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SOZIALES/116: Kinder und ihre Väter - zwei Sichtweisen auf eine Familie? (DJI)


DJI Bulletin 83/84 - 3/4/2008
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Ergebnisse aus dem DJI Kinderpanel
Kinder und ihre Väter: zwei Sichtweisen auf eine Familie?

Von Andreas Lange, Claudia Zerle, Christian Alt


Bislang galten die Auskunft und die Sichtweise der Mutter als Königsweg zu allen Belangen in und für die Familie. Mittlerweile sind jedoch in einer Vielzahl von Untersuchungen die förderlichen Aspekte des väterlichen »involvement« (Beziehung und Beteiligung) nachgewiesen worden. Dabei geht es nicht mehr nur um die strukturellen Aspekte innerhalb der Familie. Vielmehr erstreckt sich das Interesse auf die Auswirkungen des väterlichen Engagements von der emotionalen über die kognitive und verhaltensbezogene Entwicklung der Kinder (Kalicki/Peitz/Fthenakis 2006; Pleck/Masciadrelli 2004).
Die individuellen Persönlichkeitsmerkmale sind für (erfolgreiches) Handeln sowie für die Einstellungen und Gefühle von Kindern bedeutsam, da diese sogar familiär bedingte Nachteile ausgleichen können (Ebner 2008). Auch für die Bewertung des Familienklimas spielen die Persönlichkeitseigenschaften von Kindern eine zentrale Rolle - was die bisherigen Analysen des DJI-Kinderpanels aufzeigen konnten, zumal hier soziologische und psychologische Sichtweisen verknüpft werden und neue Erkenntnisse ermöglichen (Alt 2008).



Was zeichnet ein »gutes Familienklima« aus?

Ein gutes Familienklima geht »mit weniger Externalisierung, motorischer Unruhe und Internalisierung der Kinder« einher (Wahl 2005, S. 149): Friedliche Persönlichkeiten der Familienmitglieder begünstigen ein friedliches Familienleben - und umgekehrt.

Auch das Erziehungsverhalten der Eltern hat Einfluss auf die Persönlichkeitseigenschaften der Kinder (Barquero/Geier 2008): Kinder, die von ihren Müttern nach eigener Einschätzung autoritär behandelt wurden, zeigen mehr internalisierende aber auch externalisierende Probleme, während eine unterstützende, kindzentrierte Kommunikation vonseiten der Mütter mit weniger externalisierendem Verhalten und einer geringeren motorischen Unruhe bei den Kindern einhergeht.

Externalisierendes Verhalten des Kindes zeigt ein nach außen gerichtetes, auffälliges oder auch aggressives Verhalten (»Ich raufe gern«, »Ich habe Spaß, andere zu ärgern«). Internalisierendes Verhalten des Kindes bezieht sich auf ängstliches und unsicheres oder auch trauriges Verhalten (»Ich bin manchmal ängstlich«, »Ich fühle mich manchmal allein«) (Barquero/Alt/Lange 2008).

Bei ihrer Beurteilung des Familienklimas messen die Väter der Partnerschaft eine hohe Bedeutung zu: Die Einschätzung des Familienklimas von Müttern und Vätern während der Trennungsphase (bei Scheidung und Trennung) verschlechtert sich stark, während Kinder einen wesentlich geringeren Wandel der Einschätzung verzeichnen, das heißt, »dass die Kinder ihre Vorstellungen von der Kernfamilie zu bewahren versuchen, also kognitive Konzepte möglichst stabil halten« (Schmidt-Denter/Beelmann 1995).

Bei Vätern hingegen verschlechtert sich die Einschätzung des Familienklimas signifikant, wenn innerhalb der Beziehung der Stress(pegel) steigt. Im Gegenzug wird es als deutlich besser wahrgenommen, wenn die Väter die Qualität der Partnerschaft hoch bewerten. Auch Häufigkeit und Intensität der väterlichen Interaktion mit dem Kind hängen von der Qualität der Partnerschaft ab:

»Im Falle einer Abnahme der Partnerschaftsqualität kommt es häufig zur Verschlechterung der Vater-Kind-Beziehung infolge eines emotionalen Rückzuges des Vaters, für den beide Rollen Teilaspekte der Lebenswelt 'Familie' darstellen« (Huber 2008, S. 152).


Kinder wünschen sich mehr Zeit mit ihren Vätern

Die Kindheits- und Jugendforschung widmet sich derzeit insbesondere der Struktur und Dynamik von Beziehungs- und Erziehungsmustern in der Familie. Dabei geht es um eine systemische und ökologische Sichtweise auf Kinder und ihre Väter, und es herrscht die Erkenntnis vor, dass das jeweilige Engagement der Väter immer in Relation zu den Beiträgen der Mütter gestellt werden muss (Alt/Lange 2004).

