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THERAPIE/069: Psychologen wollen virtuelle Therapie gegen Spinnenangst entwickeln (idw)


Universität des Saarlandes - 16.12.2016

Psychologen wollen virtuelle Therapie gegen Spinnenangst entwickeln


Psychologen und Psychotherapeuten der Uni des Saarlandes wollen gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert eine virtuelle Therapie gegen Spinnenangst entwickeln. Diese auf modernen Computertechnologien basierende Methode könnte genauso wirksam sei wie aufwändige Therapieansätze mit echten Spinnen. Darauf weisen bisherige Studien hin. Gleichzeitig wäre eine neuartige Therapie, etwa auf Tablets oder Smartphones, viel alltagstauglicher. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die saarländischen Projektpartner über drei Jahre (2017 bis 2019) mit rund 300.000 Euro. Insgesamt fließen rund 1,8 Millionen Euro an die Projektpartner.


Für viele Menschen sind sie der blanke Horror, der in Zimmerecken und Kellerräumen lauert: Mit ihren acht langen Beinen und ihren ungewohnten Bewegungen versetzen Spinnen rund zehn Prozent der Bevölkerung in Angst und Schrecken. Damit ist Spinnenangst die am weitesten verbreitete Angststörung überhaupt, also Teil der Gruppe psychischer Störungen, die nach der Depression am häufigsten auftritt. Dabei ist Spinnenangst oder Arachnophobie sehr gut zu behandeln. Werden die Betroffenen mit professioneller psychotherapeutischer Unterstützung mit ihrer Angst konfrontiert, kann der überwiegende Anteil der von Spinnenangst geplagten Menschen später gut damit umgehen.

"Studien zeigen aber, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Betroffenen keine therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen", berichtet Tanja Michael, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität des Saarlandes. Einerseits liegt das auch an den Therapeuten, die den großen Aufwand einer klassischen Spinnenangst-Therapie scheuen. Man muss Spinnen fangen und pflegen, und eine Therapiesitzung dauert mehrere Stunden, in denen der Betroffene einzeln behandelt wird, indem er mit den achtbeinigen Tieren konfrontiert wird. Zum anderen scheuen viele Spinnenphobiker auch davor zurück, sich ihren Ängsten zu stellen. "Eine virtuelle Therapie ist nicht zuletzt deshalb eine gute Alternative, denn zum einen fiele damit der Aufwand für die bisherige konventionelle Spinnenangst-Therapie weg, zum anderen hätten Betroffene weniger Hemmungen, Hilfe zu suchen", erläutert Tanja Michael.

Gemeinsam mit Professor Matthias Riemenschneider (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes), dem Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik in St. Ingbert sowie der Promotion Software GmbH aus Potsdam, einem der führenden Anbieter auf dem Markt für so genannte "Serious Games", forscht Tanja Michael von 2017 bis 2019 daher an einer Lösung, Spinnenangst virtuell zu therapieren, zum Beispiel über eine Datenbrille oder eine App für Smartphones und Tablets, die eine virtuelle Umgebung erzeugt. Bisherige Systeme, die eine virtuelle Realität für solche Therapiezwecke simulieren, sind meist riesige Apparaturen, die nur in großen Forschungseinrichtungen zu finden sind. Die Forscherinnen und Forscher sind überzeugt, dass eine virtuelle Therapie einer tatsächlichen Therapie, die eine Konfrontation mit echten Spinnen vorsieht, ebenbürtig ist. "Es gibt eine Metastudie, die 23 Studien zu virtuellen Therapien von Angststörungen wie zum Beispiel Flugangst, Spinnenangst und Höhenangst ausgewertet hat. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Betroffenen am Ende der Therapie ihre Ängste ebenso gut unter Kontrolle hatten wie die Betroffenen traditioneller Therapien", erläutert Johanna Lass-Hennemann, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin von Tanja Michael an dem Projekt beteiligt ist. Sie weist ebenfalls eine langjährige Erfahrung in der Erforschung von Angststörungen auf, darunter auch Spinnenangst.

Eine der größten Herausforderungen des Projekts "Digitale Therapie zur häuslichen Behandlung von spezifischen Phobien - DigiPhobie" wird es sein, eine Methode zu entwickeln, die vollständig ohne das Zutun eines Therapeuten funktioniert. Bisherige virtuelle Therapieformen schließen den Kontakt zu einem Therapeuten immer mit ein, zum Beispiel über Kopfhörer oder andere technische Hilfen. Außerdem gilt es, die notwendige Angststimulation, in dem Fall also der Kontakt mit der Spinne, genau so stark zu dosieren, dass sie der betroffene Anwender der virtuellen Therapie gerade noch aushalten kann. Um herauszufinden, wo die Grenzen eines Betroffenen sind, würden biologische Signale wie Puls- und Atemfrequenz sowie die elektrische Leitfähigkeit der Haut gemessen werden. Auf dieser Grundlage könnte die Stärke der Angststimulation dann in Echtzeit gesteuert werden.

Um diese Ziele zu erreichen, haben sich die Forscher zum Ziel gesetzt, bis zur Halbzeit des Projektes einen "Demonstrator" entwickelt zu haben, den sie in einer klinischen Studie testen können. Gelingt es ihnen am Ende, eine wirksame virtuelle Therapie gegen die Spinnenangst zu entwickeln, die ohne Begleitung eines Therapeuten auskommt und mit technischen Mitteln, wie sie in jedem Haushalt verfügbar sind, durchführbar wäre, könnten viele Millionen Betroffene ihre Angst schnell und ohne großen Aufwand in den Griff bekommen. Und nicht zuletzt wäre es auch für die gehassten Achtbeiner hilfreich. Denn auch die Spinnen dürften beim Kontakt mit aus ihrer Sicht gigantisch großen Lebewesen wie Menschen eine gehörige Portion Angst verspüren.


Hintergrund:
Prof. Dr. Tanja Michael ist Expertin für Angsterkrankungen und Traumafolgestörungen. Die Leiterin der Psychotherapeutischen Universitätsambulanz ist seit 2011 in der Ärzteliste der besten Mediziner Deutschlands, die das Magazin Focus jedes Jahr veröffentlicht.
Dr. Johanna Lass-Hennemann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich mit der Verbesserung der Therapie von Angststörungen. Die Spinnenangst gehört zu den häufigsten Ängsten in der Bevölkerung und ist demnach auch seit langer Zeit einer der Schwerpunkte bei der Arbeit mit Angststörungen am Lehrstuhl von Tanja Michael.

Das Projekt "Digitale Therapie zur häuslichen Behandlung von spezifischen Phobien - DigiPhobie" wird vom BMBF mit insgesamt rund 1,8 Millionen Euro gefördert, ca. 300.000 Euro davon fließen an die Universität des Saarlandes. Die Laufzeit beträgt 36 Monate (Januar 2017 bis Dezember 2019).



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution8

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität des Saarlandes, Thorsten Mohr, 16.12.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2016

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