auch Gewaltbereitschaft: angefangen bei angeborenen Hirnanomalien und dem elterlichen Vorbild über Impulsivität und antisoziale Persönlichkeitszüge bis hin zu Arbeitslosigkeit und finanziellen Notlagen. Und nicht zuletzt dienen sowohl Trinkfestigkeit als auch Schlägereien dazu, die eigene Zugehörigkeit zum Beispiel zu einer Straßengang zu demonstrieren. Selbst wenn man mit Sicherheit wüsste, dass Alkoholgenuss einer Gewalttat vorausging, wäre nicht auszuschließen, dass jemand zuerst den Entschluss fasste, Randale zu machen, und erst danach zur Flasche griff, um sich den nötigen Mut dafür anzutrinken. Dann wäre der Alkohol ein Hilfsmittel, aber nicht Ursache der Aggression.


Ohne Provokation keine Aggression

Um solche alternativen Erklärungen auszuschließen, bedarf es experimenteller Studien. Erst im Labor lässt sich klären, ob und wie sich die Alkoholdosis - weit gehend unabhängig von anderen Einflussgrößen - auf das Aggressionspotenzial auswirkt. Etwa als Lernstudie getarnt kann man dies in einem Versuch so überprüfen: Man bittet die Probanden zunächst, eine bestimmte Menge Alkohol zu trinken. Danach sollen sie einen anderen Teilnehmer (in Wirklichkeit einen Versuchsleiter) als Rückmeldung für eine falsche Antwort in einem Lerntest mit Elektroschocks bestrafen. Deren Intensität oder Dauer gilt dann als Maß für mehr oder minder aggressives Verhalten.

Derart konzipierte Untersuchungen zeigen, dass die Aggressionen von Männern wie Frauen proportional zur Menge des getrunkenen Alkohols steigen - und zwar genau dann, wenn der Blutalkoholpegel steigt. Allerdings verhalten sich die Probanden meist nur dann aggressiv, wenn sie selbst provoziert werden, zum Beispiel indem sie ein (vermeintlich) weiterer Teilnehmer beleidigt oder ebenfalls »bestraft«. Für die Mehrheit gilt also: ohne Provokation keine Aggression. Sinkt der Blutalkoholspiegel schließlich wieder ab, wirkt Alkohol sogar eher beruhigend auf das Gemüt.

Auch andere Experimente bestätigen, dass Alkohol nicht nur aggressiver machen kann, sondern auch altruistischer, nicht nur unvorsichtiger, sondern auch kontrollierter, nicht nur fröhlicher, sondern auch trauriger - je nach Situation und Umfeld. So fand der Anthropologe James Schaefer von der University of Minnesota in Minneapolis heraus, dass Trinkrituale unter Männern längst nicht in allen Kulturkreisen Schlägereien nach sich ziehen. Lediglich bei der Hälfte von mehreren Dutzend untersuchten Kulturen war dies der Fall. Demnach betrinken sich die Angehörigen der bolivianischen Camba-Bevölkerung zweimal im Monat exzessiv, ohne dass in der Folge vermehrt Gewaltakte zu verzeichnen wären. In Finnland hingegen seien schwere Gewalthandlungen nach Trinkgelagen häufig.

Diese beiden Beispiele zeigen laut Schaefer, dass gesellschaftliche Normen das Verhalten unter Alkoholeinfluss mitsteuern, und zwar unabhängig von der physiologischen Wirkung der Substanz. Allerdings berücksichtigt der Forscher nicht, dass Angehörige verschiedener Kulturen auch körperlich durchaus unterschiedlich reagieren können.

Alkohol beeinträchtigt sowohl kurz- als auch langfristig die Arbeit des Gehirns. Langfristig sterben Nervenzellen ab, was die intellektuelle Leistung mindert - darunter auch die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Kurzfristig sind insbesondere exekutive Funktionen betroffen, die vor allem der präfrontale Kortex erfüllt, darunter Aufmerksamkeit, abstraktes und planendes Denken, Selbstkontrolle sowie das Vermögen, das eigene Verhalten an den Reaktionen anderer auszurichten.

Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass solche Hirnfunktionen bei schweren Gewalttätern dauerhaft gestört sind. Mehr noch: Wer neuropsychologischen Tests zufolge unter derartigen Problemen leidet und normalerweise nicht trinkt, reagiert unter Alkoholeinfluss besonders aggressiv.


Betrunkene mit Tunnelblick

Die Beeinträchtigung exekutiver Hirnfunktionen lässt sich am Phänomen der so genannten Alkoholmyopie - einer speziellen Art selektiver Wahrnehmung - veranschaulichen: Betrunkene achten vor allem auf hervorstechende Informationen (zum Beispiel Beleidigungen), und zwar auf Kosten von anderen Überlegungen (etwa zu den langfristigen Folgen der Tat), die einer aggressiven Kurzschlussreaktion entgegenwirken könnten.