Dieser Ansatz ist zu ergänzen um den sozialökologischen Blickwinkel, der deutlich macht, dass im bundesdeutschen Alltag aufgrund der Organisation und der Kultur der Arbeitswelt sowie der anderen sozialen Systeme immer noch klare Unterschiede in der Verfügbarkeit beider Elternteile für die Kinder festzustellen sind (Klenner/Pfahl 2008). Denn immer noch obliegt die Betreuung der kleinen und großen Kinder schwerpunktmäßig den Müttern - und so erstaunt es nicht, dass sich Kinder vor allem mehr Zeit mit ihren Vätern wünschen.


Zeigen die Sichtweisen von Vätern und ihren Kindern Unterschiede auf?

Zu diesem Thema stellen sich folgende Fragen:

• Wie häufig treten Unterschiede mit Blick auf die
Familienperspektive auf?

• Wie lassen sich diese Unterschiede zwischen Vater und Kind innerhalb der Familie begründen?

• Inwieweit können diese Unterschiede eher an strukturellen Bedingungen oder eher an Persönlichkeitsmerkmalen der Akteure festgemacht werden?

Antworten auf diese Fragen ergeben sich anhand der Ergebnisse des DJI-Kinderpanels. Kriterium für die Sichtweise auf die Familie war das durch die beiden Akteure wahrgenommene Familienklima:

55 % der von uns untersuchten Vater-Kind-Dyaden gaben eine konsistente Einschätzung ab (beim Rest kam es zu weit voneinander abweichenden Angaben).
Etwa 30 % der Kinder schätzen das Familienklima positiver ein als ihre Väter, nur ca. 14 % der Väter überschätzen ihre Kinder.

Zur Erklärung dieser Unterschiede wurden sowohl strukturelle Bedingungen als auch in der Persönlichkeit der Kinder und Väter liegende Merkmale untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass es auf der Ebene der Strukturvariablen keine signifikanten Unterschiede gab, wohl aber auf der Ebene der Persönlichkeitsmerkmale:

Eine hohe soziale und kognitive Aufgeschlossenheit des Kindes sowie ein positives Selbstbild erklären die bessere Einschätzung der Kinder.
Die Kinder geben ferner eine positive Einschätzung des Familienklimas ab, wenn sie der Meinung sind, dass der Vater in seinem Erziehungsverhalten kindzentriert agiert.
Potenzielle Konflikte des Vaters mit seiner Partnerin führen hingegen zu einer eher negativen Einschätzung des Familienklimas durch den Vater.
Sind Kinder nach ihrer eigenen Einschätzung eher externalisierend orientiert, so bewerten sie das Familienklima deutlich schlechter als die Väter.

Was ist für Väter und Kinder jeweils typisch bei der Beurteilung des Familienklimas?

Kinder schätzen das Familienklima dann am besten ein, wenn sie

- aufseiten ihres Vaters eine unterstützende Kommunikation wahrnehmen,
- selbst eine positive Selbstwahrnehmung aufweisen,
- sozial und kognitiv aufgeschlossen sind.

Kinder nehmen dann ein schlechteres Familienklima wahr, wenn sie

externalisierendes Verhalten aufweisen, d. h. wenn sie zu aggressivem Verhalten neigen,
über strikte persönliche Kontrolle durch den Vater berichten.

Ebenso schlägt eine höhere Schichtzugehörigkeit durch; je höher die soziale Schicht, desto weniger gut ist das wahrgenommene Familienklima. Für Kinder steht damit ein positives Familienverständnis im Vordergrund, dass der Vater einen kindzentrierten Erziehungsstil pflegt.

Besonders problematisch ist ein gutes Familienklima nach Einschätzung der Kinder immer dann, wenn man als Kind deutlich externalisierendes Verhalten zeigt. Verfügt man als Kind jedoch über eine positive Selbsteinschätzung und hohe soziale Kompetenzen, ist der Blick auf die Familie entsprechend positiv. Auch wenn ein strenger Vater die an sich gute Bewertung des Familienklimas trübt, so ist doch ersichtlich, dass es sich hierbei um einen eher marginalen Effekt handelt, ebenso wie die Schichtzugehörigkeit.

Wie aber sieht die Bewertung des Vaters aus? Väter schätzen das Familienklima dann als gut ein, wenn sie

ihren Kommunikationsstil als unterstützenden Erziehungsstil mit Blick auf das Kind ansehen,
über eine gute Beziehung in der Ehe berichten,
das Kind als mit einem positiven Selbstbild ausgestattet wahrnehmen.