Dass Alkohol das sorgsame Abwägen etwaiger Konsequenzen stört, wiesen Adam Weisman und Stuart Taylor von der Kent State University (US-Bundesstaat Ohio) schon 1994 nach. Die Psychologen baten alkoholisierte und nüchterne Probanden, an einem Reaktionszeitexperiment teilzunehmen und dabei gegen einen anderen Teilnehmer anzutreten - einen Komplizen der beiden Versuchsleiter. Die Aufgabe: Wenn ein bestimmter Signalton erklang, sollten beide auf einen Knopf drücken. Wer länger brauchte, würde einen Elektroschock bekommen, über dessen Stärke sich die Kontrahenten vor jedem Versuch einigen mussten. Es war also in ihrem eigenen Interesse, schwache Elektroschocks zu wählen, denn sie hatten keine Garantie, dass sie gewinnen würden.

Zunächst durften sie eine Übungsrunde ohne Elektroschocks einlegen, um sich ein Bild von der Reaktionsgeschwindigkeit des Gegners zu machen. Doch diese wurde von den Versuchsleitern manipuliert. In einem Fall schien der Gegner ebenso gut wie sie, im anderen sehr viel schneller. Nüchterne Probanden wählten stets schwache Elektroschocks, unabhängig davon, ob sie einen ebenbürtigen oder überlegenen Gegner vor sich zu haben meinten. Die alkoholisierten Versuchspersonen entschieden sich dagegen für stärkere Elektroschocks. Und auch ihnen schien die Stärke des Gegners gleichgültig zu sein - obwohl ihr eigenes Risiko zu unterliegen unter Alkoholeinfluss besonders hoch war. Sie überschätzten ihre Reaktionsfähigkeit trotz Übungsrunde.

Ein gesteigertes Selbstvertrauen zählt zu den typischen Erwartungen, die Menschen an Alkoholkonsum knüpfen. Daneben gelten das körperliche Gefühl des Betrunkenseins, Erheiterung, verminderter Stress und vermehrtes sexuelles Interesse als Standardreaktionen - sowie ein gesteigertes Aggressionspotenzial. Vor allem jüngere Männer mit niedrigem Bildungsniveau verbinden Alkohol mit Gewalt, wie eine unserer Studien im vergangenen Jahr zeigte. Dasselbe trifft auf Vieltrinker und Menschen zu, die ohnehin zu Aggressivität und impulsivem Handeln neigen.


Stereotype auf der Leinwand

Schon achtjährige Kinder glauben, dass Bier (im Vergleich zu Eistee) Erwachsene dazu bringen kann, andere zu beleidigen oder um sich zu schlagen. Das ergab eine Studie der Psychologin Lisa R. Query von 1998. Dieses Bild ist auch in Gesellschaft und Medien fest verankert, wie David MacIntosh von der University of Georgia in Athens belegte. Der Gesundheitsforscher analysierte das Verhalten von 832 Figuren, die in 100 zufällig ausgewählten Kinohits der Jahre 1940 bis 1990 auftauchen. Im Vergleich zu Filmfiguren, die nicht zu Alkohol griffen, verhielten sich die Trinker deutlich häufiger aggressiv.

Verursacht Alkohol also womöglich Gewalt, weil wir das so erwarten? Offenbar schon - und die Assoziation muss dazu nicht einmal bewusst sein, wie mein Kollege Baptiste Subra von der Université de Grenoble kürzlich anhand eines Impliziten Assoziationstests demonstrierte. Das Prinzip hinter dem Test: Ein Wort wird schneller verarbeitet, wenn zuvor ein Bild thematisch ähnliche Assoziationen weckt (Psychologen sprechen von »Priming«, siehe auch G&G 11/2008, S. 38). Subra zeigte den Probanden für einen kurzen Moment und kaum wahrnehmbar (300 Millisekunden lang) Bilder von alkoholfreien und alkoholischen Getränken sowie von Waffen. Auf jedes Bild folgte unmittelbar ein aggressives Wort (zum Beispiel töten), ein nicht aggressives Wort (zum Beispiel bewegen) oder eine Buchstabenfolge ohne Bedeutung. Gemessen wurde jeweils, wie lange die Probanden brauchten, um per Tastendruck anzugeben, ob das betreffende Wort in ihrer Muttersprache existiert.

Resultat: Die Probanden identifizierten die aggressiven Wörter schneller, wenn das Bild zuvor ein alkoholisches Getränk oder eine Waffe zeigte, und langsamer nach Betrachten eines neutralen Gegenstands, etwa einer Wasserflasche. Offenbar sind Alkohol und Aggressivität im semantischen Gedächtnis miteinander verknüpft, so dass allein der Anblick eines Bierglases genügt, um eine Assoziation zu Gewalt hervorzurufen. Lässt sich die aggressionsförderliche Wirkung von Alkohol auf diese Weise erklären?