Spiegelbildlich betrachtet sehen sie das Familienklima als schlecht/er an, wenn sie

- über Beziehungsprobleme in der Ehe berichten,
- ihre Ehe als konfliktbehaftet betrachten,
- allgemein mehr Probleme in der Familie sehen und
- einer höheren Schicht angehören.



Fazit

Ausschlaggebend für eine positive Bewertung der Familie ist der kindzentrierte väterliche Umgang in Erziehungsfragen sowohl in der Einschätzung der Kinder als auch in der von Vätern. Im Gegensatz zum Kind, welches dann in der Einschätzung des Familienklimas sehr von den individuellen Persönlichkeitseigenschaften geprägt wird, hat die Beziehung zur Partnerin und die Partnerschaftsqualität für den Vater eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Nur wenn es keine negative Bewertung dieser Fragen gibt, wird auch das Familienklima als gut angesehen.

Eine eigene Bedeutung für die Väter kommt dann der Selbsteinschätzung bezüglich von Demoralisierungsphänomenen zu. Tendieren Väter dazu, sich hier als belastet einzustufen, sinkt auch die positive Einschätzung des Familienklimas. Wie schon bei den Kindern spielt die Zugehörigkeit zu höheren sozialen Schichten eine eher marginale Rolle.


Literatur:

Alt, Christian (2008): Kinderleben - Individuelle Entwicklung in sozialen Kontexten. Band 5: Persönlichkeitsstrukturen und ihre Folgen. Schriften des Deutschen Jugendinstituts. Kinderpanel. Wiesbaden

Alt, Christian / Lange, Andreas (2004): Deine Familie, meine Familie? Die Perspektiven von Müttern und ihren Kindern. In: Zeitschrift für Familienforschung, 15. Jg., H. 2, S. 111-129

Barquero, Beatriz / Geier, Boris (2008): Elterliches Erziehungsverhalten. Wie werden kindliche Verhaltensauffälligkeiten und Persönlichkeitsmerkmale beeinflusst? In: Alt, Christian (Hrsg.): Kinderleben. Band 5. Wiesbaden, S. 125-148

Brake, Anna (2005): Wohlfühlen in der Familie. Wie Mütter und 8- bis 9-jährige Kinder ihr Zusammenleben bewerten. In: Alt, Christian (Hrsg.): Kinderleben. Band 5. Wiesbaden, S. 45-62

Bengtson, Vern L. / Kuypers, Joseph A. (1971): Generational difference and the developmental stake. In: Aging and Development, 2, pp. 249-260

Ebner, Sandra (2008): Trotzdem erfolgreich? Was prägt die Entwicklung der 10- bis 12-Jährigen mehr - die Soziale Herkunft, die Persönlichkeit oder der Erziehungsstil? In: Alt, Christian (Hrsg.): Kinderleben, Bd. 5. Wiesbaden, S. 181-206

Kalicki, Bernhard / Peitz, Gabriele / Fthenakis, Wassilios E. (2006): Die Bewältigung des Übergangs zur Vaterschaft. In:

Huber, Johannes (2008): Der Dritte im Bunde ist immer dabei. Die Bedeutung des Vaters im familiären Erziehungsgeschehen. In: Alt, Christian (Hrsg.) (2008): Kinderleben. Band 5. Wiesbaden, S. 149-180

Klenner, Christina / Pfahl, Svenja (2008): Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht - Wege aus dem Arbeitszeitdilemma. In: Heitkötter, Martina / Jurczyk, Karin / Lange, Andreas / Meier-Gräwe, Uta (Hrsg.): Zeit für Beziehungen? Zeit in und Zeitpolitik für Familien. Leverkusen, S. 429-434

Menning, Chadwick L. / Stewart, Susan D. (2008): Nonresident father involvement, social class, and adolescent weight. Journal of Familiy Issues, 29 (12), pp. 1673-1700

Pleck, Joseph H. / Masciadrelli, Brian P. (2004): Paternal involvement by U.S. residential fathers: levels, sources, and consequences. The role of the father in child development. Michael E. Lamb. Hoboken, Wiley, pp. 222-271

Schmidt-Denter, Ulrich / Beelmann, Wolfgang (1995): Familiäre Beziehungen nach Trennung und Scheidung: Veränderungsprozesse bei Müttern, Vätern und Kindern. Forschungsbericht (Kurzfassung). Universität zu Köln, Online-Fassung:
http://www.uni-koeln.de/phil-fak/psych/entwicklung/forschung/scheidung/kurzbericht.html

Wahl, Klaus (2005): Aggression bei Kindern. Emotionale und soziale Hintergründe. In: Alt, Christian (Hrsg.): Kinderleben - Aufwachsen zwischen Familie, Freunden und Institutionen. Band 1: Aufwachsen in Familien. Wiesbaden, S.123-156


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 83/84, 3/4/2008, S. 21-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2009