Konsequenterweise müssten sich Menschen in diesem Fall auch dann aggressiver verhalten, wenn sie irrtümlich meinen, sie hätten Alkohol zu sich genommen. Diese Hypothese überprüften wir an 117 Freiwilligen, die glaubten, Kraftnahrung zu testen. Sie nahmen ein Getränk zu sich, das ihren Blutalkoholspiegel entweder gar nicht oder auf ein halbes beziehungsweise auf ein Promille ansteigen ließ. Einen Teil der Probanden klärten wir korrekt über das Getränk auf, den übrigen spiegelten wir falsche Tatsachen vor. So sollten einige Teilnehmer glauben, sie hätten mittlere oder große Mengen Alkohol getrunken, obwohl dies nicht der Fall war - sie hatten ein kaltes Getränk bekommen, das nur nach Alkohol schmeckte, aber keinen enthielt. Einer weiteren Gruppe machten wir weis, sie hätte nur Fruchtsaft getrunken, in Wirklichkeit aber hatten wir ihnen mäßig oder sogar viel Alkohol eingeschenkt.


Chilisoße als Laborwaffe

Dann wurden die Probanden von einem Assistenten provoziert, der sich als Versuchsteilnehmer ausgab. Sie erfuhren, dass jeder ein für ihn bestimmtes Gericht aufessen müsste, wenn er die in Aussicht gestellte Vergütung erhalten wollte. Während sie zum Würzen ihrer eigenen Speise Chilisoße und Salz vor sich hatten, ließen wir sie allein, um ihnen die Gelegenheit zu geben, diese unbeobachtet unter das Gericht des Provokateurs zu mischen. Das verblüffende Ergebnis: Je mehr Alkohol die Probanden getrunken zu haben glaubten, desto stärker überwürzten sie das Essen des Provokateurs! Wie viele Tütchen Chilisoße sie untermischten, ließ sich zusätzlich aus der individuellen Aggressionsneigung voraussagen, die zuvor anhand eines Persönlichkeitstests erfasst worden war.

Lediglich die Überzeugung, alkoholisiert zu sein, fördert also aggressives Verhalten. Aber wie genau geht das vor sich? Möglicherweise meinen die Probanden, sie dürften sich unter Alkoholeinfluss erlauben, ihre Selbstkontrolle abzulegen. Oder steigt die Gewaltbereitschaft, weil das Konzept »Aggression« semantisch durch das Konzept »Alkohol« aktiviert wird?

Diese letzte Hypothese hat mein Teamkollege Baptiste Subra kürzlich überprüft. Im Rahmen eines Scheinexperiments am Computer präsentierte er seinen Probanden wiederum unterhalb der zeitlichen Wahrnehmungsschwelle alkoholbezogene und neutrale Wörter. Danach sollten die Teilnehmer einen der Versuchsleiter bewerten, der vermeintlich einen Fehler begangen hatte und sie den sehr langwierigen Computertest noch einmal wiederholen ließ. Die Beurteilung fiel tatsächlich deutlich schlechter aus, wenn die zuvor präsentierten Wörter etwas mit Alkohol zu tun hatten - was Subra als Zeichen der Aggression deutete.

Die Auswirkungen von Alkohol lassen sich demnach keinesfalls allein auf physiologische Mechanismen reduzieren. Neben der körperlichen hat Alkohol auch eine beachtliche psychologische Wirkung: Es genügt bereits, dass eine Person glaubt, sie habe getrunken, damit sie sich aggressiver verhält. Alkoholkonsum kann Gewalt offenbar über eine gedankliche Assoziation auslösen - und diese muss uns nicht einmal bewusst sein! Doch reicht das allein nicht aus, um Aggressionen zu verursachen. Betrunkene zeigen mehrheitlich nur dann aggressives Verhalten, wenn sie provoziert werden.


Laurent Bègue ist Professor für Sozialpsychologie an der Université Pierre Mendes-France in Grenoble.

www.gehirn-und-geist.de/audio


Quellen

Bègue, L. et al.: A Message in a Bottle: Extrapharmacological Effects of Alcohol on Aggression. In: Journal of Experimental Social Psychology 45, S. 137 - 142, 2009.

Bègue, L., Subra, B.: Alcohol and Aggression: Perspectives on Controlled and Uncontrolled Social Information Processing. In: Social and Personality Psychology Compass 2, S. 34 - 62, 2008.

Murdoch, D.: Alcohol and Crimes of Violence: Present Issues. In: International Journal of the Addictions 25(9), S. 1065 - 1081, 1990.

Weisman, A. M., Taylor, S. P.: Effect of Alcohol and Risk of Physical Harm on Human Physical Aggression. In: Journal of General Psychology 121(1), S. 67 - 76, 1994.


ZUSATZINFORMATIONEN:

Auf und Ab des Promillewerts

Der Blutalkoholspiegel hängt einerseits davon ab, wie viel Alkohol jemand getrunken hat und auf welche Menge Blut sich dieser verteilt. Andererseits spielen die seit dem Konsum vergangene Zeit sowie die Resorptions- und Abbaurate des Alkohols im Körper eine Rolle. Innerhalb von ein bis zwei Stunden hat der Körper den Alkohol nahezu vollständig aufgenommen, baut aber gleichzeitig 0,1 bis 0,2 Promille (bei Frauen etwas weniger) pro Stunde wieder ab. Beim Trinken auf nüchternen Magen steigt der Blutalkoholspiegel schneller an als nach oder zu einer Mahlzeit, der Maximalwert bleibt jedoch gleich. Einer Studie zufolge ist das Risiko für eine Gewalttat bei einem schnellen Anstieg des Blutalkohols erhöht.


Der Blutalkohol im Strafrecht

Gerichte können die Konzentration von Alkohol im Blut eines Täters als Indiz für seine verminderte Schuldfähigkeit oder gar für seine Schuldunfähigkeit werten. Das heißt, der Täter gilt infolge des Rauschs für den Moment der Tat als unzurechnungsfähig. Als grobe Richtlinie gilt:

bis 2,0 Promille
voll schuldfähig

2,0 bis 3,0 Promille
in der Regel vermindert schuldfähig

ab 3,0 Promille
in der Regel schuldunfähig


Mehr als jede vierte Gewalttat geschieht unter Alkoholeinfluss
Von insgesamt 163 692 im Jahr 2007 aufgeklärten Gewaltverbrechen in Deutschland wurden 44 147 von alkoholisierten Tätern verübt.
(Bundeskriminalstatistik 2007)


Alkohol und Kriminalität

Anfang der 1990er Jahre untersuchten Philip J. Cook und sein Kollege Michael Moore von der University of Duke in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) die Verbindung zwischen der Biersteuer und verschiedenen Formen von Kriminalität zwischen 1979 und 1988 in 48 Staaten der USA. Die Forscher entdeckten einen Zusammenhang zwischen dem (inflationsbereinigten) Bierpreis, dem durchschnittlichen Alkoholkonsum und verschiedenen Deliktarten. Nach Berechnungen der beiden Wirtschaftswissenschaftler gäbe es in den USA jeweils etwa sechs Prozent weniger Vergewaltigungen und schwere Gewalttaten, wenn die Menschen zehn Prozent weniger Alkohol tränken.

Konkrete Zahlen nannte Ende der 1990er Jahre auch Richard A. Scribner, der heute an der Louisiana State University in New Orleans forscht. Der Mediziner erfasste die gemeldeten Gewaltverbrechen und die Dichte von Alkoholverkaufsstellen in 74 größeren Städten in der Region von Los Angeles für das Jahr 1990. Soziodemografische Merkmale der betreffenden Gegenden hatten wie erwartet den stärksten Einfluss auf die Kriminalitätsrate. Doch zusätzlich wirkte sich auch die Verfügbarkeit von Alkohol aus: Je mehr Verkaufsstellen es in einem Viertel gab, desto höher lag dort die Rate an Gewaltverbrechen. In einer typischen Stadt mit 50 000 Einwohnern, 100 Verkaufsstellen und 570 Gewaltverbrechen bedeutete eine zusätzliche Verkaufsstelle im Stadtviertel 3,4 Übergriffe mehr pro Jahr. Der Gesundheitsforscher Ted R. Miller und seine Kollegen vom Public Services Research Institute in Calverton, Maryland, bezifferten 2006 die Kosten, die in den USA durch Verbrechen unter Alkohol- oder Drogeneinfluss entstehen, auf zehn Milliarden Dollar allein für die medizinische Behandlung der Opfer.

Quellen

Cook, P. J., Moore, M. J.: Violence Reduction through Restrictions on Alcohol Availability. In: Alcohol Health & Research World 17(2), S. 151 - 156, 1993.

Miller, T. R. et al.: The Costs of Alcohol and Drug-Involved Crime. In: Prevention Science 7(4), S. 333 - 342, 2006.

Scribner, R. A. et al.: The Risk of Assaultive Violence and Alcohol Availability in Los Angeles County. In: American Journal of Public Health 85, S. 335 - 340, 1995.


© 2009 Laurent Bègue, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
GEHIRN&GEIST 4/2009, Seite 49 - 53
Herausgeber: Dr. habil. Reinhard Breuer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2009